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Nancy Fraser von Uni Köln ausgeladenBoykott mit Folgen

Nach dem 7. Oktober unterzeichnete die Philosophin Nancy Fraser den Boykott-Aufruf „Philosophy for Palestine“. Jetzt wird sie selbst boykottiert.

Nancy Fraser ist Philosophin und bekannte US-amerikanische Feministin Foto: Stephan Pramme

Die Universität zu Köln versagt der US-amerikanischen Philosophin Nancy Fraser die geplante Albertus-Magnus-Professur. Die erwartbare Reaktion folgt: Eine kritische Stellungnahme renommierter Professorinnen und Professoren. Darunter die Philosophin Rahel Jaeggi, der Soziologe Axel Honneth und die emeritierte Yale-Professorin und Politikwissenschaftlerin Seyla Benhabib.

Was sich im Streit über Antisemitismus und Kunstfreiheit schon zeigte, gilt auch für diesen: Im Holzschnitt geht das Detail verloren.

Doch Details sind entscheidend: In der Ausladung Frasers witterten die Unterschreibenden schnell einen „weiteren Versuch, die öffentliche und wissenschaftliche Diskussion zu Israel und Palästina“ zu verhindern. Dabei stellten sie selbst fest, dass Nancy Fraser sich in den zwei geplanten Vorlesungen gar nicht mit Israel beschäftigen wollte.

Von einem weiteren Versuch, die überfrachtete Diskussion zum Thema zu unterbinden, kann nicht die Rede sein. Von einem Angriff auf die Wissenschaftsfreiheit erst recht nicht – außer der eigene Freiheitsbegriff reduziert sich auf die Faustformel: Wer nicht mit Professuren ehrt, muss totalitär sein.

Wer boykottiert wen?

Auch will man die Ausladung „unabhängig davon“ bewerten, welchen Inhalten sich Nancy Fraser mit ihrer Unterschrift unter dem Aufruf „Philosophy for Palestine“ verschrieben hatte. Man übergeht ein weiteres Detail, nämlich die Frage: Wer boykottiert hier wen?

Im Aufruf jener Philosophen sind es nicht die streitbaren Diskursphrasen „Apartheid“ und „Genozid“, die die wohlwollende Rhetorik hintertreiben. Es ist vielmehr die Tatsache, nur wenige Tage nach dem 7. Oktober, die Verantwortung für das schlimmste Massaker an Juden seit der Shoah auf Israel abzuwälzen und dann noch im gleichen Atemzug den Boykott aller israelischen Institutionen zu fordern – auch und gerade der wissenschaftlichen. Sich mit einer solchen Position gemein zu machen zeugt nicht gerade vom Willen zur Wissenschaftsfreiheit.

In Nancy Frasers Ausladung einen Angriff auf die Wissenschaftsfreiheit zu wähnen, verkehrt daher die Kausalkette und entleert den Begriff. Gleich noch mit einer Entwertung für den Wissenschaftsstandort Deutschland zu drohen suggeriert: Der nationale Erfolg bemisst sich am Grad der Verklärung antijüdischer Gewaltakte.

Kritikwürdig bleibt indes auch, warum die Absage erst fünf Monate nach dem Aufruf erfolgte. Es sind Entkopplungen wie diese, die den immergleichen Zirkelschluss zulassen: den der Cancel Culture hinter verschlossenen Türen.

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26 Kommentare

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  • Es gibt den alten Grundsatz "keine Toleranz der Intoleranz". Wer zum Boykott Israels aufruft, sollte selbst boykottiert werden, das ist völlig legitim. Und wer ausgerechnet im Angesicht des schlimmsten antisemitischen Pogroms seit 1945 den real existierenden jüdischen Staat, der gerade um das nackte Überleben seiner Bürger*innen kämpfte, angreift, deligimiert und zum Boykott aufruft, dafür von Apartheid bis white supremacy das übliche israelfeindliche bullshit-Vokabular auffährt, aber den antisemitischen Vernichtungswahn von Hamas und Co. zum Widerstand verklärt, sollte nicht auch noch mit einer Ehrenprofessur bedacht werden. Nancy Fraser steht beispielhaft für das analytische und moralische Totalversagen namhafter postkolonialer und intersektionaler Linker.

  • Diese Argumentation ist reine Schein-Logik: ein Boykott von akademischen Institutionen z.B. in Russland oder ähnlichen diktatorischen Staaten ist etwas ganz anderes als die Ausladung kritischer Intellektueller

    • @degouges:

      Apropos Scheinlogik: Frau Fraser wurde nicht als "kritische Intellektuelle" (TM) ausgeladen, sondern als Israelhasserin. Und Russland zu boykottieren ist was wesentlich anderes als Israel zu boykottieren, denn Russland führt bekanntlich einen Angriffs-, Israel hingegen einen (ziemlich rücksichtslosen, aber dennoch) Verteidigungskrieg. Und eine Diktatur isses auch nicht.

      Im Gegensatz zu israelfeindlichen Boykotten wendet sich der Boykott russischer Institutionen (und durchaus auch Personen, soweit sie dem Regime nahestehen) auch nicht gegen den Staat als solches, sondern gegen eine konkrete Aggression.

      Das Perfide an BDS etc. ist ja, dass Methoden, die gegenüber einem klaren Unrechtsregime wie Apartheid-Südafrika legitim waren, gegen einen Staat angewendet werden, der es wagt, sich gegen die Vernichtungsdrohungen seiner Feinde zur Wehr zu setzen (und der genau zu dem Zweck auch geschaffen wurde).

  • Claus Leggewie hat im Kölner Stadtanzeiger dazu ein gutes Statement abgegeben (Auszug): »Aber Fraser auszuladen finde ich nicht richtig. Die Kölner Universität wäre doch der am besten geeignete Ort gewesen, um sich offensiv mit Nancy Frasers untragbarer Position auseinanderzusetzen. Und welches Risiko wäre man schon eingegangen, wenn Fraser ihren angesetzten Vortrag über die Arbeit im Kapitalismus vorgetragen hätte? Regierungsoffiziös vorgegebene „rote Linien“ strapazieren die Wissenschaftsfreiheit genauso wie vorlaute Boykottaufrufe und destruktive Störmanöver selbsternannter „Antizionisten“. Mit der Absage gibt man einer Persönlichkeit scheinbar recht, die selbst zum Boykott, das heißt: zur Beendigung des philosophischen und politischen Disputs, aufgerufen hat.«

    www.ksta.de/koeln/...er-boykotte-771194

  • Danke für diesen Kommentar, insbesondere nachdem vorher der von Hrn. Bax hier veröffentlicht wurde, nach dem Judith Butler immer noch tatsächlich eine Koryphäe ist.

    • @Fran Zose:

      Judith Butler, wenn ich den Namen höre werde ich wütend. Ein Frau, die verkündet das man die Vergewaltigung von israelischen Frauen und die Tötung von israelischen Säuglingen und Kleinkindern "im Kontext" sehen muss, also Quasi legitimiert, finde ich unmöglich.

      Es gibt auf der Welt kein Kontext, der solche Taten legitimieren kann.

      Für mich eine absolut ekelhafte Aussage.

  • "Gleich noch mit einer Entwertung für den Wissenschaftsstandort Deutschland zu drohen suggeriert: Der nationale Erfolg bemisst sich am Grad der Verklärung antijüdischer Gewaltakte." - Hach wie ist es schön: nur ein paar Zeilen trennen die Kritik an der Holzschnittartigkeit der anderen vom Versuch eigener Maximalpolemik.

  • Nancy Fraser ist Jüdin und wie immer sind es die weißen Deutschen die Juden erklären wie Antisemitismus funktioniert

    • @elma:

      Ihre Aussage an sich ist nicht logisch. Jeder darf



      an jeden legitime, sachliche und fundierte Kritik äußern.

      Egal welche Hautfarbe, Nationalität oder Religion der Kritiker oder der Kritisierte hat.

      Oder möchten Sie in Zeiten zurück, in denen die Hautfarbe, die Religion oder die Nationalität bestimmt hat wer sich wie äußern durfte?

    • @elma:

      Es gibt auch weisse deutsche Juden.

    • @elma:

      Ja, ich denke auch mehr Leute in Deutschland sollten vielleicht mal Steven Friedman's "Good Jew, Bad Jew: Racism, Anti-semitism and the Assault on Meaning" lesen.

  • Wer zum Boykott akademischer Institutionen aufruft, verwirkt aus meiner Sicht damit jegliches Recht, sich auf die Wissenschaftsfreiheit zu berufen, wenn es einen selbst trifft. Mal ganz abgesehen davon, dass ein genereller Boykott israelischer Institutionen schon interessante Implikationen hat - ähnliche Boykottaufrufe gegenüber chinesischen oder saudischen Institutionen sind mir von Nancy Fraser nicht bekannt.

    • @Agarack:

      so sehr nancy frasers unterschrift unter den besagten aufruf auch zu kritisieren ist: wer das verwirken von rechten als notwendige konsequenz des begehens nicht strafbarer handlungen betrachtet, verfügt in meinen augen über einen fragwürdigen rechtsbegriff

      • @Pflasterstrand:

        Entschuldigung, aber es gibt an dieser Stelle eben nur zwei Möglichkeiten: Entweder generelle Boykotte wissenschaftlicher Institutionen und wissenschaftlich tätiger Personen sind zulässige Ausdrücke der Meinungsfreiheit, oder sie sind unzulässige Einschränkungen der Wissenschaftsfreiheit. Wenn man für sich selbst in Anspruch nimmt die wissenschaftlichen Institutionen eines ganzen Landes boykottieren zu dürfen, kann man sich nicht auf die eigene Wissenschaftsfreiheit berufen, wenn Instutionen als direkte Reaktion darauf die eigenen wissenschaftlichen Vorträge boykottieren. Da muss man sich entscheiden.

  • Es ist schon bizarr: Da rufen Personen zum Boykott akademischer Institutionen in Israel auf, und jammern dann, wenn dieses Konzept auf sie angewandt wird.

    • @Gesunder Menschenverstand:

      Es ist schon bizarr: Der Holzhammer-Vorwurf "Antisemitismus" trifft in letzter Zeit besonders jüdische linke intellektuelle Frauen und queere Menschen....purer Zufall?

      • @degouges:

        Wo habe ich von Antisemitismus geschrieben?

        Soll der Diskurs verschoben werden? Purer Zufall?

    • @Gesunder Menschenverstand:

      Bizarr ist, dass jüdische Intellektuelle von deutschen Institutionen boykottiert werden, (in diesem Fall nicht von einer Israelischen) sobald sie mit Boykottforderungen oder Kritik zu Israel auffallen. Das finde ich nicht nur bizarr, das finde ich angesichts der deutschen Geschichte beschämend.



      Fraser, wird, wie alle Juden, ob sie wollen oder nicht, mit dem jüdischen Staat Israel in Verbindung gebracht. Unabhängig davon, ob dieser Staat Menschenrechtsverletzungen begeht, sie haben in jedem Fall das Recht, sich gegenüber Israel zu verhalten – diesen Staat und dessen Regierung (der auch ihre jüdische Identität vereinnahmt), mit Druck (dazu gehört auch der Boykott) zu Veränderungen zu zwingen. Welches Recht hat eine deutsche Uni, sich diesbezüglich einzumischen.

      • @Erni:

        Frau Fraser kann sich gegenüber dem Staat Israel verhalten, wie sie will.

        Sie unterstützte die Forderung nach einem Boykott akademischer Institutionen in Israel. Das heißt Fraser versucht alle israelischen Wissenschaftler:innen aus dem Diskurs auszuschließen.

        Und dann wird von Fraser und allen Freunden Frasers herumgeweint, wenn sie nicht in Köln vortragen darf. Dass euch euere Doppelmoral nicht peinlich ist.

      • @Erni:

        Ja das sehe ich genauso: Und Nancy Fraeser ist eine HauptvertreterIn der Kritischen Theorie heute.. also jener Theorie, die von den Nazis ins Exil gfejagt wurde.



        Wie geschichtsvergessen und verlogen kann man eigentlich sein?



        Man lese das lange Interview mit Nancy Fraeser in der FR.

        • @degouges:

          Ich habe selten so etwas Selbstgefälliges-Bigottes gelesen, wie dieses Interview in der FR.

          Frau Fraser lamentiert wortreich über das ihr angeblich widerfahrene Unrecht, so als hätte sie einen Anspruch darauf, von der Uni Köln geehrt zu werden. Sie beklagt die vermeintliche Einschränkung der Wissenschaftsfreiheit, ohne mit einem einzigen Wort (das ist aber auch ein Versagen der Interviewer) darauf einzugehen, dass sie als BDS-Anhängern überhaupt keinen Widerspruch darin sieht, ihrerseits Wissenschaftler zu boykottieren oder auszuladen - und zwar allein aus dem Grund, weil diese Israelis sind.

          Und noch ein Hinweis zum Thema "Geschichtsvergessenheit": Die Frankfurter Schule als Hauptvertreterin der Kritischen Theorie ist nach 1945 auch in Deutschland wiederbelebt worden. Deren nach wie vor bedeutendste Exponent ist Jürgen Habermas und er hat sich hat sich zum Nahost-Krieg ebenfalls geäußert, allerdings sicherlich nicht im Sinne von Frau Fraser www.normativeorder...e-der-solidaritat/

          • @Schalamow:

            Sie hat zweifellos das Recht auf eine Ehrung als Gastprofessorin, die ihr bereits verliehen wurde. Was stört Sie daran? Soll man Zusagen nicht mehr einhalten, weil mir die politische Meinung der Person nachträglich nicht passt? Ich vergebe einen Kredit und kündige ihn fristlos (oder schmeisse meine Mieter raus), weil ich erfahren habe, dass sie eine (auch in meinen Augen schwer erträgliche) Resolution gegen den Krieg in Gaza unterschrieben haben? Die Freiheit der Wissenschaft ist darüber hinaus durch das Grundgesetz geschützt, soll man das auch mal eben aufgeben, weil man so die israelische Regierung und ihren inhumanen Krieg besser unterstützen kann?

            • @Fragezeichen:

              "Die Freiheit der Wissenschaft ist darüber hinaus durch das Grundgesetz geschützt, ..."

              Mal abgesehen davon, dass Frau Fraser in ihren Forschungen nicht im geringsten behindert wird: Wenn Universitäten Orte des Diskurses und der intellektuellen Auseinandersetzung sein sollen, und so verstehe ich die Position der Universität Köln, dann ist die Ehrung einer Wissenschaftlerin, die es für selbstverständlich hält, anderen vom Diskurs auszuschließen, schlicht unangemessen. Ein Recht darauf hat sie jedenfalls schon gar nicht.

    • @Gesunder Menschenverstand:

      Sie haben Recht. Und eines konnte mir noch niemand erklären: man kann ja die Politik in Israel verachten, aber was ein pauschaler Boykott von israelischen Wissenschaftlern oder Künstlern (die ja die israelische Politik selbst kritisieren) bringen soll bleibt mir ein Rätsel. Wo soll da der Sinn sein und wie soll ein Boykott der israelischen Kunstszene oder Wissenschaft helfen, um den Palästina Konflikt zu lösen oder eine Verbesserung für die Menschen in Palästinazu erreichen?

      • @Müller Christian:

        Tja, fragen Sie das mal diejenigen, die sich in letzter Zeit auf bestimmte Kulturboykotte eingeschossen haben. Berlinale, Ausladung einer palästinensischen Autorin (Adania Shibli) von der Frankfurter Buchmesse usw.

        Ich persönlich finde den Boykott Israelischer Wissenschaftler:innen nicht hilfreich, um die Diskriminierung der Palästinenser zu beseitigen, weil es immer auch progressive Wissenschaftler:innen zu Unrecht betreffen wird.

        Andererseits ist der Boykottaufruf auch nicht das Wesentliche des offenen Briefes, den Nancy Fraser mit unterschrieben hat. Das wesentliche ist die deutliche Kritik an den Verhältnissen in Israel-Palästina.

        • @Uns Uwe:

          Doch, der Boykott ist das Wesentliche des offenen Biefes. Das ist ja der Trick, finsteres Gedankengut zwischen richtigen oder klugen anderen Gedanken gut zu verstecken.