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Mileis ReformpaketMega-Paket wird nur mini gebilligt

In Argentinien bekommt Präsident Javier Milei zwar die angestrebten Sondervollmachten, aber in viel weniger Bereichen und erst mal nur für ein Jahr.

Argentiniens Präsident Javier Milei Foto: Agustin Marcarian/reuters

Buenos Aires taz | In Argentinien hat das Mega-Gesetzespaket des libertären Präsidenten Javier Milei die erste parlamentarische Hürde genommen. Nach einer 20-stündigen Marathonsitzung stimmte das Abgeordnetenhaus am frühen Dienstagmorgen für das Paket. Es ist der erste parlamentarische Erfolg für Milei. Wenn auch erst im zweiten Anlauf.

Was die Abgeordneten nun verabschiedet haben, ist eine abgespeckte Version des Mega-Gesetzespakets. Es hätte sonst ein Scheitern gedroht. Neben umfangreichen Privatisierungs-, Wirtschafts-, Wahl-, Sozial- und Bildungsmaßnahmen sollte es Milei ermöglichen, bis zum Ende seiner vierjährigen Amtszeit mit Sondervollmachten in elf Bereichen zu regieren.

Aber ohne großen parlamentarischen Rückhalt ist der Präsident zu Kompromissen gezwungen, wenn er überhaupt etwas durchsetzen will. Seine Partei La Libertad Avanza stellt nur 38 der 257 Abgeordneten. So blieb Milei zwar seiner verbalen Kraftmeierei treu, während Mitglieder seines Kabinetts mit Teilen der Opposition und den Gouverneuren der Provinzen verhandelten.

„Wir hoffen, dass der Präsident zukünftig einen vernünftigen Umgang und einen konstruktiven Dialog mit dem Kongress findet“, fasste der konservative Abgeordnete Miguel Pichetto zusammen. Am Ende blieben 232 der ursprünglich über 600 Artikel übrig, zu denen 112 neu ausgehandelte Haushalt- und Steuermaßnahmen hinzugefügt wurden.

Statt der geplanten 40 gibt es nur 4 Privatisierungen

142 rechtsliberale, konservative, gemäßigte und libertäre Abgeordnete stimmten schließlich dafür. 106 peronistische, gemäßigt linke und linke Abgeordnete stimmten dagegen, fünf enthielten sich. All das wird nun an den Senat weitergeleitet, der in den nächsten Tagen darüber abstimmen wird.

Nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ wurde abgespeckt. Milei erhält nur in den vier Bereichen Verwaltung, Wirtschaft, Finanzen und Energie Sondervollmachten und die auch nur für ein Jahr. Von den anfangs mehr als 40 staatlichen und mehrheitlich staatlichen Unternehmen, die privatisiert werden sollten, blieben vier übrig, darunter die Fluggesellschaft Aerolíneas Argentinas.

Darüber hinaus gibt es fünf staatliche Unternehmen, deren Tätigkeiten als Konzessionen an private Betreiber vergeben werden können. Dazu gehören die Wasserwerke AySA, der Postdienst Correo Argentina und die Eisenbahngesellschaften Trenes Argentinas und Belgrano Cargas.

Auch das höchst umstrittene Rigi-System zur Förderung von Großinvestitionen wurde gebilligt. Investitionsprojekte mit einem Volumen von mindestens 200 Millionen Dollar sollen von einer Vielzahl von Steuer-, Zoll- und Wechselkursvorteilen profitieren.

Kritisiert wurde, dass kleinere Unternehmen leer ausgehen würden, während vor allem ausländische Konzerne profitieren würden, zumal das Fördersystem vor allem Investitionen in den Bergbau und die Ausbeutung der Schieferöl- und gasvorkommen in Patagonien anziehen soll.

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5 Kommentare

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  • II.



    Das Studium ist nach europäischem Vorbild "kostenlos", d.h. steuerfinanziert. Ich habe noch nirgends so viele Menschen getroffen, die (konrektes Beispiel aus dem Freundeskreis) erst mal Medizin, dann Jura und zum Schluß Philosophie studierten, alles jeweils bis kurz vor Schluss, um dann keines abzuschließen und jetzt was mit Medien machen oder Pilates unterrichten. Bedingt produktiv.



    Dazu dann noch eine pseudosoziale, komplett korrupte Heilspartei, welche das Land seit Jahrzehnten durch wirtschaftlichen Protektionismus lähmt. Dieser sorgt für überhöhte Preise und freut primär die befreundeten Unternehmer, welche sich dafür per Schmiergeldzahlung erkenntlich zeigen.



    Ergebnis: die Argentinier hatten null Vertrauen in ihr Land und folgerichtig in die eigene Währung. Jeder Peso wurde sofort in Dollar gewechselt, das ist der Todesstoß für jede Nationalwirtschaft.



    Aufrechterhalten wurde dies dann durch immere absurdere Regelungen, Devisenkontrollen, Inflation und Steuern, die dem produktiven Teil der Bevölkerung jegliche Lust zum Arbeiten oder Investieren nahmen.



    Ergo, Milei ist das Produkt des Kirchnerismus, nicht der Chicago Boys! Das Land hat Potential (Anbaufläche ohne Ende, Bodenschätze, gut ausgebildete Bevölkerung), aber der alte Zopf muss abgeschnitten werden und dazu ist "el loco con la motosierra" anscheinend notwendig; und ja, sie werden durch ein tiefes Tal gehen und die Hälfte der Bevölkerung die primär von Transfers lebt oder unproduktive "Arbeiten" in der Verwaltung ausführt, wird sich grundsätzlich umstellen müssen.

    Ähnlichkeiten mit anderen Volkswirtschaften sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

    • @Martin Eugenio Restrepo:

      Die gut ausgebildete Bevölkerung ist das Ergebnis des Bildungssystems, das Milei so sehr hasst. Anbaufläche ohne Ende und Bodenschätze sind bestens dazu geeignet, Argentinien einmal mehr in die ungleiche Logik des Tausches von Rohstoffen gegen Industrieprodukte zu zwingen -- diesmal halt im Verhältnis mit China, das inzwischen nicht nur die Thermoskannen für den Mate produziert, sondern im großen Maßstab Arbeitskräfte nach Argentinien exportiert (Supermärkte). Argentinische Arbeitsplätze entstehen in der Landwirtschaft und bei Gas, Lithium, etc. kaum, Privatisierung, Deregulierung und niedrige Steuern führen nicht zum Ankurbeln der Produktion, sondern sie helfen der Finanzindustrie, den Geldwäschern und Herr Musk sabbert bereits wegen dem Lithium. Das war alles schon da, keinerlei Grund zu der Annahme, dass es diesmal anders laufen könnte.

      Der Kirchnerismus ist am Ende und hat das Land von einer Krise in die andere geführt. Milei ist das Produkt des Kirchnerismus, korrekt, und auch von Macris Unfähighkeit, das Ruder auf vernünftigere Weise umzuwerfen. Nur stammen Mileis Rezepte aus einer Zeit, in der es um den Tausch von portugiesischem Wein gegen britische Schafsfelle ging.

      Im Gegensatz zu einigen Nachbarländern sind die Strukturen der argentinischen Zivilgesellschaft anscheinend wenigstens stark genug, um den angekündigten, totalen Ausverkauf zu verhindern. Das Militär bleibt hoffentlich auch in den Kasernen, auch wenn es in Mileis Gruppe eindeutig Personen gibt, die das gerne anders hätten (zum Vergleich mit Pinochets Chile).

      • @tore:

        Ich gebe dir Recht. Die Gefahr des Deals "Rohstoffe gegen Industrieprodukte" besteht. Doch Abschottung ist zum einen unmöglich. Dann geschieht das halt über den Warenaustausch mit Brasilien, Paraguay oder anderen Mercosur-Staaten. Andererseits benötigt Argentinien, wie jedes Land, hochwertige Industrieprodukte, also entweder selber herstellen oder importieren. Uruguay und Chile haben z.B. kaum eigene Industrie, dafür sind sie einfach zu bevölkerungsschwach, wirtschaftlich geht es ihnen jedoch vergleichsweise exzellent. Argentinien muss sich vor allem Nischen suchen, in der dies sinnvoll ist, Handy- oder Autoproduktion wird es kaum sein.



        Dass der Fokus bis zur (Wieder)herstellung einer konkurrenzfähigen Industrie auf Rohstoffen und landwirtschaftlichen Produkten liegt, halte ich für nicht so kritisch. Denn in der multipolaren Welt müssen die Abnehmer fairere Preise zahlen. Wenn der 'Ami' nicht besser zahlen will, dann verkaufe ich halt an den Chinesen, Russen oder Inder.



        Deiner Aussage "Privatisierung, Deregulierung und niedrige Steuern führen nicht zum Ankurbeln der Produktion" möchte ich jedoch widersprechen. Doch, genau das tun sie. Verstaatlichung, Regulierung und hohe Steuern führten in die Misere.

        Dass du die Einwanderung von Ausländern, namentlich Chinesen, nach Argentinien für falsch hältst, nehme ich zur Kenntnis. Dass die Minimercados in AMBA inzwischen fest in chinesischer Hand sind, bestreite ich jedoch nicht.

        Ob Macri unfähig ist, schlechtes Timing besaß oder die Dominanz der Kirchneristen in den Institutionen schuld am Desaster war, kann ich nicht beurteilen. Jahrzehntelange Fehlentscheidungen kann jedoch niemand innerhalb einer Legislaturperiode (auf demokratische und friedliche Weise) zurückdrehen. So lange die Argentinier denken, dass eine Lichtgestalt ihre Probleme durch Handauflegen löst und sie, sobald die unpopulären Maßnahmen ihnen weh tun, enttäuscht den nächsten Vertreter der alten, korrupten Kaste wählen, wird es nur weiter bergab gehen.

  • Jetzt hat die Situation in Argentinien jedoch extrem wenig mit Chile und Pinochet zu tun.



    Argentinien bzw. die Argentinier leben seit Jahrzehnten über ihre Verhältnisse. Habe dort mehree Monate verbracht und die Anspruchshaltung der Bevölkerung gegenüber "dem Staat" war beeindruckend. Der Gesundheitssektor ist komplett steuerfinanziert, d.h. keine Krankenversicherung, keine Kontrolle, ob jemand überhaupt berechtig ist und keine Kontrolle über den effizienten Einsatz der Finanzen. Das führte dann dazu, dass Chilenninen zum Entbinden einfach in eine argentinische Klinik sind, gleiches gilt für andere Nachbarstaaten. Das ist zwar toll solidarisch, aber das muss man sich leisten können.

  • Der Neoliberalismus ist nach wie vor die zweitschlimmste Herrschaftsform des Kapitals nach dem Faschismus. Argentinien ist ein gutes Beispiel für diese These, die damals entstand, als die USA in Chile den Kriminellen Pinochet an die Macht putschen ließ.