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Frankreich vor der EuropawahlGramsci und Geld

Rudolf Balmer
Kommentar von Rudolf Balmer

Der Aufstieg der Le-Pen-Partei hat zwei Ursachen: die Eroberung der kulturellen Macht – und die Unterstützung durch einen Medienunternehmer.

Show und Geld mit Marine Le Pen und Jordan Bardella Foto: Gonzalo Fuentes/reuters

A lle paar Tage werden die Ergebnisse von Wahlumfragen publiziert, die alle zur selben konsternierenden Feststellung führen: In Frankreich ziehen die Listen der extremen Rechten zusammengezählt annähernd 40 Prozent der Wählerschaft an, während die Macronisten diskreditiert und die Linksparteien gespalten sind. Jordan Bardella (28), der Spitzenkandidat des Rassemblement National (RN), paradiert wie ein Vorabwahlsieger durch das Land und die Fernsehstudios.

Bardella und seine Partei müssen gar keine aufwendige Kampagne führen, um am 9. Juni als Sieger dazustehen. Andere machen dies für sie, indem sie die Gegner der extremen Rechten samt und sonders zu aussichtslosen Verlierern erklären. Wählerstudien bestätigen, dass die Partei von Marine Le Pen seit den Präsidentschaftswahlen von 2017 neue Wählerschichten gewonnen hat, die im Übrigen nicht unbedingt dieselben Interessen und Forderungen, oft aber ähnliche Ängste haben: die Bevölkerung der ländlichen und landwirtschaftlichen Gebiete, ein großer Teil der ehemals konservativ Wählenden – und immer mehr Jugendliche zwischen 18 und 25. Was noch unlängst tabu war und in Frankreich als unsichtbare, aber doch vermeintlich undurchdringliche Glasdecke galt, hat sich wie in Luft aufgelöst.

Mittlerweile wird der Rassemblement National nicht mehr von einer Mehrheit als Gefahr für die Demokratie betrachtet. Man hat sich an diese angeblich salonfähig gewordene Rechte gewöhnt. Marine Le Pen hat so oft wiederholt, sie sei keine Extremistin und keine Rassistin, dass man ihr das offenbar langsam abkauft. Doch ihr Programm ist unvermindert radikal nationalistisch, ausländerfeindlich und gehässig antimuslimisch. Aber das kommt in fast harmloser Form daher; die dahintersteckenden Absichten werden nicht explizit ausgesprochen.

In ihrer Kommunikation richtet sich diese extreme Rechte an alle Französinnen und Franzosen, die sich zu kurz gekommen und von der politischen Klasse betrogen fühlen. Sie wählen den RN als „Alternative“ und sagen: „Die sind die Einzigen, die wir noch nicht (an der Macht) hatten.“ Die totale Verharmlosung ist nicht allein der Erfolg einer von Marine Le Pen systematisch betriebenen Strategie der „Entdiabolisierung“ oder die Folge eines Glaubwürdigkeitsverlusts sowohl der Linken wie der traditionellen parlamentarischen Rechten. Damit diese Banalisierung möglich wurde, musste die Rechte das Terrain dafür ebnen.

Marine Le Pen hatte verstanden, dass sie allein mit Wahlkampagnen niemals an die Macht kommen würde, solange die konservative Rechte eine formelle Zusammenarbeit oder Allianz ablehnt. Patrick Buisson, ein ehemaliger Journalist und 2007 Berater des Präsidentschaftskandidaten Nicolas Sarkozy, hatte ihr mit seiner Interpretation der Theorie der kulturellen Hegemonie des italienischen Marxisten Antonio Gramsci ein Strategiekonzept geliefert, das seither von mehreren Vertretern der extremen Rechten in Frankreich zitiert wird: „Die Eroberung der kulturellen Macht erfolgt vor der Übernahme der politischen Macht. Diese wird durch eine konzertierte Aktion intellektueller Aufrufe erreicht. Sie infiltrieren jegliche Kommunikation, jede Ausdrucksform und die akademischen Medien“, schrieb der Kommunist Gramsci im Gefängnis vor seinem Tod 1937. Er dachte dabei an die proletarische Revolution, die französische Rechte übersetzt das zur ihrer Strategie der Machtergreifung.

Was früher als unsichtbare, aber doch undurchdringliche Glasdecke galt, hat sich wie in Luft aufgelöst

Dass es vor der Eroberung der institutionellen Macht eine breite Zustimmung in der Bevölkerung braucht, falls eine Revolution nicht ein isolierter Putschversuch bleiben soll, klingt banal. Die Umsetzung der Theorie durch eine weit über die Partei hinausgehende Rechte, die sich für die gesellschaftlichen und sozialen Errungenschaften des französischen Revolten-Jahres 1968 und für die Überheblichkeit der intellektuellen Elite revanchieren will, erfolgte mit Hilfe der Finanzkraft des Milliardärs Vincent Bolloré.

In kürzester Zeit gelang diesem Magnaten, der in Afrika im Transport- und Rohstoffgeschäft enorm Geld verdient hatte, ein Imperium zu bauen und damit – ohne dies zu verhehlen – Einfluss in seinem Sinne zu nehmen. Nach der Übernahme der Lagardère-Gruppe kontrolliert er jetzt neben zahlreichen Buchverlagen mehrere Fernsehsender (darunter Canal+), Rundfunksender, Magazine wie Télé-Loisirs, Géo, Gala, Voici, Femme Actuelle, Capital, Paris Match sowie die landesweit verbreitete Sonntagszeitung Journal du Dimanche.

Vernetzte Rechte

Diese Medien vervielfachen per Crossmedia-Strategie mit dem gegenseitigen Zitieren ihre Präsenz, und sie greifen dieselben Themen auf, die weitgehend in das Bild der extremen Rechten von einer Krise der Politik und eines moralischen Niedergangs der Gesellschaft passen. Im Vordergrund stehen darum „Faits divers“, zu großen Gesellschaftsfragen aufgebauschte Meldungen von Delikten und Verbrechen, die unversehens und vorzugsweise mit der Migrationsfrage in Verbindung gebracht werden.

Damit gelingt es dieser bestens vernetzten Rechten heute, die öffentliche Debatte zu bestimmen. Wer die Nachrichten verfolgt, bemerkt rasch, wie die rechten Medien mit ihren Titeln Pingpong spielen. Wer dagegen in der Öffentlichkeit noch etwas anderes zu sagen wagt, wird als „Wokist“ verunglimpft und persönlich attackiert. Die öffentlich-rechtlichen Sender oder privaten Medien, die gegen diesen Strom schwimmen, sind in der Defensive.

Der erste Schritt zur Hegemonie der radikalen Rechten in der Meinungsbildung ist längst gemacht. Die Familie Le Pen lässt Antonio Gramsci postum für den Tipp danken. Noch bleibt dessen Theorie aber auch aktuell, um im Gegenteil dem Antifaschismus zum Durchbruch zu verhelfen und den klammheimlichen Versuch der Machtergreifung durch die reaktionäre Rechte zu demaskieren und zu vereiteln.

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Rudolf Balmer
Auslandskorrespondent Frankreich
Frankreich-Korrespondent der taz seit 2009, schreibt aus Paris über Politik, Wirtschaft, Umweltfragen und Gesellschaft. Gelegentlich auch für „Die Presse“ (Wien) und die „Neue Zürcher Zeitung“.
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4 Kommentare

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  • Vielleicht liegt es aber zu einem weiteren Teil daran, dass sich eine Vorhersage der Rechten als richtig herausgestellt hat: Dass der Islam reformunfähig ist und daher auf den Kontakt mit der Welt des 21. Jahrhunderts mit hilfloser Gewalt reagiert. Iran, die Hamas, Erdogans Türkei, Boko Haram, der indonesische Islamismus, und so weiter.



    Mir fällt kein einziges positives Beispiel von relevanter Größe ein.

    Und die Linke hat nichts besseres zu tun,als den Papst für noch schlimmer zu erklären.

  • Inwiefern die beschriebene Cross-Media-Strategie der Nouvelle Droite die „akademischen Medien“ im Sinne Gramscis infiltriert, oder als „intellektuelle Aufrufe“ charakterisiert werden kann, ist mir unklar. Die Vordenker (selten nur -:innen) haben jedoch aus Gramscis Theorie heraus ein heute praktikables Konzept entwickelt, das gewiss auch von der Rechtsoffenheit der großen Social-Media-Kanäle profitiert.



    Die Linke könnte natürlich davon lernen, aber sie darf sich nicht in intellektuellen Debatten verlieren. Es geht um verständliche Ansprache, die die emotionale Besetzung der Sprache berücksichtigt und positive Visionen zeichnet. Stattdessen gefallen wir uns in internem Streit und sprechen fast nur in unverständlicher Theoriesprache. Die hat ihren Platz, aber nicht in öffentlichen Debatten und Programmen.



    Wenn es nicht so gerne missverstanden würde, könnten wir aus der neurologisch untermauerten Ideologieforschung lernen (taz.de/Expertin-ue...ulation/!5359993/). Beispiel: Wir wollen gemeinsam eine Gesellschaft gestalten, in der die Wege kürzer sind. Das schützt das Klima, wendet damit Schaden ab und macht unser Leben bequemer. Das dann konkret ausführen.

  • Bolloré hat ja auch den Clown Zemmour gepäppelt, richtig? Die Abrissbirne vor der Abrissbirne, sozusagen.

  • Der Vollständigkeit halber möchte ich hier auch die dritte Ursache für diesen Aufstieg anfügen: Die Dummheit der Leute.