Russische Präsidentschaftswahl: Zirkus unter russischer Besatzung

Im russisch besetzten Gebiet Cherson fand die Wahl bereits Anfang März statt. An dem Propagandaspektakel waren ukrainische Kollaborateure beteiligt.

Eine ältere Frau stimmt im Wahllokal ab, sie wird von einem Wahlhelfer unterstützt

Vorgezogenen Abstimmung zu den Präsidentschaftswahlen im Dorf Askanija-Nowa im russisch besetzten Teil des Gebietes Cherson Foto: Konstantin Mihalchevskiy/Sputnik/imago

„Russland für immer treu!“ singt eine Frau im langen schwarzen Steppmantel. Sie steht auf einem Platz vor einer Videoleinwand, auf der ein Musikvideo läuft gezeigt wird. Dutzende Mit­ar­bei­te­r*in­nen der örtlichen Besatzungsverwaltung klatschen im Takt dazu. Es hat etwas von einer Karaoke-Show unter freiem Himmel.

Unweit der Leinwand stehen Campingklapptische und etwas, das an Umkleidekabinen am Strand erinnert. Dorthin kommen ab und zu Leute, um ihr Kreuz auf Wahlzetteln zu machen. Viele sind es nicht. Das Gelände ist mit Luftballons in den Farben der russischen Flagge geschmückt. Mit solchen Luftballons sind auch die Mit­ar­bei­te­r*in­nen der Wahlkommissionen unterwegs, mit weiß-blau-roter Schminke im Gesicht. Sie wirken ein bisschen wie Ani­ma­teu­r*in­nen in einem Kinderclub.

Das Video mit dieser Szene aus einem Dorf des Bezirkes Skadowsk im russisch besetzten Teil des südukrainischen Gebietes Cherson findet man auf einer Website der russischen Okkupationsverwaltung. Dort und in den sozialen Medien kursieren zahlreiche weitere Videos und Fotos, die die vorgezogenen russischen Präsidentschaftswahlen wie ein großes russisches Volksfest wirken lassen.

Vorgezogene Wahlen aus „Sicherheitsgründen“

Offiziell finden die russischen Präsidentschaftswahlen erst zwischen dem 15. und 17. März statt. Doch hier hatte man sie schon Wochen früher durchgeführt, Tatsächlich fanden die vorgezogenen Wahlen im gesamten russisch besetzten Teil des Gebietes Cherson statt, nicht nur dort, wo aktuell Kampfhandlungen stattfinden, sondern auch nahe der Verwaltungsgrenze zur Krim.

„Meine Frau und ich saßen zu Hause und haben niemandem die Tür aufgemacht, damit uns niemand zur Stimmabgabe bei diesen so genannten Wahlen zwingen konnte. Einmal mussten wir allerdings zum Einkaufen auf den Markt. Dort kamen zwei Frauen mit Wahlurnen auf uns zu, begleitet von zwei bewaffneten Soldaten. Wir haben sie angelogen, haben gesagt, wir hätten schon gewählt. Aber die beiden bestanden darauf, dass wir es noch einmal tun sollten. Also mussten wir noch mal ein Kreuz auf einem Stimmzettel machen, eine andere Möglichkeit gab es nicht. Das war echt ein Zirkus!“, erzählt ein Bewohner aus Nowa Kachowka auf Anfrage der taz.

Mehrfach zu wählen ist kein Problem

Der Mann, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, fügt hinzu, dass er anschließend die beiden Frauen von der Wahlkommission gefragt habe, ob sie ihnen vielleicht schriftlich bestätigen könnten, dass sie nun gewählt hätten – damit sie es nicht noch ein weiteres Mal tun müssten. Doch die beiden Frauen erklärten, dass sie solche Papiere nicht ausstellen würden und auch kein Problem darin sähen, wenn jemand mehrmals für „unseren Präsidenten“ stimmen würde.

Auch aus anderen Gemeinden in den Bezirken Henitschesk und Kachowka berichteten Einwohner von solchen Fällen. Die Russen machten nicht einmal einen Hehl daraus, dass sie diese sogenannten Wahlen nicht auf der Grundlage vorbereiteter Wählerverzeichnisses abhielten, sondern einfach auf der Grundlage der realen Wahlbeteiligung. Sie konnten jeden so oft in ihre Unterlagen eintragen, wie sie wollten.

In den sozialen Netzwerken kursieren zahlreiche Bilder und Videos aus improvisierten Wahllokalen in den besetzten Gebieten der Region Cherson. Auf einigen sah man recht viele Menschen. Doch bei näherer Betrachtung stellte sich heraus, dass es sich dabei fast ausschließlich um Beamte der Besatzungsverwaltung handelte. Die russische Propaganda gab so Kollaborateure und Neuankömmlinge aus Russland, die zum Arbeiten in die Südukraine gezogen waren, als Einheimische aus.

Höchststrafen für Kollaboration

Gleichzeitig versuchen Mit­ar­bei­te­r*in­nen der illegalen Wahlkommissionen selbst zunehmend, ihre Tätigkeit geheim zu halten. Das ist kein Zufall: In letzter Zeit verurteilen ukrainische Gerichte fast wöchentlich die Organisatoren und Teilnehmer des illegalen Referendums 2022 bzw. der Bezirks- und Lokalwahlen 2023 in der Region Cherson und anderen russisch besetzten Gebieten der Ukraine.

So wurde im Herbst 2023 Svitlana Bubuyek aus dem befreiten ukrainischen Dorf Dudtschany im Bezirk Beryslav zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt, ihr gesamtes Vermögen wurden eingezogen. Vor Gericht sagte die Angeklagte, sie sei gezwungen worden, beim „Referendum“ zu arbeiten, weil sie kein Geld mehr zum Leben hatte. Die 50.000 Rubel, umgerechnet etwa 500 Euro, die ihr die russischen Besatzer für ihre „Arbeit versprochen hatten, habe sie allerdings nie bekommen. Die Höchststrafe für diese Art von Kollaboration beträgt in der Ukraine zehn Jahre.

Die illegalen Präsidentschaftswahlen in der Region Cherson werden in der Regel von denselben Kollaborateuren organisiert, die auch schon beim sogenannten Referendum 2022 und bei den Lokal-und Regionalwahlen im September 2023 aktiv dabei waren. Ob es dabei auch neue Gesichter geben wird, wird sich erst am kommenden „Wahlwochenende“ zeigen, wenn die letzte und wichtigste Etappe der russischen Präsidentschaftswahlen nicht nur in Russland selber, sondern auch in den besetzten ukrainischen Gebieten stattfinden wird.

Aus dem Ukrainischen Gaby Coldewey

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