piwik no script img

Streit um Windkraftanlagen bei LüneburgWindkraft stört Waldesruh

In den Wäldern bei Lüneburg sollen Windkraftanlagen errichtet werden. Die Umweltverbände sind dagegen. Stadt und Landkreis mangelt es an Alternativen.

Bringen viele auf die Palme: Windkraftanlagen im Wald, hier bei Freiburg Foto: Patrick Seeger/dpa

Hamburg taz | Die Umweltverbände Nabu und BUND wollen verhindern, dass in den Wäldern des Landkreises Lüneburg Windkraftanlagen errichtet werden. Das größte Projekt sieht bis zu 100 Windräder auf 1.000 Hektar im Wald bei Bleckede und Breetze im Wendland vor.

Der BUND befürwortet zwar grundsätzlich den Ausbau von Windenergie als wichtigen Schritt der Energiewende. „Der Ausbau muss jedoch naturverträglich im Einklang mit Arten- und Biodiversitätsschutz erfolgen“, heißt es in einer Presseerklärung. Der Wald sei zu wichtig und zu fragil, um ihn der Windkraft zu opfern, sagt Bernhard Stilke vom BUND-Regionalverband Elbe-Heide.

Akut ist das Thema, weil sich der Raumordnungsausschuss des Kreises am 5. Juni damit befassen wird, wo künftig Windkraftanlagen möglich sein sollen. Besonders umstritten sind drei Projekte in Wäldern, darunter das mit den 100 Windrädern bei Breetze und eines in Deutsch Evern. Am vergangenen Sonnabend haben mehrere Hundert Menschen in Lüneburg gegen die Projekte demonstriert.

Am kommenden Sonntag soll um elf Uhr am Friedhof in Breetze ein Waldspaziergang zur Windkraft starten. Zweck des Spazierganges sei es zu zeigen, wie das aussehen würde, wenn Schneisen geschlagen und Lichtungen gerodet würden, um Windkraftanlagen herbeizutransportieren, aufzustellen und die Kabeltrassen dafür zu legen, sagt Stilke. Die Fahrzeuge würden den Boden verdichten, der Wald würde zerschnitten und geöffnet, sodass er auszutrocknen drohe. „Das ist in lang anhaltenden Trockenphasen fatal und führt zu großflächigen Waldschäden“, warnten Nabu und BUND bereits im März.

Wir halten den Eingriff in gesunde Wälder für nicht akzeptabel, weil sie vielfältige Funktionen erfüllen

Bernhard Stilke, BUND

„Wir halten den Eingriff in gesunde Wälder für nicht akzeptabel, weil sie vielfältige Funktionen erfüllen“, sagt Stilke. Sie speicherten Kohlenstoff und Wasser, erzeugten Sauerstoff und seien ein Hort der Artenvielfalt. Bevor Windkraft in einem Wald erlaubt werde, sei daher eine gründliche, hoch aufgeschlüsselte Bestandsaufnahme zu machen.

„Sie müssen sich die Wälder ansehen“, sagt der BUND-Mann. Selbst für ihn ergebe sich dabei so manche Überraschung. So flögen Fledermäuse entgegen gängiger Annahmen eben nicht nur am Waldrand entlang, sondern auch über die Wipfel, wo sie Windkraftanlagen zum Opfer fallen könnten.

Selbst ein auf den ersten Blick öde wirkender Fichtenwald ist aus Stilkes Sicht zu wertvoll, um ihn zu durchlöchern, wenn er gesund ist. Das gelte etwa für den Wald in Deutsch Evern mit seinem geringen Stickstoffeintrag. Ohne die vom Menschen verursachte Überdüngung gediehen die Bäume besser und auch die mit ihnen in Symbiose lebenden Pilze. Außerdem bekämen die ursprünglichen Pflanzen auf dem Waldboden wieder eine Chance. Dem gegenüber stehe als einziges Argument die CO2-Einsparung, sagt Stilke.

Dieses Argument wiegt allerdings schwer, denn auch die Folgen der Klimakrise bedrohen die biologische Vielfalt. Und die reine CO2-Einsparung kann sich nach Angaben des Umweltbundesamtes sehen lassen. Ein halber Hektar Wald nimmt demnach 2,75 Tonnen CO2 pro Jahr auf. Eine Windenergieanlage vermeide demgegenüber 4.200 Tonnen pro Jahr.

Den Flächenverbrauch hält das Umweltbundesamt für überschaubar. Für den Betrieb einer Windkraftanlage müsse dauerhaft ein halber Hektar gerodet werden, von denen man 0,05 Hektar für das Fundament versiegeln müsse. Dazu kämen 0,4 Hektar, die während des Baus gerodet werden müssten und wieder aufgeforstet werden könnten.

Stadt und Landkreis Lüneburg sehen sich im Sinne der Energiewende in die Pflicht genommen. Das Land Niedersachsen hat mit der Bundesregierung vereinbart, 2,2 Prozent der Landesfläche bis 2032 für den Bau von Windrädern zur Verfügung zu stellen. Der dünn besiedelte Landkreis Lüneburg muss vier Prozent stemmen. Während der Wald in ganz Niedersachsen nur 25 Prozent der Landesfläche bedeckt, sind es im Landkreis Lüneburg 33 Prozent, was dem Bundesdurchschnitt entspricht.

Die vier Prozent auf Kreis­ebene seien „ohne Windenergie im Wald nicht ansatzweise zu erfüllen bzw. nur auf Kosten erheblich höherer Belastungen der Ortslagen“, teilt die Stadt Lüneburg mit. Flächen mit ausreichend Abstand zur Wohnbebauung zu finden, sei eine Herausforderung. Zwei Alternativflächen habe der Kreis abgelehnt, über eine weitere solle die A39 gebaut werden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

16 Kommentare

 / 
  • Da geht der Plan der Klima- und Umweltschutz-Verhinderer:innen ja voll auf: Der Ausbau der Erneuerbaren wird gegen Fledermäuse und Kiefern ausgespielt, die Umweltverbände und Umweltbehörden ebenso, aber die Flächenzersiedelung und der Autobahnbau gehen ungestört weiter.



    Mein Vorschlag: A39 bleiben lassen, Neubaugebiete überdenken oder zumindest kleiner bemessen und daneben für eine Gesetzgebung lobbyieren, die Abstandsgebote passend bemisst und Güterverkehr von der Straße verlagert, wenn er nicht überhaupt vermieden werden kann. Dann entspannt sich die Lage auf der B4 auch wieder.

    • @Zangler:

      Sie haben mit der Aufzählung dessen, was immer und überall gegeneinander ausgespielt wird, leider viel zu früh aufgehört. Ihr Vorschlag, die Zersiedelung zu beenden+Neubaugebiete zu verkleinern kollidiert mit der Wohnungsnot. Bitte, ich kenne die Begriffe Verdichtung/Aufstockung etc, kann in urbanen Ballungsräumen nur leider kein Normalverdiener bezahlen, die Wohnungen, die da entstehen. So zieht man raus und schon ist die nächste Fläche überbaut. Strassen, Netzanschlüsse, Kanäle etc. braucht so eine neue Siedlung auch noch. In ländlichen Gegenden 5-6 stöckige grosse Klötze eng aneinandergesetzt hinzubauen, damit man wenigstens mit EINER Neubausiedlung auskommt statt 3 zu bauen, trifft ebenso auf den Widerstand der bereits Ansässigen wie der Windkraftbau. Güterverkehr auf die Schiene ist toll, aber der dafür erforderliche Gleisbau, umfänglich, sehr umfänglich, samt Güterumschlagplätzen, Lagerhallen, An- u. Abfahrtstrassen - kostet eine Menge Bäume+Wiesen. Und alle neuen Anlagen brauchen Strom. Wie E-Kfz, wie Wärmepumpen, E-Fahrräder, wie alles, was elektrifiziert werden soll/wird. Sorry, aber wir werden uns oft entscheiden müssen. Wer Alles schützen will, wird gar nichts schützen.

      • @Fossibaerin:

        Waren Sie mal im Ostteil des Landkreises Lüneburg, direkt vor dem Wendland? Da ist es mit Wohnungsnot nicht weit her...



        Und dann ist doch auch die Frage, ob wirklich jedes neu gebaute Haus 150 bis 200 qm Wohnfläche haben muss. Das sind häufig ziemlich große Kästen, die da entstehen. Immer noch werden auch zu oft Höfe zwar nicht mehr landwirtschaftlich genutzt, aber auch nicht zu MFH umgenutzt.



        Der Güterverkehr wird auch zu weit transportiert statt dass es zu viel ist. Warum muss in jedem Supermarkt in der Metropolregion Hamburg Bio-Milch von Weihenstephan oder aus Andechs stehen?



        Hinsichtlich des benötigten Stroms werden leider Effizienzgewinne zu schlecht genutzt oder durch größere Geräte mit neuen Zusatzfunktionen wieder aufgefressen, siehe Fernseher oder SUV. Es gibt viel zu tun, packen wir es an!

  • Das fast nur noch in CO2 - Bilanzen argumentiert wird, ist armselig, denn der Artenschutz ist ebenso wichtig wie die Klimakrise. Die betroffenen Wälder haben (Kiefern - nicht Fichten) für den Naturschutz ein riesiges Potenzial, weil sie die letzen Flächen sind, die nicht komplett überdüngt sind. Die A39 darf nie gebaut werden; die dafür vorgesehenen Flächen sollten alternativ genutzt werden, dann hat man sehr viel für den Arten- und Klimaschutz getan!

  • Fichtenwald, wenn es sich überhaupt um Wald und nicht um eine Plantage (und danach sieht es zumindest auf den Satellitenbildern aus) handelt, ist hier eh "Toast", und zwar auch ohne lokale Einflüsse. Wie das aussieht kann man sich im Harz ansehen.

    • @BommelDrommel:

      Schauen Sie sich die Wälder mal an - am besten mit einem Naturkundler zusammen!

  • Ein Fichtenforst (Wald ist etwas anderes) erregt also die Gemüter der Umweltverbände. Wenn ich mich recht erinnere, sind Fichtenforste die artenärmsten Waldbestände überhaupt. Des Weiteren sind sie nicht zukunftsfähig, Stichworte Klimawandel und Borkenkäfer, sie behindern massiv die Remineralisierung des Bodens, etc. pp.



    Vielfach werden diese Forste heute durch Mischwälder ersetzt.

    Aber wenn eine Windkraft-Anlage gebaut werden soll, mutieren sie zu wertvollen Biotopen?

    • @Kaboom:

      Fichten wachsen dort nicht wirklich, und die Kiefernwälder sind von hoher Qualität für den Artenschutz.

  • Wald ist nicht gleich Wald. Was man mit einem industriellen Fichtenwald macht könnte man sich Mal überlegen. Vielleicht Windkraft plus ökologisch wertvolle und klimaresistente Baumarten?

  • 6G
    601161 (Profil gelöscht)

    Einfach unglaublich, wie Menschen mit (mindestens) zweierlei Maß messen können. Gerade noch feiert sich die Stadt Hannover, jährlich ungefähr 50 Bäume mit dem großem Aufwand des Bodentausches besser gedeihen zu lassen. Hier kommt es nun auf ein paar tausend Quadratmeter Wald nicht an. Pro Windrad!



    Liebe Nicht-Materialisten aus der Windkraftbranche, macht mal so weiter. Dann erreichen wir das Ziel nie. Bekanntlich haben die Deutschen ein ganz besonderes Verhältnis zum Wald. Wenn das Thema mal richtig medienwirksam transportiert wird, verlieren alle grünen Absichten nochmals deutlich an Reputation. Diese Verrechnung von CO2 ist nur noch kleingeistig wie sonstwas!!!

  • Der halbe Hektar ist eine fromme Lüge. Nach Adam Riese wird hiermit ein neuer Waldrand von mindestens 300 Metern Länge erzeugt, an dem der bestehende Forst natürlich nicht einfach weiter gedeiht, als sei nichts geschehen. Auch für Fauna hat ein Loch (was keine Lichtung ist) im Wald starke Auswirkungen.



    Natürlich muss auch die Zuwegung zu den Windrädern erhalten bleiben, und die ist sehr robust gebaut, im Vergleich zu einem üblichen Forstweg. Macht nochmal beliebig lange Schneisen. Man mag es vielleicht nicht glauben, die Rotoren müssen auch wieder raus aus dem Wald! Und zwar in recht überschaubarer Zeit. Dass sie Sondermüll der üblen Art sind, wird jeder wissen, denn es interessiert.



    Bei aller Liebe zur Windkraft, eine Handvoll lose gruppierter Anlagen ruinieren, wenn es schlecht kommt tausende Hektar an Wald. Iss leider so.

    • @naichweissnicht:

      Ja, so ist es; und das Hauptproblem ist, dass der Konflikt zwischen Windkraft im Wald und Artenschutz nicht gesehen wird. Das wird dann alles mit der Halbwahrheit "Klimaschutz ist Artenschutz" weggewischt.

      • @Axel Donning:

        Mit Naturschutz gewinnt niemand Wahlen. Mit günstigem Strom schon.

  • Muss ja nicht in dennWald, wenn die Naturschutzverbändler ihre Nachbarn vom Windrad in der Wiese direkt hinterm Haus überzeugen würden

    • @vieldenker:

      Der BUND betont auf seiner Homepage, dass die Abstandsregeln zu Wohnbebauung etc. unbedingt eingehalten werden müssen, und dass auf jeder Fläche, egal welcher Struktur, Artenschutz immer Vorrang vor dem Windenergieausbau haben muss. Selbstverständlich gibt es auch auf Wiesen und im Übergangsgebiet zu Wohnbebauung schützenswerte Arten, natürlich andere als im Wald, aber irgend etwas findet man immer. Ich spende nicht mehr für den BUND.

      • @TheBox:

        Der BUND hat einfach ein Konkurrenzproblem durch radikalere Abspaltungen. Das ist das eigentliche Thema in der Geschichte.