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Habecks Vorstoß beim LieferkettengesetzFalsche Verhandlungsmasse

Hannes Koch
Kommentar von Hannes Koch

Mit einer vagen Formulierung bringt der Wirtschaftsminister eine „Pause“ des Lieferkettengesetzes ins Spiel. Machen die Grünen damit ein Angebot an die FDP?

Kompromissmeister im Amt: Die Grünen spezialisieren sich auf das Anbieten ihrer Herzensprojekte als Verhandlungsmasse Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa

R obert Habeck spricht über das Lieferkettengesetz, für das er jetzt plötzlich eine „Pause“ einlegen will. Doch möglicherweise geht es um etwas anderes: den Bundeshaushalt und ein Paket gegen die Stagnation der Wirtschaft. Der grüne Bundeswirtschaftsminister äußert sich gewollt unpräzise, um Spielraum in den Verhandlungen mit seinen Regierungspartnern SPD und FDP zu gewinnen.

Zur Erinnerung: Zehn Jahre hat es gedauert, bis in Deutschland und Europa jetzt halbwegs wirksame Regelungen zum Schutz der Menschenrechte von Beschäftigten in den weltweiten Zulieferfabriken existieren. Ein urgrünes Projekt. Und nun stellt der grüne Spitzenpolitiker das deutsche Lieferkettengesetz zur Disposition?

Mit dem Versuch, in den letzten Tagen vor der Europawahl noch ein paar Stimmen zu gewinnen, lässt sich das nicht erklären. Die Lieferketten sind wichtig, aber doch eher ein Spezialistenthema ohne wahlentscheidende Wirkung.

Schon wieder ein Angebot an die FDP?

Vielleicht ging es dem Wirtschaftsminister darum, das angespannte Verhältnis zu manchen Wirtschafts­verbänden aufzulockern. Eventuell will er aber auch der FDP ein Kom­promissangebot unterbreiten. Schließlich stecken die drei Parteien in äußerst schwierigen Verhandlungen über ihr Haushaltsbudget für 2025. Der ­liberale Finanzminister Christian Lindner hat gerade eine umfangreiche ­Steuerentlastung gefordert, die nicht im Sinne von SPD und Grünen ist. Da kann es helfen, etwas anzu­bieten.

Wobei es für das Lieferkettengesetz nichts Gutes bedeutet, wenn es jetzt zur Verhandlungsmasse wird. Erlässt man den Unternehmen zum Beispiel ihre Berichte darüber, wie sie das Gesetz erfüllen, fiele es dem Bundesamt für Wirtschaft schwerer, die Firmen zu kontrollieren.

Und würden die hiesigen Vorschriften ausgesetzt, bis die europäische Lieferkettenrichtlinie nach und nach in Kraft tritt, handelte es sich nicht um eine zweijährige Pause, sondern tatsächlich um eine sechs- bis siebenjährige Verzögerung.

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Hannes Koch
Freier Autor
Geboren 1961, ist selbstständiger Wirtschaftskorrespondent in Berlin. Er schreibt über nationale und internationale Wirtschafts- und Finanzpolitik. 2020 veröffentlichte er zusammen mit KollegInnen das illustrierte Lexikon „101 x Wirtschaft. Alles was wichtig ist“. 2007 erschien sein Buch „Soziale Kapitalisten“, das sich mit der gesellschaftlichen Verantwortung von Unternehmen beschäftigt. Bis 2007 arbeitete Hannes Koch unter anderem als Parlamentskorrespondent bei der taz.
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8 Kommentare

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  • Entre nous & btw - da ich ihn nur sporadisch seh!

    Danke fürs Fotto - Feist! Woll



    (Ok Ok rintintin - bis 🥬 is noch was hin!

  • 4G
    47351 (Profil gelöscht)

    Für die Einhaltung der Menschenrechte bei unternehmerischen Handeln sind abgestuft verantwortlich (Aufzählung unvollständig):

    1. Das betroffene ausländische Unternehmen selbst.

    2. Die lokalen Aufsichtsbehörden am Sitz dieses Unternehmens.

    3. Die übergeordnete Legislative und Exekutive des Landes, indem das Unternehmen seinen Sitz hat.

    4. Der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen.

    5. Unser Außenministerium, wenn es der Ansicht ist, ein anderes Land müsse höhere Standards schaffen.

    6. Die deutsche Konzernmutter, wenn es sich bei dem ausländischen Unternehmen um eine Beteiligungsgesellschaft handelt.

    7. Der Besteller in der Lieferkette, sofern er positive Kenntnis von einem Verstoß hat oder sich ein solcher ihm aufdrängen muss.

    Hier wird nonchalant die Verantwortung bei Ziff. 7 abgeladen, verbunden mit einer Einladung für die Klageindustrie, und man will sich dafür feiern lassen.

  • Was die Wähler von der Politik des Bauchwehministers halten haben sie ja gestern eindrucksvoll gezeigt.

  • Immerhin scheint einer gemerkt zu haben, daß der Bogen überspannt wurde.

    Fachkräftemangel, demographisch bedingt absehbar - und durch medizinischen Fortschritt verstärkt – stark steigende Kosten für Kranken- und Pflegeversicherung. Bereits vereinbarte Erhöhung der Rentenbeiträge, Arbeitszeitverkürzungen, … Die Lasten für die deutsche Wirtschaft steigen und steigen.

    Bis 2021 gingen die Bundesregierungen von einem gleichbleibenden Stromverbrauch aus. 2021 wurde die Prognose von Peter Altmaier deutlich erhöht. Unberührt von neuen Erkenntnissen wurden noch funktionsfähige Kraftwerke stillgelegt. Neue Kernkraftwerke sollen 30 Mrd. EUR kosten. Dazu kommen Stillegungen von Kohlekraftwerken, die durch Gaskraftwerke ersetzt werden sollen. Allein an Zeitwerten wurden weit über 100 Mrd. EUR des vorhandenen Energieparks vernichtet. Die Wiederbeschaffungswerte sind noch viel höher. Da bisher bei der Stillegung der Kohlekraftwerke keine CO2-Zertikate gelöscht wurden, können deren Mengen nun in anderen Werken der EU emittiert werden. Die ganze Aktion hat bisher kein CO2 eingespart, aber langfristig gewaltige Kosten in Deutschland verursacht.

    Nun versucht Habeck zu retten, was zu retten ist.

  • Mit seiner Aussage zum Pausieren des Lieferkettengesetzes hat Habeck die Grünen sicherlich so einige Stimmen gekostet, denn Kernwähler achten auf solche Aussagen und reagieren sensibel darauf, insbesondere nachdem die Partei noch bei jedem ihrer Kernthemen im Zweifelsfall in der Regierung eingeknickt ist.



    Die Parteiführung wäre gut beraten mit Habeck, Özdemir und Co. mal ein ernstes Wort zu reden. Mit ihrem Verhalten verprellen sie Kernwähler und gewinnen keine Neuen hinzu.

    • @Ressourci:

      Ich wette um viele Bohnen, dass nicht ein einziger Wähler wegen des Lieferkettengesetz sein Kreuz verschoben hat.



      Das Thema ist außerhalb der Blase nicht präsent.

    • @Ressourci:

      Die Parteiführung ist doch genauso Teil des Problems, wer soll da wem die Leviten lesen?



      Die Grünen sind durch, das ist mir schon seit über einem Jahr klar (seit dem Unwillen, aus dem GEG-Leak die richtigen Konsequenzen zu ziehen - alle anderen Bauchweh-Entscheidungen seitdem waren nur Bonus). Aber die Realitätsverweigerung der grünen Fans die mir mit Verweis auf die recht gleichbleibende Sonntagsfrage heftig widersprochen haben war schon beeindruckend. Tja, wichtig is anne Urne, nich inne Umfrage.

  • Nicht etwa "die Grünen", bloss Robert H. ist (wieder mal) ins Unreine abgerutscht. Wie Sie schon richtig auf taz.de/Aufregung-u...orschlag/!6013124/ notierten, haben Bundestags- und Europagrüne gleich Rettungsleinen geworfen und holen sie grade ein, siehe auch x.com/katdro/status/1799430787571294706 .