Nach Ausscheiden von Cum-Ex-Ermittlerin: Rätseln um überraschenden Abgang
Die Kündigung von Anne Brorhilker sorgt für Kritik. Die Opposition fordert Klarheit vom NRW-Justizminister – er muss dem Rechtsausschuss berichten.
Brorhilkers Ermittlungen führten zu den ersten Urteilen im größten Steuerskandal der bundesdeutschen Geschichte – und brachten sogar Olaf Scholz in Erklärungsnot. Die eigens für den Cum-Ex-Steuerskandal eingerichtete Hauptabteilung von Oberstaatsanwältin Brorhilker ermittelte in rund 120 Verfahren gegen mehr als 1.700 Beschuldigte. Banker, Berater und Aktienhändler ließen sich Steuern erstatten, die nie jemand gezahlt hatte. Es geht um einen Schaden in Höhe von schätzungsweise 12 Milliarden Euro.
Für Kritiker drängt sich indes die Frage auf, ob Brorhilkers Abgang in Zusammenhang mit dem Streit rund um die geplante Justizreform des zuständigen NRW-Ressortchefs Benjamin Limbach (Grüne) steht. Limbach hatte im Herbst versucht, tiefgreifende Veränderungen bei der Staatsanwaltschaft Köln durchzusetzen, insbesondere Brorhilkers Abteilung aufzuspalten. Der Minister gab sein Vorhaben schließlich auf.
„Ich war über die Pläne, meine Hauptabteilung aufzuspalten, schon sehr überrascht“, sagte Brorhilker. Sie habe „das damals auch nicht als die Unterstützung verstanden, als die es gedacht gewesen sein sollte“. Inzwischen habe es aber viele Gespräche gegeben und das Ministerium habe vier weitere Stellen geschaffen. „In Köln sind sie auf einem guten Weg.“ Die Gefahr, dass die Ermittlung mit ihrem Ausscheiden ins Stocken geraten könnte, sehe sie nicht.
Scharfe Kritik von SPD und FDP
Grund für ihren Abgang sei nicht der Zwist mit Limbach gewesen, betonte Brorhilker. Die Opposition ist jedoch skeptisch. „Wenn eine Spitzenbeamtin kündigt, steht die Frage im Raum, inwieweit die Landesregierung Verantwortung trägt“, sagt Elisabeth Müller-Witt, Vize-Vorsitzende der oppositionellen SPD-Fraktion im Landtag. Justizminister Limbach habe mit seiner Personalpolitik in der Staatsanwaltschaft und in den Gerichten für eine nie gekannte Unzufriedenheit gesorgt. „Wir müssen aufklären, wieso eine hoch qualifizierte und erfolgreiche Beamtin dem Land den Rücken kehrt“, so Müller-Witt.
FDP-Rechtsexperte Werner Pfeil sieht in Brorhilkers Abgang „tiefgehende Probleme innerhalb der NRW-Justiz“. Seine Fraktion forderte Limbach auf, „sich umgehend zu den Vorwürfen zu äußern, die im Raum stehen. Der Verdacht, dass der Minister gezielt Informationen manipuliert haben könnte, um das Parlament in die Irre zu führen, ist erschreckend“, so Pfeil weiter. Die Oppositionsfraktionen SPD und FDP fordern einen Bericht des Justizministers in der nächsten Sitzung des Rechtsausschusses im Landtag am 3. Mai. Sogar ein Untersuchungsausschuss ist im Gespräch.
Brorhilker habe sich um die strafrechtliche Aufarbeitung der Cum-Ex-Machenschaften außerordentlich große Verdienste erworben, teilte Limbach mit. „Es ist deshalb bedauerlich, dass sie für uns überraschend mitgeteilt hat, die Justiz Nordrhein-Westfalen verlassen zu wollen.“
Die Cum-Ex-Chefermittlerin will sich künftig als Geschäftsführerin der Nichtregierungsorganisation Bürgerbewegung Finanzwende für den Kampf gegen Finanzkriminalität einsetzen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Vorgezogene Bundestagswahl
Ist Scholz noch der richtige Kandidat?
113 Erstunterzeichnende
Abgeordnete reichen AfD-Verbotsantrag im Bundestag ein
USA
Effizienter sparen mit Elon Musk
Bürgergeld-Empfänger:innen erzählen
„Die Selbstzweifel sind gewachsen“
Ein-Euro-Jobs als Druckmittel
Die Zwangsarbeit kehrt zurück
Aus dem Leben eines Flaschensammlers
„Sie nehmen mich wahr als Müll“