Grundgesetz, KI und Oliver Pocher: Alles kein Spaß

Lustige KI-generierte Scholz-Videos könnten bald der Vergangenheit angehören. Genauso hoffentlich Oliver Pochers humorbefreite Auftritte.

Unlustiger geht's nicht: Der sexistische Comedian Oliver Pocher bei einem Auftritt Foto: Steinbrenner/imago

taz: Herr Küppersbusch, was war schlecht vergangene Woche?

Friedrich Küppersbusch: Man kann Lindners Hochzeit auch echt zu lange feiern.

Und was wird besser in dieser?

Gala verzichtet auf Exklusivfotos.

Der Internationale Strafgerichtshof hat Haftbefehl gegen drei Hamas-Führer sowie gegen Benjamin Netanjahu und Israels Verteidigungsminister Joav Galant beantragt. Wie würde Deutschland mit einem Haftbefehl gegen Netanjahu umgehen?

„Wir halten uns an Recht und Gesetz“, sagte Steffen Hebestreit dazu und hätte vorher ein paar teure Wetten darauf platzieren sollen, dass man auch mit dem Satz einen ordentlichen Shitstorm bekommen kann, wenn man Sprecher eines Sozikanzlers ist. Interessanter wäre die Umkehrung: Würde die Union applaudieren, wenn die Regierung tremolierte: „Wir scheißen auf das Völkerrecht“? Natürlich zu Gigi D’Agostino im Pony auf Sylt. Paradox genug liegt die Eskalationshoheit jetzt bei Netanjahu – wünscht er öffentlich eine Einladung, um in Deutschland mal die Staatsräson zu wässern, kommt Druck auf den Kessel. Vorher aber prüfen die Richter, ob Israel nach dem Römischen Statut als Rechtsstaat aus der Zuständigkeit des Internationalen Strafgerichtshofs herausfällt – dann gibt’s keine Haftbefehle. Auf allerhand Wegen Druck zugunsten der palästinensischen Zivilbevölkerung aufzubauen ist legitim. Weniger nachvollziehbar ist, warum Chefankläger Khan acht Monate brauchte, gegen die Hamas vorzugehen.

Die EU-Kommission hat drei Jahre nach dem ersten Entwurf den AI Act verabschiedet. Können wir in Zukunft keine KI-Videos mehr sehen, in denen Olaf Scholz HipHop tanzt oder berühmte Schau­spie­le­r*in­nen in Saris gekleidet sind?

Kein Mensch weiß, wohin KI geht. Also ist das Gesetz der ehrenwerte Versuch, einen Pudding an die Wand zu nageln. KI soll im Rahmen der Grundrechte genutzt, nicht missbraucht werden. Im Detail ist dann Gesichts- und Gefühlserkennung, biometrische Datenerfassung und bei Asylbewerbern überhaupt gleich alles erlaubt. Die Öffentlichkeit wurde auf das Thema erst durch ChatGPT und lustige Filmchen aufmerksam; da hatte die Techlobby den Gesetzentwurf schon verflüssigt. Hätte ich als KI auch so gemacht.

Oliver Pocher hat während eines Auftritts im SWR eine Frau bloßgestellt, sich sexistisch über sie lustig gemacht und den Videomitschnitt anschließend auf Social Media geteilt. Sollte so jemand im ÖRR auftreten dürfen?

Der SWR erläuterte, mit Pocher ein „Publikum ansprechen“ zu wollen, „das sonst nur unzureichend versorgt wird“. Das ist bescheuert, denn für ein Pu­bli­kum, das unzureichend mit Löchern im Kopf versorgt ist, bittet man auch kein Erschießungskommando auf die Bühne. Und wahr, denn auch Pocher-Fans zahlen Haushaltsabgabe. Pochers Strategie ist, mit Fontänen aus seiner Privatkloake so viel Thermik in „sozialen Netzwerken“ zu machen, dass Sender „nicht an ihm vorbeikommen“. Das ist Erpressung und schenkt Pocher den Slogan „Mich lädt keiner freiwillig ein“.

Alle AfD-Europaabgeordneten wurden aus der rechten ID-Fraktion im Europäischen Parlament ausgeschlossen. Auslöser dafür waren Aussagen Maximilian Krahs, die die Verbrechen der SS verharmlosten. Welche Folgen wird die Abgrenzung der europäischen Rechten für die AfD haben?

Leider nur ein Nebenwiderspruch: Das Nationalautoritäre bleibt stark. Bisher scheiterten in Deutschland alle Rechtsparteien, die eine intakte Wärmebrücke zum NS hegten: SRP, NPD, Republikaner, DVU, Rechte. So begann die AfD als Tarnkappenbomber mit populären Themen wie Euroangst, Gendern und Migration. Die Freunde der „geschichtspolitischen Wende“ kippen nun Säure über den dünnen Firnis und blamieren sich nach Kräften. Denn hier gilt: Nazi werden ist okay, Nazi gewesen sein nicht so. Das ist kein Trost im Großen, im Kleinen fräst es rechte Wahlergebnisse und ist ein Weg.

Das Grundgesetz ist in dieser Woche 75 Jahre alt geworden. Wie feiern Sie das?

Einen Schnaps auf jede Änderung seit der Abfassung: macht rund 60 und dürfte reichen, keinen klaren Gedanken mehr fassen zu können. Zur Frage, was zur Hölle da eigentlich gefeiert wird: die Abschaffung des Asylrechts (Art. 16), der Große Lauschangriff (Art. 13), die Bundeswehr (Art. 87b) und viele Nachjustierungen mehr. Bald kann es an die Wehrpflicht gehen oder an den Status des Bundesverfassungsgerichts. Der vorreligiöse Weihrauchnebel über „das Beste, was wir je hatten“, sollte nicht davon ablenken, dass wir schon ganz anderes kaputt gekriegt haben.

Und was machen die Borussen?

Drei Public Viewings für rund 38.500 Zuschauer sind angekündigt: Westfalenhalle, Kirmesplatz Fredenbaum und am Hansaplatz. Wo geht ihr hin?

Fragen: jfr

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Jahrgang: gut. Deutscher Journalist, Autor und Fernsehproduzent. Seit 2003 schreibt Friedrich Küppersbusch die wöchentliche Interview-Kolumne der taz „Wie geht es uns, Herr Küppersbusch?".

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.