Antiquar über Trauer um Russland: „Eine verschmähte Liebe“

Gottwalt Pankow hat in seinem Antiquariat am Hamburger Michel russische Oppositions­literatur ins Schaufenster gestellt. Er konnte nicht anders.

Gottwalt Pankow in seinem Antiquariat

Gottwalt Pankow in seinem Antiquariat Foto: Miguel Ferraz

taz: Warum haben Sie russische Oppositionsliteratur in die Auslage Ihres Antiquariats gelegt, Herr Pankow?

Gottwalt Pankow: Es bedarf unbedingt des Widerspruchs gegen das, was im Moment von Russland ausgeht, oder konkret von Herrn Putin, der natürlich seine ganzen Gefolgsleute hat. Ich bin da ganz emotional: Es geht um zwei Völker, die darunter leiden. Das eine ist natürlich die Ukraine selbst, die sich durch den Maidan-Aufstand freigekämpft hatte. Es geht mir aber auch um das russische Volk, das immens leidet unter diesem Regime und das in der Zukunft weiterhin unter dem Stigma zu leiden hat, das man ihm jetzt verpasst. Ich frage mich: Wo ist die Opposition? Gut, wir wissen es: Die Köpfe sind im Gefängnis, sind tot, sind vergiftet und erschossen worden. Aber wo ist das breite Volk?

Der Mensch

Gottwalt Pankow, Jahrgang 1947, hat Theologie und dann Deutsch und Arbeitslehre studiert, zuerst an der Göttinger Uni, dann in Hamburg. Da er keine Stelle als Lehrer fand, wechselte er ins Anti­qua­riat seines Schwiegervaters Reinhold Pabel.

Der Ort

Das Antiquariat Reinhold Pabel gibt es seit 1974 nahe dem Hamburger Michel im Krameramt, seit 1982 auch mit Filiale direkt gegenüber dem Michel. Es hat einen großen geisteswissenschaftlichen Bereich.

Was macht Sie so emotional dabei?

Ich bin jetzt 76. Ich hatte das Glück, in Friedenszeiten geboren worden zu sein. Mithilfe der Siegermächte wurde hier eine Demokratie eingeführt, wir haben einen gewissen Wohlstand erreicht, und die Demokratie war bis vor Kurzem doch stabil. Soll ich jetzt am Ende meines Lebens, wobei ich nicht wichtig bin dabei, schon wieder einen Weltkrieg erleben? Was ist denn das, dass die Menschheit es nicht aushält, mal eine Generation in Frieden zu leben? Ich bin jetzt zu alt für den Fürstenmord, und Putin würde mich auch nicht an sich heranlassen, sondern er würde mich an dem langen Tisch, an dem er die Leute immer sitzen lässt, verhungern lassen. Deswegen habe ich gedacht, ich muss irgendwie darauf reagieren, mit den Mitteln, die ich habe.

Ich hänge noch an dem, was Sie zum russischen Volk gesagt haben. Die Oppositionsliteratur in Ihrer Auslage, die ja weitgehend unter Stalin entstanden ist, verweist gerade auf dieses andere Russland, wo Leute sich eben nicht weggeduckt haben.

Ich habe bei dem Material, das ich da aufstelle, natürlich nur das zur Verfügung gehabt, was bei uns hier in den Regalen steht. Das ist ein bisschen zufällig. Majakowski

… Pasternak habe ich gesehen …

Daneben stehen Marina Zwetajewa und Sokolov.

Können Sie mir bei den beiden auf die Sprünge helfen?

Sokolov ist der jüngste von allen, 1943 geboren, lebt heute in den USA, hat aber eine sowjetische Sozialisation. Zwetajewa ist 1892 geboren …

Jetzt dämmert es mir langsam, sie war Lyrikerin, oder?

Ja, auch. Und dies hier ist eine Essaysammlung, die sie „Ein gefangener Geist“ genannt hat. Das war jetzt keine sehr bewusste, kohärente Auswahl, das geht da ganz pragmatisch: Was haben wir denn und welche Namen scheinen unbelastet. Wir haben ja auch die Kunst ausgestellt, vertreten durch Malewitsch, und ein Buch über die russische Filmkunst. Und Anna Pawlowna, die Ballettöse, ist hier ausgestellt, die steht für das Ballettschaffen.

Warum haben Sie die Todesanzeige von Alexei Nawalny danebengehängt?

Wir haben seine Tätigkeit und seinen Mut lange verfolgt und waren schon immer in Sorge, dass er eines Tages vergiftet wird oder irgendein Wächter ihn erschlägt. Nun ist er ja auch gestorben. In der Osterzeit erzählte jemand im Deutschlandradio von Jesu Schicksal, der ja zurückgeht nach Jerusalem. Er geht zurück in die Höhle des Löwen und musste ja wissen, und wusste es wahrscheinlich auch, dass sie ihn da umbringen werden. Ich will Nawalny nicht mit Jesus gleichsetzen. Aber irgendwie dachte ich, das ist dieselbe Haltung, die Nawalny zeigte: Ich gehe dahin, wo ich gehört werde, wo ich gebraucht werde, ich will mit meinen Leuten reden.

Werden Sie auf das Schaufenster angesprochen?

Nicht täglich. Wenn, dann zustimmend, aber nicht so sehr in die inhaltliche Tiefe gehend.

Wenn Kun­d:in­nen zu Ihnen kommen, nach welchen russischen Au­to­r:in­nen fragen sie?

Die Klassiker sind gefragt, Dostojewski, Gogol. Gorki vielleicht nicht mehr so stark. Es geht aber vor allen Dingen um die sowjetische Zeit, die heute noch interessiert. Das war eine sehr spannende, künstlerische und geistesgeschichtliche Phase, und es waren äußerst kreative Leute, die man ja auch lange gewähren ließ und förderte, denn das war der Ausdruck des neuen Menschen. Bis man merkte, da ist aber auch kritisches Potenzial.

An wen denken Sie da?

Gerade kürzlich fragte jemand nach Solschenizyn. Boris Pasternak ist auch immer noch interessant, die meisten denken an „Doktor Schiwago“, die wenigsten wissen, dass er auch ein großartiger Lyriker war.

Solschenizyn hat sich ja in seinen letzten Jahren sehr mit Putin angefreundet.

Ja, das ist auch ein Problem. Aber Putin, dieses blonde Jüngelchen in den ersten Jahren, da dachte man doch: Gott, wie niedlich, der guckt so unschuldig.

KGB-Offizier, der er war.

Der hat die Leute bezirzt, das hat nicht nachgelassen. Dass Schröder heute noch zu ihm hält, na gut, das ist sein Problem. Ich erwähne es nur deswegen, weil ich mich selbst immer als links empfand und guckte, was macht die Sozialdemokratie, was machen die Grünen? Ich hatte in Göttingen Lehramt studiert, wo Schröder in höheren Semestern dann ja auch war. Man kannte ihn so ein bisschen auf dem Campus und er war für mich kein Sympathieträger.

Das heißt aber, das Antiquariat war damals gar nicht Ihr Ziel?

Ich hatte ja das Glück, keine Lehrerstelle zu bekommen. Ich meine, es war auch unklug, Deutsch zu studieren, es gab schon zu viele Deutschlehrer. Dann habe ich meine Bewerbungen eingestellt, bin in das Antiquariat meines Schwiegervaters gegangen und habe mich ausbilden lassen zum Buchhändler mit Schwerpunkt Antiquariat. Meine Frau war sowieso schon während des Studiums und danach dort.

Sie sagten ein paarmal, dass dieser Krieg Sie mit besonderem Zorn erfüllt. Haben Sie ein besonderes Verhältnis zu Russland?

Es ist teilweise auch eine verschmähte Liebe. Als ich Student war und noch Theologie studierte, hatte ich ein ganz anderes Russlandbild, da las uns unser Professor in seiner Freizeit Dostojewski vor. Dann bin ich zweimal drüben gewesen, aus einer Begeisterung für dieses Land, für dieses Volk. Man sieht dort diese schönen Zwiebeltürme und vergisst das Gedicht von Brecht, in dem er die Frage stellt: Wer hat das alles gebaut, der Zar? Nein, da haben die Leibeigenen ihren Buckel dafür hingegeben, damit dieser schöne Turm noch von uns bewundert werden kann.

Haben Sie die Frage auch gestellt?

Das haben wir damals nicht gesehen. Alle Klischees haben wir bestätigt gefunden, die wir kannten: Diese weite Landschaft, und dann winkten uns die Arbeiterinnen mit ihren Kopftüchern und ihren wattierten Jacken zu. Es war ein Zug aus dem Westen, und wir winkten zurück und fühlten uns großartig. Und dann, 1968, wollte ich eine Arbeit schreiben, saß bei meiner Großmutter, damit ich isoliert wäre, und guckte im Fernsehen den Einmarsch in Prag an. Spätestens das gab mir einen Knacks. Warum gehen die da mit Panzern hin? Die Tschechen wollen freie Verhältnisse haben, die wollen so leben wie wir. Da kam alles ins Wanken und Schwanken.

Das Schaufenster des Antiquariats

Das Schaufenster Foto: Miguel Ferraz

Und heute?

Im Moment bin ich völlig ratlos, und es ist auch nicht mehr nötig, jetzt auf die letzten Jahre, das zu klären. Meine Frau sagt schon lange: Wir müssen davon wegkommen, die Probleme immer zu nationalisieren oder zu personalisieren. Es ist einfach der Mensch, die Gattung Mensch, die unfertig ist. Selbst ein Wurm ist vielleicht komplexer im Umgang mit seinen Problemen. Wir haben viele, viele Jahre gebraucht, um zum Beispiel unter den christlichen Konfessionen friedliches Miteinander zu schaffen. Aber inzwischen prägen wir uns neue Fehler ein.

Gibt es hier am Michel jetzt noch russische Touristinnen oder Touristen, die vorbeikommen und die Auslage wahrnehmen? Die müssten natürlich dann auch überhaupt erst Deutsch lesen können.

Ich hatte eine Zeit lang auch noch Putins Konterfei mit einer kleinen Bemerkung hierhingeklebt.

Was für ein Bild war das?

Da blickt Putin mit verklärtem Blick himmelwärts und zündet eine Kerze an. Heutzutage kann man ja alles mit Google übersetzen, da stand etwas in dem Sinne von: Mütterchen Russland, ist das wirklich dein Sohn? So hing es da ein paar Wochen, darauf hat keiner reagiert. Vielleicht haben sie es nicht gesehen. Ich habe es nicht so riesengroß gemacht, ich will nicht plakatieren hier.

Dabei ist es Ihr Laden.

Ich muss auch immer bedenken, dass ich nicht alleine bin. Ich stehe zwar so ein bisschen für die inhaltliche Ausrichtung, aber meine Frau ist mit im Geschäft, ich habe zwei Angestellte – ich möchte sie jetzt nicht irgendwelchen Situationen aussetzen, wie wir sie schon erlebt haben, wo sie sich plötzlich verteidigen sollen.

Wegen der Auslage?

Ja, daran erinnere ich mich noch. Die beiden Herrschaften sind schon längst nicht mehr am Leben – das sage ich nur, damit man weiß, aus welcher Sozialisation sie kommen. Da ging es um das moderne Heine-Denkmal auf dem Rathausmarkt. Wir dachten, wir stellen mal die verschiedenen Broschüren zu Heine-Denkmalen aus, die es in Hamburg gab und gibt. Daraufhin kamen Nachbarn aus unserem Stadtteil herein und haben uns ein bisschen angemacht, wie man sagt.

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Was war die Kritik?

Sie kritisierten, dass man Heine noch ein Denkmal hinsetzte. Es gebe doch schon so viel, und es gebe ja auch andere Dichter. Wir haben versucht, das zu verteidigen, und waren verhältnismäßig zurückhaltend dabei. Es war eine junge Kundin im Geschäft, die die Diskussion mitkriegte. Die Leute gingen unzufrieden, und sie sagte: Warum haben Sie denen nicht die Meinung gesagt?

Was haben Sie geantwortet?

Wir sagten: Wir haben geäußert, was wir für verantwortbar hielten, aber wenn Sie damit nicht einverstanden waren, warum haben Sie sich nicht auch dazu geäußert?

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Dieser Artikel stammt aus dem stadtland-Teil der taz am Wochenende, der maßgeblich von den Lokalredaktionen der taz in Berlin, Hamburg und Bremen verantwortet wird.

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