piwik no script img

Proteste auf den KanarenAls Tourist zum Schimpfwort wurde

Edith Kresta
Kommentar von Edith Kresta

Die Menschen auf den Kanarischen Inseln leiden unter dem Massentourismus, der ihnen Wasser, Wohnungen, Wohlstand raubt. Jetzt haben sie es satt.

Den Kanaren droht der Kollaps: Be­woh­ne­r:in­nen protestieren gegen den Massentourismus Foto: Europa Press Canarias

M anche Orte werden zu Tode geliebt. Venedig, Sevilla, Dubrovnik, die Kanaren. Den Menschen vor Ort reicht es. Überteuerter und als Ferienwohnung enteigneter Wohnraum. Hohe Lebenshaltungskosten und Preise. Entseelte, überfüllte Plätze und zu Kellner und Zimmermädchen degradierte Einheimische. Und ein Lebensstil in schicken Resorts, der die knappen Wasserressourcen im obligatorischen Schwimmbad oder auf dem üppig begrünten Golfplatz ausschöpft. Dabei wird in touristischen Regionen Südeuropas das Wasser immer häufiger rationiert.

Der Tourismus an den europäischen Hotspots – und nicht nur dort – kann sein Versprechen von Einmaligkeit, Natur, dem Besonderen, dem Schönen nur noch in kleinen Konsumhäppchen einlösen. Das Erlebnis der einmaligen Lagunenstadt Venedig oder des entspannten Sevilla ist längst im touristischen Getriebe niedergetrampelt.

Die Frage bleibt: Warum fahren wir trotz der vorprogrammierten Enttäuschung zu den ewigen Hotspots? Der Massentourismus wächst. Neue Orte, die eine schnelle Instagram-Karriere hinlegen, kommen dazu. Ob eine Wiese am Königssee, ein Top-Restaurant in Singapur oder Dubai, die Strahlkraft der Instagram-Posts, neue touristische Hotspots zu schaffen ist unheimlich.

Nur der Protest der Bevölkerung kann die Politik ändern

Die Politik ergreift nur zaghaft Maßnahmen. Dabei sind Regelungen für den Wohnungsmarkt mit hohen Auflagen für Ferienwohnungen noch das nachhaltigste Mittel. Gebühren für überlaufene Plätze oder Eintrittsgeld für die Stadt werden kaum einen Urlauber abschrecken. Das Argument von Arbeitsplätzen und Investoren hat es bislang fast immer geschafft, jegliche politischen Bemühungen sozial und ökologisch orientierter Kräfte auszuhebeln und die Restnatur bei Interesse touristischer Vermarktung preiszugeben.

Nur der Protest der Bevölkerung kann die Politik zwingen, der scheinbaren Alternativlosigkeit zum Großinvestor und Großprojekt etwas entgegenzusetzen. Genau das fordern die Demonstranten auf den Kanaren und anderswo. Sie wollen einen anderen, einen verträglicheren Tourismus, der ihnen nicht die Luft zum Atmen nimmt. Die Politik in Spanien, Italien, Griechenland ist dafür zu korrumpierbar, zu kurzatmig. Zu schön sind die Zahlen ferienbedingter Vollbeschäftigung. Zu unpopulär Beschränkungen und zu schwierig ist das Umdenken auf langfristige Perspektiven.

Der Ausbau eines Flughafens geht schneller als der Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs. Touristische Großketten bringen fertige Konzepte neuer Angebote, die nachhaltige, regionale Initiativen sich mühsam erarbeiten. Und wir alle sind es gewohnt, mal kurz auf den Kanaren durchzuatmen. Dabei gilt das Fliegen immer mehr als uncool, vielleicht bald schon das Reisen überhaupt. Das wäre schade.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Edith Kresta
Redakteurin
Schwerpunkte: Reise und Interkulturelles. Alttazzlerin mit Gang durch die Institutionen als Nachrichtenredakteurin, Korrespondentin und Seitenverantwortliche. Politologin und Germanistin mit immer noch großer Lust am Reisen.
Mehr zum Thema

5 Kommentare

 / 
  • Manche Städte werden von der Bevölkerung aufgegeben, weil sie durch den Klimawandel versinken und andere, weil sie zu einer Art Hotelkulisse verkommen. Schöne neue Welt. Lasst uns jammern und genauso weitermachen, denn man will ja selbst nach Venedig. Die anderen sollten mal ihre Privilegien checken

  • Dieses Phänomen ist fast deckungsgleich auf den Nordseeinseln zu beobachten. M.W. hat das Land Niedersachsen allerdings zaghafte Maßnahmen dagegen eingeleitet. Es kann doch nicht sein, dass etwa Bewohner Norderneys keine Wohnung finden, Appartements jedoch in flauen Zeiten leer stehen und in der Hochsaison verdienen sich die Vermieter schwindelig. Dafür aber gibt es Namen: Raffgier, Rücksichtslosigkeit, Selbstsucht. Es wird allerhöchste Zeit, diesem Drama ein Ende zu bereiten. Doch das ist ja gegen die goldene Regel, dass der Markt alles schon von selbst richten wird. Wo nur hatte ich das schon mal gehört??

  • Kann ich VOLL verstehen. Diese Art ein Stückchen Erde zu vermarkten und zu verkaufen ist abartig. Venedig reagiert jetzt auch: 5 € pro Tourist und Tag. Amsterdam verbietet weitere Hotelbauten. Es ist richtig. Weniger ist eben oft mehr.

    • @Ernie:

      Das ist auch alles schön und gut, nur woher kommen mehr Touristen? Ganz einfach. Es werden immer mehr Menschen, in den letzten 40 Jahren hat sich die Weltbevölkerung verdoppelt und es kommen in Folge dessen immer mehr Menschen zu Wohlstand. Daraus ergeben sich nun mal mehr Touristen. Ob das gut oder schlecht ist, ist so eine Sache. Die ostfriesischen Inseln haben nichts ausser Tourismus, dort könnte eigtl gar keiner leben, da es dort keine anderen Jobs gibt die nicht mit dem Tourismus zu tun haben. Regeln ja, aber generell Touristen als das schlechte anzusehen ist falsch, denn diese bringen an bestimmten Orten überhaupt erst das Geld um dort leben zu können.

      • @Nils Kraus:

        Für bestimmte Orte trifft das zweifellos zu, andere bestimmte Ort werden einfach nur zerstört.



        Der Instagram-Tourismus hat schon viele Naturdenkmäler sowie seltene Pflanzenansammlungen schlichtweg zertrampelt. Dabei werden die Blickfänge oft nicht mal selbst genossen, sondern nur zwecks Angeberei durch die Welt gemailt.