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Biografie über Walter UlbrichtLenins gelehriger Schüler

Ilko-Sascha Kowalczuk legt den zweiten Teil seiner Ulbricht-Biografie vor und zeichnet ihn als umtriebig und herrschaftstechnisch äußerst begabt.

DDR-Staatratsvorsitzender Walter Ulbricht bei der verregneten Eröffnung der Ostseewoche 1961 in Rostock Foto: imago

Walter Ulbricht hat legendäre Worte gesprochen. Allein sein „Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten“ ist ins kollektive Gedächtnis der Deutschen eingewandert. Sein zweiter berühmter Ausspruch – „Ich denke, Genossen, mit der Monotonie des yeah, yeah, yeah und wie das alles heißt, ja, sollte man doch Schluss machen“ – ließ ihn zur Witzfigur werden, zur nega­tiven Popikone auf Kaffeetassen und T-Shirts. Mit beiden Sätzen hat Ulbricht es in die Populärkultur geschafft, auf deren Bildern eher selten „blutige Hände“ zu ­sehen sind, resümiert Ilko-Sascha Kowalczuk den Blick der Öffentlichkeit auf Ulbricht nach 1990.

Der Berliner Historiker hat jetzt den zweiten Band seiner Ulbricht-Biografie vorgelegt, und gleich zu Beginn diskutiert er einen weiteren berühmten Satz. Bereits im Mai 1945 soll, so Wolfgang Leonhard in seinem Weltbestseller „Die Revolution entläßt ihre Kinder“, Ulbricht über den Aufbau der Verwaltung gesagt haben: „Es ist doch ganz klar: Es muß demokratisch aussehen, aber wir müssen alles in der Hand haben.“ Kowalczuk stellt infrage, ob Ulbricht „demokratisch“ in diesem Sinne benutzt hat, weil das in der innerkommunistischen Sprachregelung eher nicht üblich gewesen sei.

Das überzeugt nicht wirklich, zumal es weitere ähnliche Äußerungen von Ulbricht gibt. Aber selbst wenn Zweifel an der Authentizität des Zitats angebracht sein sollten – kaum ein Motto beschreibt das Vorgehen der Kommunisten in den Nachkriegsjahren besser.

Als Ulbricht im Mai 1945 nach Berlin kommt, schafft er sich eine Sozialdemokratie nach seinem Bilde, eine, die mit der KPD „zusammenarbeitet“ – darauf hatte er schon 1944 gedrängt. Weil Kurt Schumacher und die SPD in den Westzonen das durchschauen, gelingt die Vereinigung von KPD und SPD nur in der Ostzone. War es eine Zwangsvereinigung? Kowalczuks Urteil ist klar: Die Gründung der SED bedeutet die Eliminierung der Sozialdemokratie im Osten und folgt der Einsicht der Kommunisten, nur einen Teil Deutschlands beherrschen zu können. Und die Erringung der Macht, darin Lenins gelehriger Schüler, ist für Ulbricht (und die Kommunisten) das oberste Gebot.

Der Oberdrahtzieher

Die Zeit bis zum Aufstand am 17. Juni 1953 nimmt im Buch viel Raum ein. Zu Recht, es sind die Jahre, in denen die Kommunisten ihre Macht weiter ausbauen und zugleich versuchen, es „demokratisch“ aussehen zu lassen. Ob bei der Gründung des FDGB oder der FDJ als Transmissionsriemen der Partei oder bei der Bildung eines Blocks antifaschistischer Parteien – überall will die SED das Sagen haben. Bei alldem ist Ulbricht, obwohl formal hinter Pieck und Grotewohl stehend, der „Oberdrahtzieher“ (Fritz Löwenthal) – auch beim Aufbau der Geheimdienste.

Dsa Buch

Ilko-Sascha Kowalczuk: „Walter Ulbricht. Der kommunistische Diktator (1945–1973)“. C. H. Beck, München 2024, 956 Seiten, 58 Euro

So übersteht er auch den Aufstand vom 17. Juni 1953 trotz starker interner Kritik an seinem Führungsstil – er ist nicht zu ersetzen, und entschieden wird in Moskau. Er geht sogar gestärkt aus der Krise hervor und rechnet immer wieder mit Genossen ab, die von der Linie abweichen oder ihm gefährlich werden. Er gibt öffentlich die Parole aus, dass die DDR die Bundesrepublik in wenigen Jahren im Pro-Kopf-Verbrauch wichtiger Güter überholen werde, muss aber intern gegenüber Chruschtschow einräumen, dass der Osten dem Westen ökonomisch nicht gewachsen ist.

Wiederholt bettelt er in Moskau um Vergünstigungen und Kredite für die DDR, um seinen Staat am Leben zu erhalten – und trommelt für den Bau der Mauer. Die macht ihn dann unsterblich, wie Kowalczuk erfrischend direkt schreibt.

Ulbricht betätigt sich auch als Historiker, denn Geschichtsschreibung ist für ihn zuallererst Legitimationswissenschaft. Zentrale Instanz ist der Antifaschismus – Antifaschist zu sein bedeutet hier, „prokommunistisch, antisozialdemokratisch, antiwestlich, prosowjetisch, pro DDR zu sein“.

Polizeistaatlicher Diktator

Ist Ulbricht in den 50er Jahren der polizeistaatliche Diktator mit eiserner Hand, wird er in den 60er Jahren zum Diktator mit unbeschränkten Entscheidungsbefugnissen, dem es gelingt, „die Diktatur moderner aussehen zu lassen, mit mehr Partizipationsmöglichkeiten, geöffneten Karriereschleusen und einer­ höheren Alltagsattraktivität“. Da ist er auf dem Höhepunkt seiner Macht, erkennt aber nicht, dass sein politischer Ziehsohn Erich Honecker auf dem Nebenschauplatz der Kulturpolitik beginnt, an seinem Stuhl zu sägen.

1973, zwei Jahre nach seiner Entmachtung, stirbt Ulbricht. Sein Arzt schreibt später: „Da lag ein Mensch, der sich ein ganzes Leben hindurch abgeplagt hatte, der nun müde war und dennoch glaubte, sich nicht ausruhen zu dürfen.“

Kowalczuk zeichnet Ulbricht überaus plastisch als einen Politiker, der so umtriebig, machterprobt und herrschaftstechnisch begabt ist wie kaum ein anderer. Dabei kommt sowohl das Lächerliche wie auch das Brutale zum Vorschein – ohne dass der Autor ihn lächerlich macht oder dämonisiert. Er ist gefeit davor, Ulbricht näher zu kommen, als es die Quellen hergeben. Spekulieren ist nicht seine Sache. So wird diese Biografie zu einem Grund­lagenwerk, eben auf der Grundlage der Quellen.

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5 Kommentare

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  • Als Jungpionier kannte ich W.Ulbricht als den netten Onkel „Chef der DDR“.



    Da wir keine freie Presse hatten konnten wir nicht ahnen was für ein primitiver Schurke er war.

  • Käptn Blaubär , Moderator*in
    vor 15 Stunden schrieb Lowandorder:

    netter Politonkel von nebenan!

    Auf diesen Kommentar unseres beliebten Foristen LowandOrder hat wohl jemand mittels der Meldefunktion antworten wollen, deshalb hier mal der Hinweis: Eine Meldung läuft nur in der Redaktion ein und ist nicht geeignet, auf Kommentare zu antworten. Dafür bitte einen Kommentar schreiben. Gruß aus der taz!

    • @Käptn Blaubär:

      Nur zu - bin gespannt - “…beim Essen kann mich gar nichts stören…“ (irgendwo by Ringelnatz;))



      Und zu “Spitzbart Bauch und Brille -



      Sind nicht des Volkers Wille!“ immer gern



      www.hdg.de/lemo/be...eck-grotewohl.html



      die 🐀 sitzt daneben (servíce für alle Spätgeborenen!;))

  • Nunja - verweise auf die Kommentare zum Band 1.



    taz.de/Biografie-u...Ulbricht/!5954136/

    kurz - zu diesem Doppelpack -



    “Man muss ein Ei nicht ganz aufessen. Um festzustellen - daß es faul ist!“



    Wie mein sonst nicht geschätzter Deutsch/Geschichte



    Pauker Oberstufe mal treffend anmerkte.



    Dieser abgefeimte Politbrutalo kommt mir schlicht viel zu gut weg •



    & sodele



    “Im Sommer 1931 unterstützte Ulbricht den von den Rechtsparteien, darunter die NSDAP, auf den Weg gebrachten Volksentscheid zur Auflösung des preußischen Landtages am 9. August 1931. Als das absehbare Scheitern des Volksentscheids zur Gewissheit geworden war, ließ die Berliner KPD-Führung noch am selben Tag einen politischen Terrorakt durchführen, nämlich die Ermordung der Polizeioffiziere Anlauf und Lenck vor der Parteizentrale am Bülowplatz. Ulbricht war die geplante Aktion bekannt und er nahm sie billigend in Kauf. Im November 1932 war Ulbricht einer der Organisatoren des Streiks der Berliner Verkehrsgesellschaft, den auch die Betriebszellenorganisation der NSDAP unterstützte.…



    Jahr 1940 verurteilte Walter Ulbricht in der von ihm herausgegebenen Stockholmer Zeitschrift Welt die Vorschläge anderer Widerständler, England im Krieg gegen den NS-Staat zu unterstützen. Er schrieb, dass fortschrittliche Kräfte nicht „den Kampf gegen den Terror und gegen die Reaktion in Deutschland führen“, nur um stattdessen dem „englischen Imperialismus“ zum Sieg zu verhelfen.…



    Bei jedem Kurswechsel der KPdSU erwies sich Ulbricht nach Ansicht seines Biographen Mario Frank als bedenkenloser Opportunist. Rasches Handeln, wie im Fall Anton Ackermann, bot ihm die Möglichkeit, Funktionäre, die nicht schnell genug mitzogen, anzuklagen, auszuschalten und andere aufrücken zu lassen.…



    In der Vorbereitung eines Schauprozesses gegen Angehörige der Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit (KgU) im Jahr 1955 war ihm als Erstem Sekretär des Zentralkomitees der SED der „Vorschlag“ der zuständigen Rechtsabteilung des ZK der SED …

    • @Lowandorder:

      …ff



      für die vom Obersten Gericht der DDR zu verhängenden Strafen mitgeteilt worden. Die Angeklagten hatten in den Jahren 1950 bis 1952 verschiedene Objekte für mögliche Sprengungen ausgekundschaftet, seitdem aber nur Stimmungsberichte und Einzelmeldungen nach West-Berlin geliefert. Irgendwelche Gewaltakte hatte keiner der Angeklagten verübt. Für den Hauptangeklagten Gerhard Benkowitz hatte die Rechtsabteilung die Todesstrafe vorgesehen. Der Angeklagte Hans-Dietrich Kogel sollte zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt werden. Diesen Vorschlag änderte Ulbricht eigenhändig durch Streichung in „Todesstrafe“, korrigierte einen weiteren Vorschlag, der „zwischen 15 und 10 Jahren Zuchthaus“ gelautet hatte, durch „15“, und unterzeichnete das Ganze mit „Einverstanden/W. Ulbricht“. Dann leitete er die Hausmitteilung weiter an „Gen. Grotewohl zur Meinungsäußerung“.[32] Am darauffolgenden Tag erhielt Ulbricht die Vorschläge der Rechtsabteilung für den geplanten RIAS-Prozess. Er richtete sich gegen Informanten des Senders aus dessen Hörerkreis in der DDR. Keiner der Angeklagten hatte eine Gewalttat verübt und im Unterschied zu Benkowitz und Kogel konnte ihnen nicht vorgeworfen werden, irgendwelche konkreten Objekte für mögliche Anschläge ausgespäht zu haben. Für den Hauptangeklagten Joachim Wiebach „beabsichtigte“ die Rechtsabteilung die Strafe „lebenslängliches Zuchthaus“. Ulbricht strich dies durch und schrieb: „Vorschlag Todesurteil“. Dann unterzeichnete er wiederum mit „Einverstanden/W. Ulbricht“.[33] Benkowitz und Kogel starben am 29. Juni und Wiebach am 14. September 1955 in der Zentralen Hinrichtungsstätte Dresden unter dem Fallbeil.



      de.wikipedia.org/wiki/Walter_Ulbricht

      Alles in allem nen netter Politonkel von nebenan! Newahr! & Mit seiner Lotte 🚣‍♂️



      img.welt.de/img/ge...richt-am-Ruder.jpg