Hamburger Cum-Ex-Affäre: Vieles spricht gegen Scholz

Fazit nach drei Jahren Untersuchungsausschuss: Linke sieht Indizien, dass der Bundeskanzler dem Finanzamt einen Wink zugunsten der Warburg-Bank gab.

Olaf Scholz verlässt den Zeugenstand im Hamburger Untersuchungsausschuss

Geredet aber nichts gesagt: Olaf Scholz verlässt den Zeugenstand im Hamburger Untersuchungsausschuss Foto: Christian Charisius

HAMBURG taz | Bundeskanzler Olaf Scholz und der Hamburger Bürgermeister Peter Tschentscher (beide SPD) haben in ihren früheren Ämtern einen millionenschweren Steuerraub durch Cum-Ex-Aktiengeschäfte unterstützt. Diesen Vorwurf erhebt die Linksfraktion in der Hamburgischen Bürgerschaft nach einem dreijährigen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss. „Wir haben keinen Beweis für eine direkte Einflussnahme von Scholz und Tschentscher gefunden – aber die Indizien sind überwältigend“, sagte Norbert Hackbusch, Obmann der Linken im Ausschuss.

Die Linke präsentierte ihr Fazit im Vorgriff auf eine Sitzung des Untersuchungsausschusses am Mittwoch. Dort soll ein Zwischenbericht diskutiert werden, der die bisherigen Erkenntnisse darstellen und bewerten soll. Ein Zwischenbericht deshalb, weil die Opposition aus CDU, Linken und FDP beantragt hat, den Untersuchungsauftrag auf die ehemalige HSH Nordbank – heute Hamburg Commercial Bank – zu erweitern. Die ehemalige Landesbank hatte ebenfalls Cum-Ex-Geschäfte gemacht.

Diese Geschäfte wurden, wie Gerichte inzwischen mehrfach geurteilt haben, einzig und allein zu dem Zweck betrieben, den Steuerzahler zu bestehlen. Dabei wurde durch den wechselseitigen Kauf, Verkauf und das Leihen von Aktien mit und ohne Dividendenanspruch Rückerstattungsansprüche erzeugt für Kapitalertragssteuern, die gar nicht bezahlt worden waren. Der Schaden wird allein in Deutschland grob auf zehn Milliarden Euro geschätzt.

Aufarbeitung begann mit einer Falschinformation

In dem Fall, in den Scholz als damaliger Bürgermeister und Tschentscher als damaliger Finanzsenator involviert sind, ging es um die traditionsreiche Hamburger Privatbank M.M.Warburg. In den Jahren 2016 und 2017 wollte die Finanzbehörde die Erstattung von 90 Millionen an Steuern aus Cum-Ex-Geschäften verhindern. Nach Überzeugung der mit der Bank befassten Betriebsprüfer ging es jedoch um Steuern, die die Bank gar nicht bezahlt hatte.

Bekannt wurde das Ende 2019 und die Aufarbeitung in Hamburg begann mit einer Falschinformation, um nicht zu sagen: einer Lüge des Senats. Im November 2019 wollte der Linken-Abgeordnete Norbert Hackbusch wissen, ob es im Zusammenhang mit den Steuererstattungen persönliche Gespräche „zwischen dem Bankhaus M.M.Warburg und dem Senat“ gegeben habe und ob der Erste Bürgermeister Olaf Scholz darin eingebunden gewesen sei? Antwort: „Nein.“

Tatsächlich gab es mehrere solcher Gespräche im Amtszimmer des Bürgermeisters. Vor dem Ausschuss konnte sich Scholz später daran erinnern, dass diese stattgefunden hätten, nicht jedoch an deren Inhalt. Dabei ging es um Forderungen in dreistelliger Millionenhöhe, die angeblich den Fortbestand der Bank gefährdet hätten.

Die Affäre wurde auch vom Bundestag aufgegriffen und nachdem die Opposition sich von Tschentscher im Haushaltsausschuss hingehalten gefühlt hatte, initiierte sie den Untersuchungsausschuss. Dessen Ziel: „Klärung der Frage, warum der Senat und die Steuerverwaltung bereit waren, Steuern in Millionenhöhe mit Blick auf Cum-Ex-Geschäfte verjähren zu lassen und inwieweit es dabei zur Einflussnahme zugunsten der steuerpflichtigen Bank und zum Nachteil der Hamburgerinnen und Hamburger kam“.

Zu den Indizien, dass es zu einer solchen Einflussnahme kam, gehören nach einer Auflistung der Linken die erwähnten Gespräche Scholzens mit dem Warburg-Bankier Christian Olearius. Diese wurden von dem Sozialdemokraten und ehemaligen Senator Alfons Pawelczyk eingefädelt.

Norbert Hackbusch, Bürgerschaftsabgeordneter Die Linke

„Wichtige Teile der Behörde agierten als Verteidiger der Bank. Das war nur mit Rückendeckung des Senators möglich“

Bei einem dieser Gespräche 2016 übergibt Olearius Scholz ein Argumentationspapier der Bank, das in der Finanzbehörde schon vorliegt und dessen Argumentation auf eine Mitarbeiterin des Finanzamtes zurückgeht. Ein paar Tage später fordert Scholz Olearius auf, dieses Papier kommentarlos seinem Finanzsenator Tschentscher zu übergeben. Dieser reicht es in seine Behörde hinein mit der „Bitte um Informationen zum Sachstand“. Gegen die Einschätzung ihrer Betriebsprüfer ließ die Finanzverwaltung die Forderung dann verjähren.

Ein Jahr später wies das Bundesfinanzministerium die Hamburger an, eine ähnliche Forderung nicht verjähren zu lassen – offenbar ein recht seltener Vorgang. Dagegen wehrte sich die Hamburger Finanzverwaltung, indem sie einen Brief nach Berlin schickte, in dem sie für eine Verjährung argumentierte. „Wichtige Teile der Behörde agierten als Verteidiger der Bank“, sagt Hackbusch. „Das war nur mit Rückendeckung des Senators möglich.“

Tatsächlich mit der Bank verständigt

Die Krone setzte die Finanzbehörde dem Ganzen aus Sicht der Linken auf, als sie 2019 eine „tatsächliche Verständigung“ mit der Bank vorschlug. Damit hätten sich Stadt und Bank auf eine Summe geeinigt, die weit unter den Rückforderungsansprüchen lag. Das Bundesfinanzministerium unterband das.

„Die Warburg-Bank konnte sich während der gesamten Affäre der offiziellen und inoffiziellen Hilfestellung der politischen Elite Hamburgs gewiss sein“, resümiert Die Linke. „Der Senat hatte Angst um den Banken-Standort Hamburg“, vermutete Hackbusch, denn die Vorgänge fallen in jene Zeit, als das Debakel der HSH Nordbank die Stadt beschäftigte.

Eben mit dieser Skandalbank, die sich am Finanzmarkt schwer verzockt hatte und auch Cum-Ex-Geschäfte nicht ausließ, will sich die Bürgerschaft in einer Fortsetzung des Ausschusses beschäftigen. Die frühere Landesbank von Hamburg und Schleswig-Holstein hatte 2012 nach Medienberichten eine unabhängige Prüfung ihrer Cum-Ex-Geschäfte beauftragt und unter anderem die Hamburger Finanzverwaltung über die Ergebnisse informiert. Die hatte daraufhin 127 Millionen Euro an erstatteten Steuern zurückgefordert und war damit eine Vorreiterin. Danach scheint sie auf Leitungsebene das Interesse oder zumindest den Biss verloren zu haben.

Hinweis: In einer früheren Version dieses Artikels hieß es, die Hamburger Finanzverwaltung habe 2014 ein kriminelles Cum-Ex-Geschäft der HSH Nordbank AG entdeckt. Tatsächlich hat die HSH Nordbank AG im Dezember 2012 eigeninitiativ eine unabhängige Prüfung der von ihr zuvor betriebenen Cum-Ex-Geschäfte angestoßen und deren Zwischenergebnisse noch im Jahre 2013 unter anderem der Hamburger Finanzverwaltung mitgeteilt.

Außerdem war von einem zweijährigen Untersuchungsausschuss die Rede. Der Ausschuss tagte jedoch drei Jahre. Wir bedauern die Irrtümer.

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