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Streit unter den WirtschaftsweisenVorwürfe wegen Wasserstoff-Plädoyer

Wirtschaftsweise Veronika Grimm spricht sich für Wasserstoff im Güterverkehr aus. Das ist brisant, weil sie bei Siemens Energy im Aufsichtsrat sitzt.

Wirtschaftsweise Veronika Grimm Foto: Hannes P Albert/dpa

Freiburg taz | Im neuen Frühjahrsgutachten der sogenannten Wirtschaftsweisen kommt es zu einem offenen Disput im Zusammenhang mit der Zukunft des Güterverkehrs auf der Straße. Während vier Mitglieder des Sachverständigenrats alleine auf den batterieelektrischen Lkw setzen, plädiert das fünfte Ratsmitglied, die Ökonomin Veronika Grimm, in einem Minderheitsvotum dafür, parallel auch auf Wasserstoff und Brennstoffzelle zu setzen.

Diese Positionierung ist vor allem pikant, weil Grimm im Februar in den Aufsichtsrat von Siemens Energy gewählt wurde – ein Unternehmen, das in Berlin zusammen mit Air Liquide, einem der führenden Unternehmen für technische Gase, eine Produktionsanlage für Elektrolyseure aufgebaut hat. Somit profitiert Siemens Energy, eine Abspaltung vom Siemens-Konzern, vom Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft, auch wenn das Unternehmen nach eigenem Bekunden nicht in den Handel mit Wasserstoff einsteigen will, sondern bei seiner Rolle als Anlagenbauer bleibt.

Bereits während Grimms Nominierungsverfahren für den Aufsichtsratsposten hatten die anderen vier Mitglieder des Gremiums Befürchtungen geäußert, dass es bei einer solchen Konstellation zu Interessenkonflikten kommen könnte. Schließlich hat die Energiepolitik eine große wirtschaftspolitische Bedeutung und spielt damit auch eine große Rolle in den Stellungnahmen der Wirtschaftsweisen. Die anderen Mitglieder des Gremiums forderten Grimm deswegen damals auf, sich für eines der beiden Mandate zu entscheiden. Konflikte drohen vielfach: Siemens Energy ist an vielen Stellen der Energiewirtschaft – von der Kraftwerkstechnik bis zur Übertragungstechnik – ein führender Akteur.

Gleichwohl war aber formal gegen die Annahme des Aufsichtsratspostens durch die Ökonomin nichts einzuwenden. Es habe auch schon früher Sachverständige gegeben, die Aufsichtsratsposten innehatten, sagte Grimm, als die Nominierung erfolgte. „Compliance­mäßig“ sei das abgeklärt, ließ sie verlauten.

Neue Compliance-Regeln gefordert

Die anderen Mitglieder wandten damals ein, dass das Sachverständigenratsgesetz von 1963 vor allem darauf angelegt sei, die Unabhängigkeit des Gremiums von der Politik und von Wirtschaftsverbänden zu gewährleisten. Sie sprachen sich deswegen für neue Transparenz- und Compliance-Standards aus, um möglichen Interessenkonflikten entgegenzuwirken.

Seit 2020 ist Grimm Mitglied des Sachverständigenrats. Sie ist Professorin an der Technischen Universität Nürnberg und beschäftigt sich dort mit Energiesystemen und dem Marktdesign der Energiewirtschaft. Das Wirtschaftsmagazin Capital bezeichnete sie als „eine der renommiertesten Ökonominnen des Landes“, die aber auch „mitunter als kompliziert in der Zusammenarbeit“ gelte. Das dürfte auch ihrer Diskursfreudigkeit geschuldet sein.

Mit dem Frühjahrsgutachten mündet nun also die Debatte, die schon während der Nominierung intensiv geführt wurde, in das erste große inhaltliche Konfliktfeld. Vorab wollten die Mitglieder des Sachverständigenrats sich nicht zu dem Papier und dem Minderheits­votum äußern. Man habe sich darauf verständigt, vor der Vorlage des Gutachtens am Mittwochnachmittag keine öffentlichen Stellungnahmen abzugeben, heißt es.

Damit erreicht die seit Jahren leidenschaftlich diskutierte Frage, ob Batterien oder Brennstoffzellen für Nutzfahrzeuge die bessere Variante sind, nun das einflussreiche ökonomische Beratergremium der Bundesregierung. Zwar haben in der Fachöffentlichkeit die Batterien auch im Nutzfahrzeugsektor heute viele Fürsprecher, doch auch die Brennstoffzelle hat weiterhin ihre Anhänger. Technisch geht es darum, dass im Falle der Brennstoffzelle schwere Batterien verzichtbar werden, weil der Strom für den Antrieb erst an Bord des Fahrzeugs aus Wasserstoff erzeugt wird. Der Wasserstoff soll perspektivisch mit überschüssigem Solar- und Windstrom erzeugt werden.

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13 Kommentare

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  • Sollte der Elktrifizierungswahn uns tatsächlich Lastautos bescheren, die an gesamt (Eigen- + Ladungs-) -Gewicht ein Drittel Batterie mitschleppen, so: gute Nacht. Noch wüster wird aber die Folgerung für Sonderfahrzeuge aller Art. Die werden dann so teuer wie heute gradmal Spezial-Militärtrucks (Oshkosh ...), oder noch teurer, weil Verbrennermotoren, Getriebe, und für entsprechende Antriebsstränge dimensionierte Fahrzeugrahmen nur noch in Kleinserie gebaut werden werden. Krankenwagen und Feuerwehrautos zu Apothekenpreisen. Und sollten stattdessen letztlich die Brennstoffzelle (H2) oder H2/Methan-Motoren Einzug halten: In Katastrophengebieten wird es dann keine Möglichkeit des Nachtankens geben.Gas ist kompliziert im Handling.



    ÖKO heißt in seiner ur-sprünglichen und grund-legenden Bedeutung: Denken in Zusammenhängen, ALLE Zusammenhänge mitdenken. Die Elektrophantasien Habeck'scher Manier sind alles andere, nur kein Denken in ökonomischen und ökologischen Gesamtzusammenhängen. Zum Glück werden die Strompläne nie Realität werden. Wobei mir Grüne an der Regierung, die das irgendwann einsehen und andere Wege beschreiten, ja lieber wären, als wenn ein Herr Merz das alles in den Papierkorb fegt.

  • Die "Wirtschaftsweisen" sind ein Feigenblatt der Politik, damit sie ihre Entscheidungen nicht selbst verantworten müssen. Wenn es schief geht, waren es die Berater. Die Berster haben nach bestem Wissen beraten



    Entschieden hat die Politik!

  • "Konflikte drohen vielfach: Siemens Energy ist an vielen Stellen der Energiewirtschaft – von der Kraftwerkstechnik bis zur Übertragungstechnik – ein führender Akteur."

    --> Das glatte Gegenteil von Konflikten ist der Fall. Siemens Energy ist an allen Formen der Energieerzeugung als Anlagenbauer beteiligt. Das heißt im Umkehrschluss, egal welche Technologie sich durchsetzt, Siemens Energy verdient IMMER Geld.

    Das ist kein Konflikt, sondern geradezu das Gegenteil eines Interessenskonflikts. Es kann Frau Grimm in Hinblick auf ihren Aufsichtsratsposten herzlich egal sein, ob Batterie oder Wasserstoff, ihr Arbeitgeber wird mit beidem reich. Daher gehe ich davon aus, dass es keinerlei interessengeleitete Empfehlungen von Frau Grimm bei ihrer Minderheitsmeinung gibt.

    Das ist auch nicht überraschend, denn batteriebetriebene Fahrzeuge sind (aufgrund der Batterie) unfassbar schwer. Bei einem Tesla macht die Batterie ca. 1/3 des Gesamtgewichts aus und der muss nur sich selbst fahren.

    Überträgt man diese Maßstäbe auf LKW wird bei einem 40t LKW zukünftig eine 13t-Batterie verbaut. Bleiben nur noch 27t für das Frachtgut.

    Eine einigermaßen absurde Feststellung, dass das die Zukunft sein soll.

  • Was Grimm macht, ist zwar legal, aber wirtschaftsethisch nicht legitim. Der Interessenkonflikt ist haarsträubend. Und weil sie dass nicht einsehen will, ist sie generell ungeeignet als Wirtschaftsweise.

  • Da die Position im Aufsichtsrat bekannt ist, kann sich jeder Empfänger des Gutachtens entsprechend auseinandersetzen. Die Sache ist transparent.

    Ganz weit hergeholt ist die Meinung danz sicher jedenfalls auch nicht.

  • Man sollte die Diskussion über mögliche Interessenkonflikte und reale inhaltliche Konflikte voneinander trennen.

    Natürlich würde Siemens von einem Ausbau der Wasserstoffwirtschaft profitieren. Es ist darum nur schwer vorstellbar, dass Frau Grimm ihre Doppelrolle wirklich unbefangen ausfüllen kann.

    Inhaltlich halte ich den Tunnelblick auf die E-Mobilität allerdings für fatal. Man sollte nie Alles auf eine Karte setzen, wenn es nicht wirklich und unmittelbar um "Alles oder Nichts" geht.

    Nutzfahrzeuge z. B. müssen auch in Zukunft einen Nutzen erbringen, der mit ihrem heutigen mindestens vergleichbar ist. Beim Gewicht aktuell verfügbarer Batterien (das die mögliche Nutzlast entsprechend reduziert) würden wir erheblich mehr Nutzfahrzeuge benötigen, um das Transportvolumen überhaupt bewältigen zu können. Und die zusätzlichen Fahrzeuge wären dann natürlich auch auf unseren Straßen unterwegs.

    Wasserstoff kann man grundsätzlich auch asynchron produzieren, also (immer nur) dann, wenn wir zu viel Strom von Solar- und Windkraftanlagen bekommen und diese dann teilweise abschalten. Die Wasserstoffproduktion ist eine Möglichkeit, den Stromüberschuss dann zu nutzen und zu speichern.

    • @Al Dente:

      Im Straßenverkehr jahrzehntelang alles auf die Karte "Verbrenner" zu setzen, wofür wir die nötige Energie überwiegend aus undemokratischen Schurkenstaaten beziehen mussten, das war natürlich kein Problem.

      Aber jetzt auf Elektromobilität zu setzen, wofür wir die nötige Energie zu 100% im Inland erzeugen können, ist natürlich falsch.

      Bei der großen Mehrheit der heutigen Nutzfahrzeugtransporte ist Ladefläche und nicht (theoretisches) Ladevolumen oder Gewicht der limitierende Faktor.

      Wenn wir Wasserstoff nur dann produzieren, wenn wir Überschüsse an EE haben, dann wird der Wasserstoff teuer sein, weil die Elektrolyse dann von 8760 Stunden im Jahr nur so ca. 700 Stunden im Jahr läuft.

      • @GuidoH:

        Verbrenner waren keine staatliche Vorgabe. Es wurden ja sogar E-Autos gebaut. Sie konnten sich aufgrund mangelnder Funktionalität allerdings nicht durchsetzen, nicht mal als Zweitwagen für den Nahbereich (Strom für 100km Reichweite hätte man in 5 Stunden auch an Haushaltssteckdosen laden können).

        Anders als Sie halte ich Gewicht und (mangelndes) Volumen sehr wohl für limitierende Faktoren. Wie wäre es, wenn z. B. Müllwagen nur noch die Hälfte des Mülls aufnehmen können? Was wäre es, wenn Mähdrescher nach einer Betriebsstunde erstmal zwei an die Steckdose müssten oder wegen Übergewichts dauernd im Acker versinken? Wie weit kommt man mit elektrischen Zugmaschinen, die Windräder hinter sich her ziehen, mit Schwerlastkränen, größeren Abschleppwagen (für Busse/LKW)? Und auch wenn es nicht so schwer wird - Volumen ist auf jeden Fall gefragt.

  • Güterverkehr gehört auf die Schiene, wie schon seit 50 Jahren analysiert und gefordert. Der "letzte Kilometer" geht dann elektrisch, da um den Faktor 10 günstiger und vor Ort von jedem Logistiker selbst produzierbar ohne Abhängigkeit von Zulieferern, wie z.B. Siemens.



    So weise sind manche Wirtschaftsweisen wohl doch nicht, oder versuchen die auch nur möglichst viel Geld in ihrem Job zu machen, damit die Rente stimmt?

  • Zum Thema Wasserstoff (und Energiewende) hier ein Link zu einem Vortrag von Prof. Dr.-Ing. Olaf Goebel, Lehrgebiet "Energietechnik" an der Hochschule Hamm-Lippstadt,



    www.youtube.com/watch?v=VvnmBOLuvGw



    Heute benötigt die Industrie bereits in Ihren Produktionsprozessen Wasserstoff, der zur Zeit aus fossiler Energie hergestellt wird. Um den Wasserstoff mit Hilfe von Strom zu gewinnen, würde derzeit etwa 13 Prozent des gesamten in D zur Verfügung stehenden Stroms benötigt. Solange dieser Prozess nicht umgestellt ist, sollte man sich keine weiteren Gedanken zum Einsatz von Wasserstoff im LKW-Verkehr oder im Heizungsbereich machen, so sein Fazit (ca Minute 39).

  • Wasserstoff oder E-Fuels. Anders wirds nicht gehen. Sonst kommen bei Stromausfall (Ahrtal!) weder Feuerwehr zum Helfen noch Lebensmittellieferlaster zum Supermarkt. Dessen Kassen (und evtl Kühlung) lassen sich mit nem Diesel-Generator des THW zwischen-betreiben, falls es länger dauert mit der zer- und/oder gestörten Infrastruktur. E-Töfftöffs lassen sich da und dann aber nirgendwo laden. Kleine nich und große erstrecht nich.



    Nuramrande: Flüssige Treibstoffe kann mensch ausm Kanister nachfüllen, sowie aus jedem beliebigen Tanklaster oder Heizöltank, auch am Katastrophenstraßenrand. Für H2 oder Methan brauchts, egal wo, massig Infrastruktur. E-Fuels sind die Lösung mit dem schlimmsniedrigsten Wirkungsgrad - aber für Feuerwehr, THW, Bundeswehr, Polizei, Krankenwagen, Transport, Bau-, Forst- und Landwirtschaft komm' wir nich drumrum. Bevor wir die tragfähige Treibstoff-Lösung flächen- und volumendeckend haben, wird's bei Diesel bleiben. Da werden sich Habeck'sche Elektroträumer noch umkucken.



    Und wie steht's mit künftigem Um-die-Welt-Fliegen ? Nach Peking konnte mensch mal im Schlafwagen (wenn wohlhabend und im Urlaub). Nach Sidney, San Francisco oder Havanna aba nich.

    • @lesnmachtdumm:

      Es geht um den Güterverkehr. Ob weniger als 1% Sonderfahrzeuge von Feuerwehr und THW, die die Fahrzeuge ohnehin teils 40-50 Jahre nutzen, noch länger mit Diesel fahren, ist für den CO2-Ausstoß weitgehend irrelevant. Und das ist überhaupt kein Grund 99,x % des LKW-Bestandes nicht umzustellen.

      Deswegen können und werden wir den Güterverkehr auf der Straße auf Elektromobilität umstellen. Die Industrie hat sich diesbezüglich auch längst klar positioniert.

      Beim Fliegen gibt es Lösungen. Da ist die EU aber extrem unambitioniert. Alle modernen Triebwerke vertragen 50% SAF-Anteil, in Kürze 100%. British Airways, KLM usw. streben für 2030 alle SAF-Quoten von 10% an, ein so extrem auf Kostenminimierung getrimmter Laden wie Ryanair sogar 12,5%. Das impliziert, dass die annehmen, diese Werte bequem erreichen zu können. Und was macht die EU? Schreibt für 2030 6% SAF-Anteil vor. Wir müssen bis 2030 15-20% vorschreiben und bis 2050 100% (EU-Vorgabe 42% bis 2045). Dann wäre Fliegen schon mal CO2-neutral. Die restlichen Klimawirkungen müssen über verpflichtende, wirksame Kompensation ausgeglichen werden (keine windigen Aufforstungsprojekte).

    • @lesnmachtdumm:

      "Dessen Kassen (und evtl Kühlung) lassen sich mit nem Diesel-Generator des THW zwischen-betreiben, falls es länger dauert mit der zer- und/oder gestörten Infrastruktur."

      Mit demselben Diesel-Generator lassen sich im Notfall auch die leeren Autobatterien aufladen.