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BDI-Kritik an RegierungSelbst schuld

Simon Poelchau
Kommentar von Simon Poelchau

BDI-Chef Siegfried Russwurm klagt, dass die ersten zwei Jahre der Ampel-Regierungszeit verlorene Jahre seien. Das sieht einem Wirtschaftsboss ähnlich.

Wenn die Industrie boomt, sind die Menschen nicht zwangsläufig glücklich Illustration: Ali Arab Purian/taz

B DI-Chef Siegfried Russwurm jammert. Es seien „zwei verlorene Jahre“ gewesen, zieht der oberste deutsche Industrielobbyist im großen Süddeutsche-Zeitungs-Interview Halbzeitbilanz über die Regierungszeit der Ampel. Es sei zu wenig investiert und unternommen worden, um den Wirtschaftsstandort Deutschland zu sichern, so der Tenor, „auch wenn manche Weichen schon in der Zeit davor falsch gestellt wurden“.

Es ist schon bemerkenswert, wie der Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) da Staatsknete für Unternehmen fordert. Nach dem Motto: Wenn die chinesische Konkurrenz Geld von Peking bekommt, wollen wir auch Subventionen aus Berlin. Unter kapitalistischen Bedingungen und in Zeiten des Umbruchs hat Russwurm damit auch nicht ganz unrecht.

Nicht umsonst wird seit Monaten diskutiert, wie die heimische Industrie fit für eine klimaneutrale Zukunft gemacht werden kann. Ganz ohne staatliche Eingriffe und Investitionen wird das nicht funktionieren, weshalb manche Äußerung Russwurms auch von einem IG-Metall-Mitglied stammen könnte. Schließlich geht es bei der ganzen Diskussion auch um gut bezahlte – und gewerkschaftlich gut organisierte – Industriearbeitsplätze.

Grund zum Meckern hat Russwurm trotzdem nicht. Denn zum Großteil ist die deutsche Industrie selbst schuld an ihrer Lage. Die hiesigen Autobauer zum Beispiel haben lange die Antriebswende verschlafen und setzten lieber auf große Benziner und Diesel, weshalb sie in Sachen Elektromobilität jetzt Nachteile gegenüber der Konkurrenz haben. Zum Beispiel bei der Batterieproduktion, die in der Elektromobilität einen zentralen Teil der Wertschöpfung ausmacht. Die Folge ist, dass der Staat nun der schwedischen Firma North­volt 900 Millionen Euro an Subventionen gibt, damit sie in Schleswig-Holstein eine Batteriefabrik baut.

Die deutsche Industrie hat also ein Moral-Hazard-Problem. Das heißt, sie lagert ihre Probleme und Risiken bewusst auf die Allgemeinheit aus. Genauso wie Banken vor der Finanzkrise 2007/08 auf der Suche nach möglichst großen Profiten viel zu große Risiken eingingen und sich nach dem Crash mit Steuergeldern retten ließen, feierte sich die Industrie für ihre Exporterfolge und angeblich so große Ingenieurskunst, als es ihr gut ging, und ruft nun nach Subventionen. Das Prinzip ist also immer dasselbe: Verluste vergesellschaften und Profite privatisieren.

Bundesregierung muss handeln

BDI-Chef Russwurm sagte im Interview, dass er bei Kanzler Olaf Scholz kein offenes Ohr gefunden habe. „Die Klage ist das Lied des Kaufmanns“, hat der Kanzler laut Russwurm zuletzt häufig gesagt. Wenn dies so stimmt, dann muss man Scholz mal zustimmen. Auch wenn es wehtut.

Denn die erste Hälfte der Regierungszeit der Ampelkoalition waren in der Tat „zwei verlorene Jahre“. Doch nicht für die Industrie, sondern die Menschen im Land. Denn viele von ihnen mussten in den vergangenen Jahren den Gürtel deutlich enger schnallen. Wegen der horrenden Inflation beliefen sich die Reallohnverluste ­allein im Jahr 2022 auf einen Rekordwert von 4 Prozent, nachdem sie die beiden Jahre davor schon gesunken waren. Und auf diesen enormen Kaufkraftverlust hat die Bundesregierung noch keine Antwort gefunden.

Die Mindestlohnerhöhung auf 12 Euro war bereits im Koalitions­vertrag, also vor der Energiekrise, beschlossen und damals schon zu ­niedrig, um Armutslöhne zu unterbinden. Statt die Gewerkschaften zu stärken, die höhere Löhne für die Beschäftigten ­erkämpfen könnten, wurde im Zuge des Bahnstreiks eine Einschränkung des Streikrechts diskutiert.

Dabei müsste die Bundesregierung schon aufgrund von EU-Recht die Lage der Gewerkschaften stärken. Die neue EU-Mindestlohnrichtlinie sieht nämlich vor, dass Mitgliedsstaaten Maßnahmen zur Stärkung der Tarifbindung einführen sollen, wenn diese unter 80 Prozent beträgt. In Deutschland ist nur noch knapp die Hälfte der ­Beschäftigten tariflich abgesichert. Die Ampel schweigt sich aber bisher aus, wie sie dieses Problem angehen will.

Es braucht also einen Restart. Doch muss es danach in eine andere ­Richtung gehen, als es dem BDI-Chef vorschwebt. Ansonsten drohen zwei weitere ­verlorene Jahre.

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Simon Poelchau
Redakteur
ist für Ökonomie im taz-Ressort Wirtschaft und Umwelt zuständig.
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3 Kommentare

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  • "Verluste vergesellschaften und Profite privatisieren."

    Dem Kapitalismus reicht eben nicht eine "ursprüngliche Akkumulation". Es muss ständig (und mit staatlicher Unterstützung) auf Raubzug sein, sei es im Imperialismus der 1860ern, im Neo-Imperialismus der 1970ern oder eben heute.

    Alles schön bei Hannah Arend nachzulesen, die Rosa Luxemburg zitiert (für die 1860er), bei Maria Mies, Claudia von Werlhof oder David Harvey (später).

  • BDI, wo Inkompetenz Spitze ist!



    Das ist schon interessant:



    Da schließt sich an die Coronakrise Nahtlos der Ukrainekrieg an.



    Dem Fachkräftemangel stemmt sich der Staat entgegen und bewirkt, über beide Krisen hinweg, dass mittels der Ausweitung des Kurzarbeitergelds die Wirtschaft entlastet und die Arbeitsplätze gesichert werden.



    Es werden regenerative Energien derart gefördert, dass sie im Vergangenen Jahr 55% am Strommix ausmachten.



    Die Abhängigkeit von Russischen (Energie -) Zulieferungen wurde innerhalb eines Jahres abgeschafft.



    Der Mindestlohn wurde angehoben, das Bürgergeld incl. Weiterbildungsmöglichkeiten geschaffen.



    Zuwanderung von (Fach-) ArbeiterInnen wurde erleichtert.



    Fördermittel, um der Baubranche auf die Füße zu helfen, wurden aufgelegt und die Genehmigungsverfahren für Windenergie vereinfacht.



    Die Rüstungsindustrie profitiert von den staatlichen Hilfen an die Ukraine und dem 100Mrd Euro schweren Sondervermögen.



    In die Schine wird ebenfalls investiert.



    Ansiedlungen von Zukunftstechnologien werden ermöglicht.



    Das sind Alles Maßnahmen, die sowohl den ArbeiterInnen, als auch der Wirtschaft nutzen.



    Ich stelle es mir recht kompliziert vor, diese Faktoren beim Thema Wirtschaft in Deutschland einfach zu übersehen Dabei wurden krisenbedingte Energiezuschläge und Fördermittel noch nicht einmal näher erwähnt. Trotz anhaltender Krisensituation ist die Inflation auf Normalmaß gesunken, was auch durch staatliche Lenkung befördert wurde.



    Der liebe Mann vom BDI kann über den eigenen Tellerrand offenbar nicht hinausgucken und macht hier indirekte CDU Werbung . Die Erkenntnis, dass letztere dafür verantwortlich ist, dass der Ampel zusätzliche Mittel zur Wirtschaftsförderung zur Verfügung stehen, hat der Tellerrand wohl auch verhindert.

  • Hmm, hat die Automibilindustrie die E-Mobilität wirklich verschlafen? Im wesentlichen besteht ein E-Auto au einer Batterie, die übrigen Komponenten geschenkt.

    DIe Automobilindustrie hat doch eher noch alles rausgeholt was möglich war. Größere und teuerere Autos haben die Kunden gewünscht und bekommen. Damit hat die Industrie die fetten Jahre halt voll mitgenommen. Hinsichtlich der E-Autos hat die Industrie eh keine Chance, allenfalls durch Strafzölle (siehe USA).

    Und waren die ertsen Jahre dieser Koalition verloren Jahre? Na klar. Braucht es einen Restart? Na klar. Die Frage ist nur, ob diese Koalition daran noch beteiligt sein sollte.