Wahlen in Kroatien: Ein Wärterhäuschen als Wahlurne

In einem kleinen Dorf an der Adria offenbart sich während der kroatischen Parlamentswahlen das größte Problem des Landes: Korruption.

Premierminister Andrej Plenkovic jubelt.

Jubel beim alten und neuen Premierminister Darko Vojinovic am 18. April Foto: Darko Vojinovic/ap

Vergangenen Mittwoch wurde an der Mole im kleinen Dorf an der Adria (Ost) die kroatische Fahne gehisst. Zum ersten Mal war der 17. April ein Feiertag, der amtierende Präsident des Landes, Zoran Milanović, hatte ihn dazu erklärt, um mitten in der Woche Parlamentswahlen abzuhalten. Die einen hielten ihn deswegen für äußerst klug, die anderen für komplett unzurechnungsfähig.

Zoran Milanović ist politisch und rhetorisch ein populistischer Hasardeur. So stellte er sich selbst als Kandidat für den Ministerpräsidentenjob auf, obwohl ihm das per Verfassungsgericht als amtierender Präsident untersagt wurde. Der Sozialdemokrat wollte dennoch „Ministerpräsident mit Charakter“ werden.

Sein Wahlkampf bestand im Wesentlichen darin, den seit 2020 regierenden Ministerpräsidenten als „Paten der Kriminellen“ zu beschimpfen, dessen Regierung als „korrupteste der kroatischen Geschichte“ und dessen Partei, die HDZ, als „kriminelles Kartell“. Der wiederum bezeichnete den Präsidenten als „Verfassungsverbrecher“ und „politischen Schädling“.

Am Mittwoch nun war im kleinen Dorf an der Adria (81 Einwohner) nach einem passenden Wahllokal gesucht worden. Das einzige staatliche Gebäude im Ort, das Büro für Tourismus, war verschlossen, und niemand – so die offizielle Version – wusste, wer den Schlüssel hat. Kurzerhand wurde das Wärterhäuschen auf dem Privatparkplatz bei den Mülltonnen zur Wahlurne.

Eine Kroatienfahne wurde an den Bretterverschlag gehängt und Wahl­hel­fe­r*in­nen mit „Miami Vice“-Sonnenbrillen davorgestellt. Anderswo im Land hatte es lange Warteschlangen vor den Wahlurnen gegeben, hier nicht.

Wahl zwischen kriminell und verbrecherisch

Der Blick der Wahl­hel­fe­r*in­nen vor dem Park­platzwächterhäuschen schweifte über das Meer zu einem illegalen Jachthafen, die Küste entlang an illegalen Bungalows des größten Mafiosos der Riviera und über ein kleines Strandhotel, das im fortgeschrittenen Stadium verfällt und unter Architekturkenner*in­nen weltweit als herausragendes Exemplar des jugoslawischen Brutalismus gilt.

Kroatien hat den als Ufo gestalteten und ohne eine einzige Treppe auskommenden Bau als staatliches Kulturerbe deklariert, ist aber gleichzeitig verantwortlich für dessen mutwillige Zerstörung: Auch nach über 30 Jahren Leerstand steckt der Staat keinen Cent in die Sanierung des Hotels. Warum?

Mutmaßlich, weil einer der hier herrschenden Mafiosi, seit Jahren von Interpol gesucht, nur darauf wartet, dass der Bau in sich zusammenfällt, um ihn abreißen und einen zeitgenössischen Billigschrottbau mit 500 Betten mit Balkonscheiben aus schwarz getöntem Glas hinbauen zu können.

Die Wahl zwischen kriminell und verbrecherisch

Mit Blick auf die Auswüchse der Korruption inmitten malerischer Küste mit Berg und Inseln konnten die An­woh­ne­r*in­nen am 17. April zwischen kriminell und verbrecherisch wählen. Stärkste Partei, wenn auch nicht allein regierungsfähig, wurde erneut die des Ministerpräsidenten. Die einen sehen deshalb seinen Herausforderer, den Präsidenten, als großen Verlierer.

Die anderen wissen: Egal, mit welchem der beiden Spaßvögel wird die Korruption in Kroa­tien das größte Problem bleiben. Allein im kleinen Adriadorf wissen alle, dass der Staat dem Parkplatzbesitzer einen kleinen Gefallen schuldig ist.

Ob sich Milanović und die Sozialdemokraten mit Ablauf dieser Parlamentswahlen einen Gefallen getan haben, wird sich erst zeigen. Nach der Wahl fällt der vorher nur rüpelnde und polternde Herausforderer vor allem durch Schweigen auf. Korruption bekämpfen zu wollen, indem die Legislative ignoriert wird – so richtig gezündet scheint das nicht zu haben.

Wer hätte gedacht, dass ausgerechnet die Sozialdemokratie auf solche Ideen kommt und dass man sich darüber auch außerhalb Kroatiens nicht mal mehr wundert?

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Seit 2012 Redakteurin | taz am Wochenende. Seit 2008 bei der taz als Meinungs, - Kultur-, Schwerpunkt- und Online-Redakteurin, Veranstaltungskuratorin, Kolumnistin, WM-Korrespondentin, Messenreporterin, Rezensentin und Autorin. Ansonsten ist ihr Typ vor allem als Moderatorin von Literatur-, Gesellschafts- und Politikpodien gefragt. Manche meinen, sie kann einfach moderieren. Sie meint: "Meinungen hab ich selbst genug." Sie hat Religions- und Kulturwissenschaften sowie Südosteuropäische Geschichte zu Ende studiert, ist Herausgeberin der „Jungle World“, war Redakteurin der „Sport-BZ“, Mitgründerin der Hate Poetry und Mitinitiatorin von #FreeDeniz. Sie hat diverse Petitionen unterschrieben, aber noch nie eine Lebensversicherung.

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