Attac ohne Gemeinnützigkeit: Angst vor Attac-Schicksal
Seit zehn Jahren gilt die NGO Attac nicht mehr als gemeinnützig. Viele Vereine halten sich seitdem politisch zurück – dabei gibt es Lösungsvorschläge.
Für zehntausende Organisationen ist der vom Finanzamt verliehene Status der Gemeinnützigkeit fester Bestandteil der Finanzplanung. Spenden aus der Bevölkerung sind dann steuerlich absetzbar, was die Spendenbereitschaft und damit die Einnahmen erhöht. Außerdem wird keine Körperschaft- und Gewerbesteuer fällig. Allerdings läuft seit Jahren ein grundsätzlicher Rechtsstreit. Den will die Bundesregierung eigentlich mit einer gesetzlichen Änderung klären. Doch das dafür eingesetzte Gremium aus sechs StaatssekretärInnen kann sich nicht einigen.
Die Hängepartie begann vor fast genau zehn Jahren. Damals entzog das Finanzamt Frankfurt/Main der globalisierungskritischen Organisation Attac den begehrten Status. Diese wehrte sich juristisch, worauf der Bundesfinanzhof 2019 ein weitreichendes Urteil fällte. Die ständigen Versuche der einseitigen Politikbeeinflussung durch Attac stünden nicht in Einklang mit den gemeinnützigen Zwecken der „Volksbildung“ und der „Förderung des demokratischen Staatswesens“. Nun liegt der Fall beim Bundesverfassungsgericht.
Anfangs bekam Attac weiter viele Spenden. Sprecherin Frauke Distelrath führte das auf den Solidaritätseffekt zurück. Seit 2019 aber nahmen die Einnahmen ab, was wohl auch mit der fehlenden Absetzbarkeit zu tun hat. Vergleichbare Entscheidungen der Finanzämter ereilten in der Zwischenzeit zahlreiche Vereinigungen, etwa die Kampagnen-Organisation Campact, die Petitionsplattform innn.it oder den antifaschistischen Verband VVN. Innn.it und VVN erhielten die Gemeinnützigkeit mittlerweile zurück.
Liste der gemeinnützigen Zwecke erweitern
Lösen ließe sich das Problem durch eine Änderung der Abgabenordnung, die momentan 26 förderungswürdige Tätigkeiten aufführt. Andreas Fisahn, Professor für Öffentliches Recht an der Universität Bielefeld, plädierte für Formulierungen, die mehr Offenheit ermöglichen. Die Demokratie werde auch durch den Streit über konträre und einseitige politische Positionen gefördert, argumentierte er. Diefenbach-Trommer hielt es für möglich, den Katalog der gemeinnützigen Zwecke zu erweitern.
Derartige Bewegung ist augenblicklich jedoch nicht zu beobachten. Weder entscheidet das Bundesverfassungsgericht über die Klage von Attac gegen den Entzug der Gemeinnützigkeit. Noch kommt die Regierung voran. Die zuständigen Abgeordneten von SPD und Grünen, Nadine Heselhaus und Sabine Grützmacher, erwarten zwar, dass die Lösung im Jahressteuergesetz 2024 steht. Doch das Bundesfinanzministerium von Christian Lindner (FDP) hält sich bedeckt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Kampf gegen die Klimakrise
Eine Hoffnung, die nicht glitzert
Angeblich zu „woke“ Videospiele
Gamer:innen gegen Gendergaga
Haldenwang über Wechsel in die Politik
„Ich habe mir nichts vorzuwerfen“
Zweite Woche der UN-Klimakonferenz
Habeck wirbt für den weltweiten Ausbau des Emissionshandels
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS