Rauswurf von Staatssekretärin: Allein im Bildungsministerium

Stark-Watzinger entlässt ihre Staatssekretärin, weil die Fördermittel-Kürzungen nach politischen Kriterien erwogen haben soll. Die Kritik an ihr selbst hält an.

Bildungsministerin Stark-Watzinger steigt aus einem Auto.

Bildungsministerin Stark-Watzinger kommt am 17.6. zur Vorstellung des Nationalen Bildungsberichts Foto: Frederic Kern/imago

Bleibt Bettina Stark-Watzinger im Amt? Und kommt die Bundesbildungsministerin damit durch, dass sie ihre Staatssekretärin Sabine Döring schasst? Aufgeworfen hat diese Fragen eine Stellungnahme des Bundesbildungsministeriums (BMBF) am späten Sonntagabend. Darin teilt Stark-Watzinger mit, dass sie Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) ge­beten habe, Döring in den einstweiligen Ruhestand zu versetzen.

Die FDP-Ministerin reagierte damit auf die anhaltende Debatte um ihren Umgang mit Hochschullehrer:innen, die in einem offenen Brief das Recht auf friedlichen Protest an Berliner Hochschulen verteidigt hatten. Im Bildungsministerium war daraufhin geprüft worden, ob man den Un­ter­zeich­ne­r:in­nen bereits erteilte Fördermittel wieder entziehen könne. Das ARD-Magazin „Pano­rama“ hatte vergangene Woche unter Berufung auf interne E-Mails darüber berichtet und damit große Empörung unter Wis­sen­schaft­le­r:in­nen ausgelöst. Rund 2.700 For­sche­r:in­nen schlossen sich in wenigen Tagen einer Rücktrittsforderung an, unter anderem prominente Pro­fes­so­r:in­nen wie Axel Honneth, Hartmut Rosa, Anna Katharina Mangold und Wolfgang Merkel. Der Präsident der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) Walter Rosenthal spricht gegenüber der taz „von einem schwerwiegenden Vorgang, der in der Wissenschaft für große Irritation“ sorge.

Ohne Abschluss

In Deutschland gehen anhaltend viele junge Menschen ohne Abschluss von der Schule. 2022 waren es rund 52.300 Jugend­liche, wie aus dem Nationalen Bildungsbericht hervorgeht, der am Montag in Berlin vorlegt wurde. Der Anteil der Gleichaltrigen, die keinen Schulabschluss schafften, stieg demnach auf 6,9 Prozent.

Bildungssystem am Anschlag

Beleuchtet werden im Bericht etwa die Auswirkungen der Zuwanderung und das anhaltende Personalproblem. Dieses bleibe eine Herausforderung für nahezu alle Bildungsbereiche, heißt es.

Quereinsteiger

Im Bereich Schule zeigt sich den Autoren zufolge, dass verstärkt auf sogenannte Quereinsteiger zurückgegriffen wird. 2023 hatten von gut 35.000 neu eingestellten Lehrkräften demnach 12 Prozent keine klassische Lehramtsausbildung.

Wachsendes Bildungssystem

Dem Bericht zufolge steigt die Zahl der Bildungsteilnehmer, der Beschäftigten, der Bildungs­einrichtungen und auch der Bildungsausgaben. Diese seien in den vergangenen zehn Jahren um 46 Prozent auf 264 Milliarden Euro im Jahr 2022 gestiegen. Allerdings: Der Anteil der Bildungsausgaben am Bruttoinlandsprodukt ist seit 2012 lediglich um 0,2 Prozentpunkte gestiegen. (dpa, taz)

Es ist nicht das erste Mal, dass Stark-Watzinger aneckt. Vor gut einem Jahr brachte sie die Bundesländer gegen sich auf, als sie im Alleingang einen natio­nalen Bildungsgipfel einberief – den dann alle Bundesländer bis auf zwei boykottierten. Auch bei den Verhandlungen zum „Startchancen-Programm“ und zum Digitalpakt 2.0 wetterten die Bil­dungs­mi­nis­te­r:in­nen der Länder teils unverhohlen über die miese Zusammenarbeit und das fehlende Vertrauen in die Absprachen mit der Bundesministerin.

Vor allem aber in der Wissenschaft hat Stark-Watzinger keinen allzu guten Stand: Ihre Versprechen beispielsweise an Nachwuchsforscher:innen, die prekären Arbeitsbedingungen zu verbessern, konnte sie nicht wirklich einlösen. Im Gegenteil: In der Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes ging sie vor allem auf die Wünsche der Hochschulen ein, die sich gegen zu viele Dauerstellen wehren.

Dass Stark-Watzinger nun anscheinend Förderzusagen für For­sche­r:in­nen abhängig von deren Meinungsäußerungen machen wollte, stößt dort natürlich auf besonders harsche Kritik: „Stark-Watzinger muss jetzt für Aufklärung und volle Transparenz sorgen“, sagt der Berliner Politikwissenschaftler Ilyas Saliba der taz, der den umstrittenen offenen Brief mit unterzeichnet hat. Erst dann werde sich zeigen, ob nicht doch auch ein Rücktritt angebracht sei.

Was Stark-Watzingers Position nicht gerade stärkt: Auch die zuständigen Fachreferate im Ministerium hatten sich irritiert über die Prüfanfrage gezeigt und die Sanktionsidee als nicht umsetzbar zurückgewiesen. Die Frage ist nun: Hat Stark-Watzinger wirklich nichts davon gewusst, wie sie in ihrer Stellungnahme sagt? Eine BMBF-Sprecherin wiederholte am Montagmittag Stark-Watzingers Position: Sie habe eine Untersuchung der wissenschaftlichen Fördermittel für die Unterzeichner des offenen Briefs „weder beauftragt noch gewollt“.

Portrait von Sabine Döring

Sabine Döring während einer Pressekonferenz (Archivfoto) Foto: Frederic Kern/imago

Die Verantwortung schob sie noch einmal in Richtung der geschassten Staatssekretärin. „Döring war die fachrechtlich Zuständige, sie hat das veranlasst“, so die Sprecherin. Die Staatssekretärin habe sich bei der Formulierung ihrer Mail „missverständlich ausgedrückt“. Die Bildungsministerin habe klar gesagt, Prüfungen von durch die Meinungsfreiheit gedeckten Kriterien fänden nicht statt.

Das ist die eine Sichtweise. Die andere ist: Döring, die selbst Wissenschaftlerin ist und bis zu ihrer Ernennung vor gut einem Jahr als Staatssekretärin an der Universität Tübingen Philosophie und Ethik lehrte, musste gehen, weil sich ihre Ministerin verrannt hat und nun Konsequenzen vorweisen muss. Für den Wissenschaftler Saliba ist die Sache klar: „Sabine Döring ist ein Bauern­opfer. Dadurch soll ein Schlussstrich gezogen werden, aber das Vertrauen in große Teile der Ministeriumsleitung bleibt beschädigt.“

Ähnlich äußerte sich am Montag auch die Opposition: Schleswig-Holsteins Bildungsministerin und CDU-Vize Karin Prien, seit dem missratenen Bildungsgipfel im März 2023 eine scharfe Kritikerin von Stark-Watzinger, spricht auf „X“ von einer „nächtlichen Posse“, bei der Döring „das Bauernopfer“ sei. Etwas differenzierter sieht es der bildungspolitische Sprecher der Unionsfraktion Thomas Jarzombek: „Ihr Ziel war das richtige“, sagte Jarzombek mit Blick auf den Kampf gegen Antisemitismus an Hochschulen. Allerdings habe die Bildungsministerin „durch ihr ungeschicktes Verhalten und ihre Aussagen in der Bild-Zeitung das Thema überhaupt erst so groß gemacht“, sagte Jarzombek der taz.

Er spielt damit auf eine Formulierung an, in der Stark-Watzinger den Un­ter­zeich­ne­r:in­nen des offenen Briefs in Abrede stellte, „auf dem Boden des Grundgesetzes“ zu stehen. An dieser Position scheint Stark-Watzinger trotz der massiven Kritik bis heute nichts Schlimmes zu finden. „Es macht mich bis heute fassungslos, wie einseitig in diesem Brief der Terror der Hamas ausgeblendet wurde“, schreibt Stark-Watzinger in dem nächtlichen Schreiben. Erneut kritisiert sie die Forderung aus dem Brief, „Straftaten an den Universitäten nicht zu verfolgen, während gleichzeitig antisemitische Volksverhetzung und gewalttätige Übergriffe gegen jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger“ zu beobachten seien.

Bis Redaktionsschluss der taz sah es so aus, als komme Stark-Watzinger ohne Rücktritt davon. Die Koalitionspartner jedenfalls hielten sich zurück mit Kritik und begrüßten die „personellen Konsequenzen“. Sowohl Oliver Kaczmarek (SPD) als auch Kai Gehring (Grüne) machten jedoch klar, dass es ein einmaliger Vorfall bleiben müsse und dass es jetzt wichtig sei, „verloren gegangenes Vertrauen“ wiederaufzubauen.

Doch wie das gelingen soll, ist unklar. Das zeigt auch die etwas hilflose Antwort aus dem Bildungsministerium, inwieweit das Vertrauen zwischen Ministerin und der Wissenschaftslandschaft noch bestehen könne, nachdem rund 2.700 For­sche­r:in­nen nun in einem zweiten offenen Brief den Rücktritt Stark-Watzingers gefordert haben. Das Ministerium kommentiere keine offenen Briefe, lautete die Antwort. Was angesichts der Bild-Äußerungen Stark-Watzingers, die die Debatte mindestens befeuert hatten, absurd anmutete.

Am Montagnachmittag dann tritt Stark-Watzinger vor die Presse, zusammen mit der Vorsitzenden der Kultus­ministerkonferenz Christine Streichert-Clivot (SPD) und dem Bildungsforscher Kai Maaz. Mit dem aktuellen Beben im Ministerium hat der Auftritt nichts zu tun. Die drei sollen die Ergebnisse des Nationalen Bildungsberichts vorstellen (siehe Kasten). 53 Minuten sprechen sie über die großen Linien: Personal­mangel, Schulabbrecherquoten, Chancen­ungleichheit. Erst als es dazu keine Fragen mehr gibt, lässt der Leiter der Bundespressekonferenz Fragen nach den Vorgängen im Bildungsministerium zu.

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„Die Wissenschaftsfreiheit ist ein hohes Gut in unserem Land, und dieses Recht ist verfassungsrechtlich geschützt“, sagt Stark-Watzinger. „Ich verteidige die Wissenschaftsfreiheit in jede Richtung, Wissenschaftsförderung erfolgt nach wissenschaftsgeleiteten Prinzipien.“

Stark-Watzinger blickt ernst und spricht ruhig, manches liest sie ab. Weitgehend wiederholt sie das, was ihr Ministerium zuvor schon verkündet hatte: dass ihr die Mail mit der Prüfung zu den förderrechtlichen Konsequenzen erst am 11. Juni zur Kenntnis gekommen sei und dass sie danach eine Aufklärung des Sachverhalts veranlasst habe. „Ich habe den betreffenden Auftrag, förderrechtliche Konsequenzen prüfen zu lassen, nicht erteilt und nicht gewollt“, beteuert Stark-Watzinger. Der dadurch erweckte Eindruck sei geeignet, das Vertrauen von Wis­sen­schaft­le­r*in­nen in das BMBF zu beschädigen, deshalb sei eine Zusammenarbeit mit ihrer Staatssekretärin nicht mehr möglich.

Zu den Rücktrittsforderungen sagt sie: „Dazu sehe ich keine Veranlassung“.

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