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Länderfinanzausgleich und 29-Euro-TicketDanke, Danke Bayern!

Erik Peter
Kommentar von Erik Peter

Berlin lebt auf Bayerns Kosten, ob 29-Euro-Ticket, kostenloser Kita- oder Museumsbesuch. Markus Söder wütet über den Finanzausgleich. Wir sagen Danke.

Über Berlin regnet es bayerisches Geld Bild: Montage: taz/Claudia von Heydebrand; Fotos: imago, picture alliance, ap

M arkus Söder, erster Bayer, der fast zum Mond reiste, hat recht. Es ist Zeit, endlich einmal Danke zu sagen, sogar „Danke, Danke“, wie der größte Ministerpräsident aller Zeiten (Grömaz) es vergangenen Sommer formulierte. Konkret bierzeltete Söder: „Normalerweise, wenn Bayern nach Berlin fahren, müssten die Leute, wenn in Berlin ein bayerisches Kennzeichen einfährt, spontan ein Schild hochheben, auf dem steht: ‚Danke, Danke unseren Sponsoren aus Bayern.‘“

Auch aktuell bläst man in Bayern wieder ins selbe Alphorn. Auf Missfallen stößt, dass Berlin ab 1. Juli seinen Bür­ge­r:in­nen ein 29-Euro-Ticket (leider nur für den Tarifbereich AB) spendiert und sich das jährlich 300 Millionen Euro kosten lässt. Bayerns Verkehrsminister Christian Bernreiter (Staatspartei) neidete: „In Bayern können wir das Angebot im ÖPNV nur mit einem tiefen Griff in die Staatskasse aufrechterhalten, während Berlin als Hauptempfänger des Länderfinanzausgleichs quasi mit bayerischem Geld einen Gesamtrabatt für alle Fahrgäste finanziert.“

Die Stimmung in der Münchner Staatskanzlei ähnelt schon seit Jahren der trotzigen Wut, die sich beim FC Bayern breitmacht, wenn er mal Zweiter wird. Bayern ist Rekord-Geberland im – daher beklagten – Länderfinanzausgleich. Im vergangenen Jahr zahlte man 9,1 Milliarden Euro. Berlin als Hauptnehmer-Bundesland durfte sich über 3,8 Milliarden freuen.

Solidarität auf Bayerisch

Doch Solidarität ist ein Wort, das auf Bayerisch niemand versteht. Weit und breit kein Stolz darüber, dass man uns ein Leben erwirtschaften darf, frei vom Zwang zur Produktivität und Rechts­treue, stattdessen voller Laisser-faire und wärmender Freibier-Mentalität (statt 14,90 für die Wiesn-Maß). Ein Leben, das auch in Gillamoos Vorbild sein könnte. Berlins Standard muss man sich halt erarbeiten. Am besten anderswo. Work hard, play hard braucht kein Ausdruck neoliberaler Schizophrenie sein, sondern funktioniert separiert nach Landesteilen.

Selbst der kleinste Schritt in Richtung Zivilisation, man denke an kostenlosen Museumsbesuch, wird uns vom altertümlichen Bergvölkchen missgönnt. So wütete CSU-Generalsekretär Martin Huber einst gegen hauptstädtische Gender-Toiletten, bezahlt von den Zweigeschlechtlichkeits-Mullahs in Bayern. Sein Chef auf China-Reise weinte Krokodilstränen darüber, dass sich Berlin die Millionen-Mietgebühr für chinesische Pandas leistet. Bayern dagegen hat nur Problembären.

In München fliegt bereits der Filzhut hoch, weil Berlin seinen eigenen Kindern den Bildungsweg hin zum „2.-Klasse-Abitur“ nicht durch Preisschilder versperrt, also Kita, Hort und Schulessen kostenlos sind. Nicht auszudenken, welcher Groll über uns hineingezogen wäre, hätten sie in Bayern herausgefunden, dass ihre geflüchteten Landeskinder hier auch noch ihr Party-Koks kostenlos auf die Einhaltung des Reinheitsgebots prüfen lassen können.

All die ungewollte Solidarität aus Bayern reicht aber nicht, so leid es uns tut. Nach den neuesten sehr wohlmeinenden Rechentricks des Senats ist der laufende Haushalt noch um 550 Millionen Euro unterfinanziert. Vermutlich ist die Lücke aber größer. Bayern, bitte, bitte hilf!

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Erik Peter
Politik | Berlin
Redakteur für parlamentarische und außerparlamentarische Politik in Berlin, für Krawall und Remmidemmi. Schreibt über soziale Bewegungen, Innenpolitik, Stadtentwicklung und alles, was sonst polarisiert. War zu hören im Podcast "Lokalrunde".
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18 Kommentare

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  • Ich finde den Spott widerlich.



    Wenn man schon in Bayern lebt und von einer mäßigen Regierung ausgeplündert wird, braucht es das nicht.

    • @Walter Springmann:

      Komisch, den Bayern geht es besser als Berlin.

      Hier muss Berlin eigentlich schon ganz ganz kleine Brötchen backen.

  • Ich verstehe dass Problem schon. Ja, Bayern war einige Jahre Empfängerland, aber das Land zahlt jetzt schon lange ein.



    Und alles Flächenland kostet eine vernünftige Versorgung der Bevölkerung mehr als in Metropolregionen. Den ÖPNV auf dem Land zu stärken wäre ein wichtiges Ziel, das man mit mehr Geld annehmen könnte. Dass Menschen in Bayern, bei denen drei Mal am Tag ein Bus fährt, es unfair finden, wenn Menschen in Berlin ein engmaschiges Verkehrsnetz haben, das auch noch sehr günstig ist, kann ich verstehen. Als es Studiengebühren gab, mussten die in Bayern gezahlt werden, in Empfängerländern teils nicht. Die Wartezeit für Therapien und Fachärzte ist oft extrem lang. Natürlich liegt das auch daran, dass Akademiker oft nicht gerne aufs Land ziehen. Auch die Verteilung der Gelder innerhalb Bayerns ist ungerecht, was durch mehr Geld alleine nicht begonnen wird. Und vieles davon sind politische Entscheidungen. Studiengebühren Jahren auch in Bayern abgeschafft werden können und Ostbayern könnte ähnlich gefördert werden wie Oberbayern.



    Aber nichtsdestotrotz kann ich verstehen, dass Menschen in strukturschwächeren Gegenden die aktuelle Regelung nicht fair finden. Gerade rurale Gebiete in der Bundesrepublik sollten mehr gefördert werden, der Bedarf der mit den Besonderheiten eines Flächenlands einhergeht sollte mehr Beachtung finden, ein Teil des Soli sollte an Projekte auf dem Land unabhängig vom Bundesland gehen oder an Kommunen mit größerem Bedarf statt an Bundesländer gehen. Dann würde vielleicht Geld von Bayern in den Topf fließen, aber zumindest ein Teil davon würde auf Cham, Greifswald oder wohin auch immer verteilt werden.

  • Was mich ärgert ist, wenn man in Geberländern die Kita selbst bezahlen muss (~400€/Kind und Monat), in Nehmerländern aber Kitas kostenfrei sind. Das ist ungerecht.

    • @Rudi Hamm:

      Nein, ist es nicht. Bayern hat auch nach dem Ausgleich mehr Einnahmen pro Kopf. Bayern könnte problemlos mehr Geld für Kita, Soziales und ÖPNV ausgeben. Das man es nicht tut ist eine politische Entscheidung darüber, wie man mit seinem Haushaltsbudget umgeht. Und durch die Wahl von CSU und Freien Wählern wird diese Politik goutiert, die Verantwortung trägt also die Mehrheit der bayerischen Wahlbetechtigten. Wenn Berlin weniger Haushaltsmittel (zu denen auch der Berlin zustehende Teil des LFA gehört) für Soziales Ausgäbe, ginge es den Bayern kein Deut besser.



      Wenn die Bayer also günstigen ÖPNV und kostenlose Kita wollen, müssen sie halt entsprechende Parteien wählen.



      Auch für die Zersiedlung Bayerns und die damit einhergehenden höheren Infrastrukturkosten und den ineffizienteren ÖPNV kann Berlin nichts, der bayerische Autobahnwahn hingegen sehr wohl.

  • Wenn ich den Bericht lese, dann kommt die Hoffnung auf, dass der Länderfinanzausgleich beerdigt wird.

  • Gibt es eigentlich in irgendeinem anderen Staat der ersten Welt noch einen Fall, dass die Regierungs-Metropolregion ihre Sachen nicht gebacken bekommt und sich von anderen Landesregionen seit Jahrzehnten aushalten lässt? Alle anderen Zentren die mir in den Sinn kommen (Paris, London, Wien, Kopenhagen, Brüssel, Washington ...) sind Motoren ihres Landes. Berlin nicht. Noch nie.

    • @TheBox:

      Sicher?



      Meist ist es doch so, dass das Geld anderen Orts in den Industrie- und Technologiezentren verdient wird aber mehr oder weniger gut in den Machtzentren verwendet wird.



      Die Besonderheit ist, das Berlin noch nie was auf die Kette bekommen hat ob jetzt nach der Reichsgründung, geteilt oder vereinigt. Aber dennoch hat sich Bolle köstlich amüsiert.

  • Irgendwer muss ja die hohen Mieten in Berlin bezahlen.

  • Nur ne kurze Frage:



    wie lange hat Bayern selbst vom Nettofinanzausgleich profitiert ?

    Grüße aus Baden-Württemberg :-)

    • @Falkner2010:

      Bayern hat lange davon provitiert un d hat das Geld gewinnbringend investiert. Mittlerweile zahlt Bayeren der Bertrag, den Sie über all die Jahre Bekommen haben in einem Jahr!

    • @Falkner2010:

      de.wikipedia.org/w...eich#Finanzvolumen

      Der Vergleich über die Jahre zeigt:



      - Bayern hat 114 Mrd € gezahlt



      - BaWü 87 Mrd € (vielen Dank)



      - Berlin hat 90 Mrd erhalten (einsamer Spitzenreiter)

      Berlin hat übrigens erst seit 1995 Gelder hieraus empfangen - davor gab es das Notopfer Berlin und das Berlinförderungsgesetz

      Es lebt sich halt sehr gut, wenn andere für einen zahlen

      • @eicke81:

        Bitte auch mal die Zahlungen auf die Bevölkerung umrechnen:



        BW ca. 7.712€



        BY ca. 8.527€



        HE ca. 11.424€



        Das Delta macht Söder locker mit unbegründeter Großmäuligkeit wett.

    • @Falkner2010:

      Ein paar Jahre, dann wurden sie Nettozahler. Das einzige Land übrigens, das dauerhaft vom Netto-Empfänger zum Nettozahler wurde. Ich sehe darin eine Aufforderung an andere Netto-Empfänger, das nachzumachen und sich nicht auf den Zahlungen auszuruhen.

    • @Falkner2010:

      37 Jahre.



      Es wäre wirklich nett zu wissen, wie Bayern heute ohne den Länderfinanzausgleich aussähe. Aber das wird gerne von Söder & Co verdrängt. Nehmen macht seeliger als geben.

      • @Frank N. Stein:

        Was Sie nicht begreifen wollen ist, dass Bayern die empfangenen Gelder genutzt hat, um so stark zu werden, dass es heute Geber ist.

        Kein anderes Bundesland hat das geschafft. Sie sind entweder immer schon stark, oder bleiben ewig schwach.

        Wenn der LFA Schwache stark machen soll, dann hat er bei allen Ländern außer Bayern versagt. Und das kritisieren die Bayern zu recht.

    • @Falkner2010:

      Genau, das wird mir erwähnt. Dabei sind die Forderungen nach Abschaffung deshalb eine unsolidarische Unverschämtheit.



      Und genau das, was Söder und Co wahrscheinlich so manchem EU-Land vorwerfen - von den Vorteilen profitieren, aber keine Pflichten erfüllen wollen. Nehmen, aber nicht geben wollen. Ach, auch Einwanderern wird etwas in die Richtung gern unterstellt, fällt mir da ein...

  • Berlin hätte wohl ein Problem wenn die Bayern sich genauso wie Berlin verhalten würden. Solange man die anderen schröpfen kann, warum nicht. Berlin ist halt Berlin.