Russische Scheinwahl in besetztem Gebiet: Stimmabgabe auf der Motorhaube
In den von Russland besetzten ukrainischen Gebieten werden Scheinwahlen abgehalten. Passanten werden auf der Straße zur Stimmabgabe gezwungen.
Die Ergebnisse überraschen nicht wirklich. Bei den sogenannten Regionalwahlen in den besetzten Gebieten in der Ukraine holte die Kremlpartei „Einiges Russland“ nach Angaben der russischen Behörden die meisten Stimmen. Im Gebiet Cherson soll sie 72,9 Prozent, in Saporischschja 83,9 Prozent, in den „Volksrepubliken“ Donezk und Luhansk 78,6 und 75 Prozent erlangt haben.
Stimmen konnten in den vier „neuen Gebieten“ – wie die Russen die besetzten ukrainischen Regionen nennen – bereits ab dem 31. August abgegeben werden. Während des Wahlkampfs verbreitete „Einiges Russland“ seine Wahlwerbung auch per Telegram. In Videos waren unter anderem ukrainische Kollaborateure zu sehen.
Kaum vorgestellt wurden die Kandidat*innen, die zur Wahl standen. Selbst die Kollaborateure beklagten sich in Chats unter anderem auf Telegram darüber, dass sogar in den Wahllokalen – wo es sonst üblich war – keine Biografien und Fotos von den Kandidaten aushingen. Einzig auf den so genannten Stimmzetteln gab es minimale Informationen über sie.
„Wir wählen die Katze im Sack. Wenn man von den Familiennamen auf den Stimmzetteln ausgeht, werfen fast nur Unbekannte ihren Hut in den Ring“, schrieb die Kachowkaerin Iryna auf Russisch bei Telegram. Lediglich Pawlo Filiptschuk war kein Unbekannter. „Er strebt mit seiner ganzen Familie an die Macht“, schrieb Iryna. Filiptschuk ist nicht nur Mitglied von „Einiges Russland“, sondern auch Leiter der Besatzungsverwaltung der Stadt Kachowka in der Region Cherson. Neben ihm kandidierten auch sein Vater und Parteifreund Igor und seine Mutter Olena, die für die rechtspopulistische Liberal-Demokratische Partei Russlands (LDPR) antrat.
Pawlo Filiptschuk selbst, schon lange für Korruption bekannt, hatte 2015 und 2020 die Bürgermeisterwahl in Kachowka verloren. Auch der Sprung ins ukrainische Parlament war ihm 2019 nicht geglückt. Zu Beginn der russischen Besatzung war er vom russischen Militär verschleppt und rechtswidrig gefangen gehalten worden. Es scheint, als sei diese Wahl jetzt seine letzte Chance, die russischen Besatzer von seiner Loyalität zu überzeugen.
Zwar hatten die Besatzer vor den Wahlen angekündigt, dass niemand auf den Straßen wählen würde. Zahlreiche Fotos auf ihren eigenen Telegram-Kanälen widerlegen das jedoch. So wurden in Cherson nicht nur in Wahllokalen, sondern überall Kreuzchen gemacht: auf Märkten, Bürgersteigen und Motorhauben. Die Organisatoren der Scheinwahlen zwangen Passanten auf den Straßen zum Ausfüllen der Stimmzettel. Um dem zu entgehen, bemühte sich die große Mehrheit der Menschen im Gebiet Cherson in der Zeit der Pseudowahlen, möglichst wenig auf die Straße zu gehen.
„Wir haben im September 2022 nicht beim Referendum abgestimmt und gedenken auch jetzt nicht, an diesen Wahlen teilzunehmen“, erzählte eine Einwohnerin von Nowa Kachowka der taz in der vergangenen Woche. Schließlich seien die Ergebnisse sowieso schon lange bekannt. „Die Russen bekommen das Ergebnis, das sie haben wollen. Wir sitzen zu Hause, und wenn jemand an der Tür klopft, tun wir so, als sei niemand da.“
Ähnliches erzählt eine Frau aus der Stadt Kachowka: „Ich habe mir für eine Woche Lebensmittel gekauft.“ Sie bleibe zu Hause und bemühe sich, nicht aufzufallen. „Ich möchte diese unverschämten Gesichter nicht sehen und auch keinem dieser Kandidaten oder denjenigen begegnen, die diese Abstimmung durchführen.“
Die russischen Besatzer selbst hatten vorab angekündigt, dass die Abstimmungen bis zum 7. September nur in „schwer zugänglichen, abgelegenen Gebieten“ durchgeführt werden sollten. Tatsächlich aber lief die Abstimmung überall bereits eine Woche vorher an und wurde ab dem 8. September ohne Unterbrechung fortgeführt.
Aus dem Ukrainischen Gaby Coldewey
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