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Hamburg rührt an unbequemem ErbeDekolonisierung jetzt mit Konzept

Wissen komplettieren, Schuld anerkennen, die Opfer berücksichtigen: Hamburg legt ein „Erinnerungskonzept“ zum Kolonialismus vor.

So residierten Hamburger Reedereien: Elefantenskulpturen im Innenhof des „Afrikahauses“, Hamburg-Altstadt Foto: hh oldman/Wikimedia Commons

Hamburg taz | „Gemeinsame Erinnerungsarbeit leistet einen Beitrag dazu, anhaltende, aus kolonialen Machtgefügen entstandene Ungleichheiten abzubauen. Dies geschieht durch die Vermittlung von verschüttetem oder verschwiegenem Wissen, durch Zuhören und Begegnung“: So steht es in der „Vorbemerkung“ eines Papiers, das am Dienstag Hamburgs Kultursenator Carsten Brosda (SPD) der Presse vorstellte. Nichts Geringeres als ein „stadtweites Erinnerungskonzept“ liegt da nun auf dem Tisch, „zum Umgang mit Hamburgs kolonialem Erbe und seinen gesellschaftlichen Folgen“. Der Titel, „Hamburg dekolonisieren!“, darf dabei im Sinne einer Parteinahme gelesen werden: Ergebnisoffen klingt das nicht.

Aber wie auch? „Hamburg war als Hafenstadt über Jahrhunderte eine der einflussreichsten Kolonialmetropolen Europas“, auch das steht prominent am Anfang des Papiers – dass die hanseatischen Kaufleute sich dabei irgendwie vornehm zurückgehalten hätten, allenfalls widerwillig mitgemacht, ist ja eine bis heute in so manchem Kopf sich haltende Fantasie. „Hamburg steht heute in besonderer Verantwortung, seine koloniale Geschichte kritisch aufzuarbeiten“, besagt dagegen das nun verabschiedete Konzept.

Dass eines in Arbeit sei und federführend dabei die Kulturbehörde, darauf verweist der Senat seit längerem, wenn sich wieder mal Diskussionen um koloniale Hinterlassenschaften entzünden, zuletzt etwa an der Zukunft des weltweit größten Bismarck-Denkmals oder jener der „Forschungsstelle ‚Hamburgs (post-)koloniales Erbe‘“: Deren Finanzierung ist nur für das laufende Jahr gesichert, was Linke und FDP dem rot-grünen Senat wiederholt vorgehalten haben.

Raum für die Zivilgesellschaft

Alle diese Fragen werde das Papier beantworten, war dann der Tenor etwa in Senatsantworten auf solche Oppositions-Anfragen – allein, es sei halt noch nicht fertig. Dass es schneller gegangen wäre, wenn eine einzelne Behörde einen Plan hätte formulieren sollen, sagte jetzt auch Brosda. Aber der Prozess, in dem das Papier eine bedeutende Wegmarke sei – nicht zu verwechseln mit einem Ende –, sei halt partizipativ angelegt, so Brosda weiter: Die Dekolonisierung soll „in Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft, den Nachfahren von Opfern des Kolonialismus und Ver­tre­te­r:in­nen der betroffenen Communities in Wissenschaft, Bildung und Kultur dauerhaft verankert werden“, heißt es in dem Papier.

Das ist gegliedert in fünf „Handlungsfelder“: So soll die wissenschaftliche Aufarbeitung vertieft werden, andererseits das Wissen über Kolonialismus und Hamburgs Rolle möglichst breit wieder in die Gesellschaft gelangen, auch in Kita, Schule und Berufsschule. Das Papier fordert drittens „würdige Formen und Orte des dekolonisierenden Erinnerns“ zu schaffen, den „Dialog zu kolonialem Unrecht“ zu fördern und also zur Versöhnung beizutragen. Und schließlich, als eigenes, fünftes Handlungsfeld, formuliert es ausdrücklich die Stärkung zivilgesellschaftlicher Aktivitäten.

Wie gesagt: Der Prozess an sich, das Aushandeln künftiger Erinnerung soll weitergehen. Dass nun nicht bloß ein Kulturbehörden-Wunschzettel vorgelegt wurde, sondern ein dann „behördenübergreifend“ umzusetzender Kurswechsel – dieser Anspruch könnte sich an einem durchaus überraschenden Detail messen lassen: Unter der Überschrift „Der Beitrag der Innenbehörde zur Dekolonisierung“ geht es dann nämlich prominent um „Antirassismus und Antidiskriminierung“, um „Vorwürfe rassistisch motivierten Fehlverhaltens“ und ihre „Aufarbeitung durch die Dienststellen für interne Ermittlungen“.

Kolonialismus-Forschung gerettet, oder?

Ob mit einer vertieften Beforschung des kolonialen Erbes nun die erwähnte Kolonialismus-Forschungsstelle gerettet ist, darüber gingen die Einschätzungen am Dienstag auseinander: Kaum lag das Senatskonzept vor, murrten die Bürgerschaftslinken, in dem Papier tauche die Einrichtung „nicht mehr auf“, was nachweislich nicht stimmt. Auch der FDP-Abgeordnete Sami Musa beklagte, sie solle „in der bisherigen Form gestrichen und an die Universität verlagert werden“ – im Papier heißt es dazu, es sei „beabsichtigt“, die bisher durch die Arbeitsstelle geleistete Arbeit „dauerhaft“ in einen Uni-Kontext zu überführen.

Wenn an anderer Stelle von zu schaffenden „würdigen Formen und Orte des dekolonisierenden Erinnerns“ die Rede ist, meint das einerseits Straßennamen, aber es drängt sich da auch die Frage auf nach der Zukunft des 34-Meter-Granit-Bismarcks oberhalb des Hamburger Hafens: Der ist eben erst aus Steuermitteln aufgehübscht und gegen Witterungseinflüsse ertüchtigt worden – eher keine tätige Dekolonialisierung, so ein entmooster Riesen-Reichskanzler. Was nämlich scheiterte, ist die lange von Brosda stark gemachte künstlerische Kommentierung: Dem Senator hatte eine Art störende Unterbrechung des Stadtbildes vorgeschwebt.

Nun findet sich ein Hinweis auf eine „textliche Kommentierung am Denkmal“, also: Hinweistafeln; noch 2024 sollen „weitere Vermittlungsformate“ kommen, etwa „Führungen, virtuelle Kartierungen sowie virtuelle Lehr- und Lernmaterialien“. Ob das auch den nach Denkmalssturz Rufenden unter den zivilgesellschaftlichen Ak­teu­r:in­nen reicht?

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