Proteste auf den Kanaren: Als Tourist zum Schimpfwort wurde
Die Menschen auf den Kanarischen Inseln leiden unter dem Massentourismus, der ihnen Wasser, Wohnungen, Wohlstand raubt. Jetzt haben sie es satt.
M anche Orte werden zu Tode geliebt. Venedig, Sevilla, Dubrovnik, die Kanaren. Den Menschen vor Ort reicht es. Überteuerter und als Ferienwohnung enteigneter Wohnraum. Hohe Lebenshaltungskosten und Preise. Entseelte, überfüllte Plätze und zu Kellner und Zimmermädchen degradierte Einheimische. Und ein Lebensstil in schicken Resorts, der die knappen Wasserressourcen im obligatorischen Schwimmbad oder auf dem üppig begrünten Golfplatz ausschöpft. Dabei wird in touristischen Regionen Südeuropas das Wasser immer häufiger rationiert.
Der Tourismus an den europäischen Hotspots – und nicht nur dort – kann sein Versprechen von Einmaligkeit, Natur, dem Besonderen, dem Schönen nur noch in kleinen Konsumhäppchen einlösen. Das Erlebnis der einmaligen Lagunenstadt Venedig oder des entspannten Sevilla ist längst im touristischen Getriebe niedergetrampelt.
Die Frage bleibt: Warum fahren wir trotz der vorprogrammierten Enttäuschung zu den ewigen Hotspots? Der Massentourismus wächst. Neue Orte, die eine schnelle Instagram-Karriere hinlegen, kommen dazu. Ob eine Wiese am Königssee, ein Top-Restaurant in Singapur oder Dubai, die Strahlkraft der Instagram-Posts, neue touristische Hotspots zu schaffen ist unheimlich.
Nur der Protest der Bevölkerung kann die Politik ändern
Die Politik ergreift nur zaghaft Maßnahmen. Dabei sind Regelungen für den Wohnungsmarkt mit hohen Auflagen für Ferienwohnungen noch das nachhaltigste Mittel. Gebühren für überlaufene Plätze oder Eintrittsgeld für die Stadt werden kaum einen Urlauber abschrecken. Das Argument von Arbeitsplätzen und Investoren hat es bislang fast immer geschafft, jegliche politischen Bemühungen sozial und ökologisch orientierter Kräfte auszuhebeln und die Restnatur bei Interesse touristischer Vermarktung preiszugeben.
Nur der Protest der Bevölkerung kann die Politik zwingen, der scheinbaren Alternativlosigkeit zum Großinvestor und Großprojekt etwas entgegenzusetzen. Genau das fordern die Demonstranten auf den Kanaren und anderswo. Sie wollen einen anderen, einen verträglicheren Tourismus, der ihnen nicht die Luft zum Atmen nimmt. Die Politik in Spanien, Italien, Griechenland ist dafür zu korrumpierbar, zu kurzatmig. Zu schön sind die Zahlen ferienbedingter Vollbeschäftigung. Zu unpopulär Beschränkungen und zu schwierig ist das Umdenken auf langfristige Perspektiven.
Der Ausbau eines Flughafens geht schneller als der Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs. Touristische Großketten bringen fertige Konzepte neuer Angebote, die nachhaltige, regionale Initiativen sich mühsam erarbeiten. Und wir alle sind es gewohnt, mal kurz auf den Kanaren durchzuatmen. Dabei gilt das Fliegen immer mehr als uncool, vielleicht bald schon das Reisen überhaupt. Das wäre schade.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
113 Erstunterzeichnende
Abgeordnete reichen AfD-Verbotsantrag im Bundestag ein
Vorgezogene Bundestagswahl
Ist Scholz noch der richtige Kandidat?
Bürgergeld-Empfänger:innen erzählen
„Die Selbstzweifel sind gewachsen“
Ein-Euro-Jobs als Druckmittel
Die Zwangsarbeit kehrt zurück
Aus dem Leben eines Flaschensammlers
„Sie nehmen mich wahr als Müll“
USA
Effizienter sparen mit Elon Musk