Klimakrise, Israel und Aufgeben: Frohe Kapitulation allerseits!

Anscheinend ist uns als Menschheit unser Leben nichts wert. Oder zumindest die Leben unserer Kinder nicht, sollen sie doch verbrennen, die Bälger.

Ein Klima-Demonstrant sitzt auf der Straße während eine Gruppe von Kindern an ihm vorbei läuft.

Das Klima retten für die Zukunft Foto: Fritz Engel/archiv agentur zen

Die ganze Woche schon summt es durch meinen Kopf: „Wenn du denkst, fuck it all, wie soll es weiter gehen? Kapitulation, Kapitulatio – hohn“. Ich war nie ein Tocotronic-Fan. Oder: Ich war Fan in der Theorie. Alles an den Hamburger Boys war richtig und gut, die Texte natürlich sowieso.

Aber das Gitarrengeschrummel, die larmoyanten Stimmen, die unfassbar leiernden Melodien, das völlige Fehlen von Bass, Groove, Soul – da schliefen mir immer sofort Herz und Hirn und Hüften ein. Aber die Zeiten sind bitter – und irgendwie ist mir ihr Hit „Kapitulation“ zuletzt doch noch ans Herz gewachsen.

Nach der Europawahl hatte ich das dringende Bedürfnis, mich ins Bett zu legen und einfach nie wieder aufzustehen. Wozu denn auch? Die Menschheit wird weder ein 1,5- noch ein 2,5- noch ein 3-Grad-Ziel in Sachen Erderhitzung einhalten.

Alles Schöne einfach ausblenden

Anscheinend ist uns als Menschheit unser Leben nichts wert. Oder zumindest die Leben unserer Kinder nicht, sollen sie doch verbrennen, die Bälger. Dann ist Ruhe.

So wie ich jetzt muss sich mein Therapeut in meinen schlimmsten depressiven Phasen gefühlt haben: Jemandem gegenübersitzend, der nicht in der Lage ist, die Schönheit und Einzigartigkeit des Lebens zu erkennen, und der bereit ist, all das auszublenden für das Vertraute und Beschissene. Im Gegensatz zu mir hat er nie kapituliert – zu meinem Glück.

Obwohl manchmal aufgeben das einzig Richtige ist. Weil man mit Kampf gerade nicht weiterkommt. So wie die Gruppe von acht Klimaaktivisten um Wolfgang Metzeler-Kick, die Kanzler Olaf Scholz mit einem Hungerstreik dazu bringen wollten, das Offensichtliche auszusprechen: Dass wir uns mitten in der Klimakrise befinden. Kurz vor dem 100. Tag der Nahrungsverweigerung haben sie aufgegeben. Das ist gut. Und es stimmt natürlich, dass Scholz sich nicht erpressen lassen darf, selbst für eine gute Sache nicht.

Es stimmt aber auch, dass er und die gesamte Ampel komplett kapituliert haben vor dem Thema Klimaschutz beziehungsweise vor ihrer Aufgabe, ihre Differenzen beim Wie zu überwinden, um ein paar gemeinsame Was zu erreichen.

Israelhass – äh, Verzeihung – Israelkritik

Vielleicht gibt es aber auch viel weniger gemeinsame Grundlinien, als ich immer dachte. So bin ich zum Beispiel mit der Überzeugung aufgewachsen, dass es in Deutschland eine nicht nur offizielle, sondern auch gesellschaftlich verankerte Staatsräson gibt, was die Solidarität mit Israel angeht.

Etwas anderes konnte ich mir, nachdem ich „Als Hitler das rosa Kaninchen stahl“ gelesen hatte – also etwa 20 Jahre, bevor Angela Merkel es so formuliert hat –, nicht vorstellen. Inzwischen findet diskursiv eine schleichende Umdeutung statt: Die Staatsräson wird mehr und mehr zur lästigen Fessel, zur Handbremse beim Israelhass – äh, Verzeihung – bei der Israelkritik.

Das ist nichts anderes als Kapitulation vor jedem echten Verständnis davon, wie Antisemitismus funktioniert – und wie er sich reproduziert, auch und gerade weil ‚wir‘ als gute Deutsche eben keine Faschisten mehr sein wollen.

Aufgeheizte Stimmung gegen Israel

Kapitulation deshalb, weil anders nicht zu erklären ist, wieso so viele sich als An­ti­fa­schis­t:in­nen verstehen und gleichzeitig versessen darauf sind, gerade Israel (und seine zweifellos ultrarechte und fatal agierende Regierung) zu kritisieren, nicht aber offen faschistische Organisationen wie die Hamas oder Irans Regime?

Insofern freut es mich natürlich, dass die Berliner CDU- und SPD-Fraktionen das nach unten gekehrte rote Dreieck, das im Umfeld von Pro-Palästina-Demos zuletzt immer wieder aufgetaucht ist, verbieten wollen. Schließlich ist es kein Symbol für Frieden und Verständigung zwischen Israelis und Palästinensern, sondern ein Symbol, mit dem die Hamas Anschlagsorte markiert.

Aber ich mache mir nichts vor. Ähnlich wie ein noch immer ausstehendes AfD-Verbot kommt auch diese Aktion viel zu spät. Eine agitierte, aufgeheizte gesellschaftliche Bewegung wird sich dadurch nicht mehr einhegen lassen. Im Gegenteil. Jede Anstrengung scheint ja doch nur zu noch mehr Protest und nie zum Umdenken zu führen. In diesem Sinne also: Frohe Kapitulation!

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.