Landesminister Bayaz über Hass auf Grüne: „Einstehen für Demokratie“
Danyal Bayaz ist grüner Finanzminister in Baden-Württemberg. Wie nimmt er die aggressive Stimmung gegenüber den Grünen wahr und was sagt er zur Ampel?
wochentaz: Herr Bayaz, wir wollen mit Ihnen reden über die politische Handlungsfähigkeit von Regierungen und über die spezielle Situation der Grünen als Hauptgegner von fast allen. W ie frei sind Sie persönlich im Moment als baden-württembergischer Finanzminister in Ihrem politischen Handeln?
Danyal Bayaz: Die Freiheitsgrade in einem politischen Amt und in der politischen Verantwortung muss man sich angesichts vieler Zwänge schon selbst nehmen. Und die braucht man auch, wenn man Veränderungswillen und Veränderungsbereitschaft mitbringt. Insofern bin ich schon frei.
Na, gut, das war die Theorie, nun mal bitte die praktische Erfahrung.
40, ist seit 2021 Finanzminister für die Grünen in Baden-Württemberg. Er gilt als „Realo“ und arbeitet unter Ministerpräsident Winfried Kretschmann in einer Koalition mit der CDU zusammen. Die Ampelregierung kritisiert Bayaz für ihre Kommunikation und fordert mehr Kompromissbereitschaft.
Zwei Dinge engen konkret ein. Die finanzielle Handlungsfähigkeit ist aktuell enorm limitiert, vor allem auch durch das strenge Urteil zur Schuldenbremse aus Karlsruhe. Und das andere ist das gesellschaftliche Klima. Ich erwische mich durchaus auch bei dem Gedanken, dass ich Entscheidungen doch noch ein, zwei Mal auf Shitstormpotenzial abklopfe. Das ist beklemmend. Gar nicht so sehr für mich persönlich, sondern für den Staat, für die Demokratie, für Fortschritt. Weil das ja nicht handlungsleitend für politische Entscheidungen sein sollte.
Jetzt haben nicht nur die AfD, sondern auch die Unionschefs Friedrich Merz und Markus Söder die Grünen strategisch als Hauptgegner ausgewählt. Wie wirkt sich das auf Ihre Landeskoalition aus, in der ja die CDU seit vielen Jahren Junior ist?
Die CDU ist in der Regierung eindeutig besser als in der Opposition. Das hat auch etwas mit ihrer staatstragenden Geschichte zu tun. Sie hat die Mitte in der Bundesrepublik stabilisiert und trotzdem auch immer wieder Veränderungen möglich gemacht. Getreu dem Motto „only Nixon could go to China“ ist es gerade bei einigen für Grüne schwierige Themen womöglich besser, die CDU mit in der Regierung zu haben. Vielleicht kriegt man gerade mit der Union mehr beim Klimaschutz hin, als wenn Grüne reine Lehre machen, die ja sozusagen verdächtig sind, und die Union aus der Opposition übertrieben aus allen Rohren feuert. Deswegen arbeiten wir hier in Baden-Württemberg sehr gut zusammen. Gibt es mal Konflikte? Na klar, aber die lösen wir sachlich und vor allem ohne zu viel öffentlichen Streit.
Womit wir bei der Ampel wären.
Ja, da werden in Berlin leider Maßstäbe gesetzt, das beobachte ich mit Sorge. Der Auftritt ist an vielen Stellen schwierig, manchmal gar fatal. Aber ich mache mir auch Sorgen um die CDU.
Ach was?
Die Union steht aktuell in Umfragen gut da, bei der Ampel-Performance darf das nicht wundern. Aber es ist eine offene Frage, ob die CDU steht oder irgendwann den Weg der US-Republikaner geht. In der Opposition ist die Gefahr immer größer, wegzukippen. Da kommt es auf Führung durch Leute mit Kompass an, John McCain oder Wolfgang Schäuble waren so welche. Zuletzt ist mir aufgefallen, dass zwar Armin Laschet die Ereignisse in Biberach klar und eindeutig beim Namen genannt hat, damit aber ziemlich allein war in der CDU.
Sie meinen den verhinderten Grünen Aschermittwoch durch protestierende Bauern. Manche Konservative sagen: Die sollen mal nicht so heulsusig sein. Was sagen Sie?
Es geht gar nicht um Solidarität für Grüne, sondern es geht um das Einstehen für Demokratie. Das müssen einige noch verstehen, dass sich hier mancher Frust nicht gegen eine Partei oder ein politisches Programm richtet, sondern gegen den Staat als solchen.
In den 80ern wollte Grüne und Linke Veranstaltungen von Kanzler Kohl verhindern. Ist die politischen Kultur heute wirklich auf einem neuen Tiefstand?
Ja, das finde ich schon. Man muss aber auch sagen: In Biberach und anderswo war das eine laute Minderheit. Und Cem Özdemir hat auch recht, wenn er sagt, das ist nicht die deutsche Bauernschaft. Die Frage ist aber: Bleibt es so oder wird es schlimmer?
Aus jedem Bauern, der einen Misthaufen auf die Straße ausschüttet, gleich einen Staatsfeind zu machen, hilft doch auch nicht weiter.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Richtig, anderen ihr demokratisches Verhalten abzusprechen, damit muss man sehr präzise, sehr verantwortungsvoll umgehen. Die jüngsten Proteste in Brandenburg haben aber auch gezeigt, wohin das führen kann. Über Proteste und Demonstrationen darf man sich nicht beschweren, das ist legitim. Und wenn der Mist jetzt bei uns abgeladen wird, ist das halt so. Aber Gewalt, Hetze und die Gefährdung von Menschenleben gehen gar nicht, solche Leute verlassen den demokratischen Konsens. Und da frage ich mich schon, wo eigentlich die Law-and-Order-Ansagen derjenigen sind, die sonst von der Klima-RAF sprechen.
Warum stehen die Grünen eigentlich so im Feuer?
Das hat unterschiedliche Gründe. Durchaus auch selbst gemachte, habe ich ja schon mal gesagt.
Sagen Sie es gern noch mal.
Eine moralisch-politische Sprache, manchmal gepaart mit Besserwisserei. Auch wenn wir da klüger geworden sind, dieses Image sitzt tief. Aber es gibt auch andere Gründe. Eine Studie hat gerade gezeigt, dass Männer und gerade auch junge Männer stärker nach rechts-autoritär driften. Vor allem Frauen stabilisieren dagegen wissenschaftliche und liberale Positionen. Eine Partei wie die Grünen hat sehr viele Frauen, auch gerade junge Frauen, in der Verantwortung: Das triggert offenbar manche, aber dafür müssen wir uns wirklich nicht entschuldigen. Und es kommt etwas Zentrales hinzu: Die Grünen stehen wie keine andere Partei für Veränderung. Damit entsprachen wir im Endstadium der letzten Großen Koalition auch dem Zeitgeist, alle sehnten sich nach Aufbruch. Aber durch die Pandemie, den russischen Krieg gegen die Ukraine oder die Inflation gibt es jetzt ein größere Bedürfnis nach Stabilität. In einer krisengeplagten Gesellschaft ist das Tempo von Veränderung entscheidend.
Wir sind die einzige Partei, die Veränderung will … das sagen gerade alle bei den Grünen. Ist das eine Sprechlinie?
Also, mir schickt keiner Wordings zum Ablesen. Schwierige wirtschaftliche Lage, geopolitische Spannungen, anhaltend hohe Migration – das sind für Grüne bisher keine Gewinnerthemen. Wir nehmen trotzdem diese Aufgabe an, keine Frage. Ich sehe auch nicht unbedingt einen Rechtsruck, sondern vielmehr eine Erweiterung des Spektrums: Alles ist möglich. Obama war möglich. Trump war aber auch möglich. Ein grüner Ministerpräsident ist möglich, wie wir in BaWü sehen. Es ist aber auch theoretisch denkbar, dass ein Björn Höcke auf Platz eins bei einer Wahl liegt.
Sie sagen, wir könnten US-amerikanische Verhältnisse bekommen?
Ja, aber wir haben sie zum Glück hier bislang noch nicht. Das ist ja die These des Soziologen Steffen Mau, dass 80 oder vielleicht 85 Prozent der Menschen bei uns rational sind, also offen für Argumente, und dass sie den Kompromiss wollen. Und jetzt schocke ich Sie mal.
Wir sind gespannt.
Ich glaube, der Kompromiss ist das neue Progressiv. Der Kompromiss ist der neue Fortschritt, weil der Kompromiss in einer Zeit wie dieser die Demokratie erhält, handlungsfähig macht und die Grundlage für Entscheidungen ist, die etwa Klimaschutz voranbringen. Ob das dann in der richtigen Geschwindigkeit passiert, ist eine ganz andere Frage. Aber der Kompromiss ermöglicht diese Politik überhaupt erst. Deswegen glaube ich, dass die Grünen, die wie keine andere Partei für Klimaschutz stehen, vielleicht aktuell sogar eine wichtigere Aufgabe haben, nämlich Demokratieverteidiger zu sein. Nicht moralisch, nicht belehrend, nicht im Duktus: Wir sind die Einzigen, die das können.
Sondern?
Staatstragend im besten Sinne. Die Partei für das große Ganze und das Morgen. Da sagen einige: Wollt ihr das Erbe von Angela Merkel antreten? Nein, aber das ist schlicht die Aufgabe, die wir gerade wahrnehmen müssen.
Und damit wird man doch noch zu einer Kanzlerpartei?
Ich weiß nicht, ob wir nächstes Mal eine Kanzlerkandidatur brauchen, bei 14 oder 15 Prozent würde man sich damit lächerlich machen. Andererseits sind wir jetzt auch nur 10 Prozent von der Marke entfernt, mit der Scholz Kanzler wurde. Wenn das das absolute Tal der Tränen sein soll, ist es ja verkraftbar. Und bis zur Bundestagswahl ist es ja auch noch hin. Wir müssen jetzt auch nicht in Sack und Asche gehen.
Aber die Opferrolle ist doch sehr erfolgreich, wie man an der AfD sieht. Könnten die Grünen doch auch mal versuchen.
Nein, mit Opfern hat man Mitleid, aber denen vertraut man kein Land an. Die Leute wollen das Land in guten Händen wissen und wollen, dass wir verantwortlich mit der Macht umgehen und auch bereit sind, für uns schwierige Entscheidungen zu fällen.
Nach Biberach gab es für die Grünen viel Solidarität. Haben die Grünen diese Solidarität auch immer umgekehrt geleistet?
Gute Frage, wahrscheinlich nicht immer. Mir hat mal ein CDU-Bundestagsabgeordneter aus NRW gesagt: Auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise 2015/16, da wart ihr am Münchener Hauptbahnhof und habt applaudiert, während ich auf meinen Veranstaltungen den vollen Hass abbekommen habe. Habt ihr das auch gesehen, damals? Ich würde heute sagen: I don’t know…da hätte man damals den Konservativen auch anders Solidarität zeigen können. Beim Hass gegen Jens Spahn in der Coronazeit allerdings standen die Grünen hinter dem damaligen CDU-Minister und der Kanzlerin wie kein anderer.
Wenn man den Egotrip der Parteien der Ampelkoalition anschaut, stehen Sie auf relativ einsamem Posten mit Ihrem staatstragenden Gestus.
Für mich gibt es drei große Enttäuschungen der Ampel. Das eine ist die Kommunikation und Führung des Bundeskanzlers. Das Zweite ist: Wir haben es nicht geschafft, die Marktwirtschaft, die der FDP so wichtig ist, und den Klimaschutz, der den Grünen so wichtig ist, in einen gemeinsamen, kohärenten Politikansatz zu überführen. Spätestens nach dem Urteil des Verfassungsgerichts ist das in sich zusammengefallen. Das Dritte: Hat man die wirtschaftliche Lage eigentlich verstanden? Auch wenn der Arbeitsmarkt zum Glück noch gut läuft, braucht es dringend grundlegende Reformen. Die Regierung hat jetzt noch eine Chance, einen großen Wurf vorzulegen.
Wie muss der große Wurf inhaltlich aussehen?
Jede Partei muss dringend ideologischen Ballast abwerfen. Deutschland ist Hochsteuerland: Wir sind nicht mehr wettbewerbsfähig genug. Wir müssen schauen, wie wir ein investitions- und unternehmensfreundliches Steuerrecht hinbekommen. Zum Beispiel den Soli auf die Körperschaftssteuer abzuschaffen. Zweitens: Arbeiten lohnt sich in Deutschland zwar immer im Vergleich zu Nicht-Arbeiten. Was sich nicht immer lohnt, ist Mehrarbeit, weil wir ein komplexes System von Bürgergeld, Familienzuschlag, Wohngeld und anderen Sozialleistungen haben. Und da gibt es kontraproduktive Anreize, das schreit nach einer Sozialreform. Und drittens: Wenn wir die Bundeswehr besser ausstatten wollen, wenn wir in die Zukunft der Wirtschaft investieren wollen, in die digitale Verwaltung, die Infrastruktur und in Bildung, dann wird es nicht ohne eine Reform der Schuldenbremse gehen. Die Reform wird kommen, die Frage ist nur wann. Haben die jetzige Regierung und ihr Finanzminister die Kraft dazu? Oder quält man sich durch den nächsten Bundeshaushalt, erhält die Quittung dafür und dann übernimmt die Union, die ohne mit der Wimper zu zucken eine Reform angehen wird?
Ihr Ministerpräsident Kretschmann hat ja die Grünen 13 Jahre lang als Prototyp einer gemässigt progressiven Regierungspartei vermarktet. Trotzdem nehmen jetzt die Umfragewerte auch in Baden-Württemberg dramatisch ab. Ist der Kretschmann-Kompromiss-Kurs für die Grünen am Ende doch kein Erfolgsmodell?
Wir brauchen auf allen politischen Ebenen mehr Kretschmann und nicht weniger. Sein Amtsverständnis, sein Politikverständnis, das ist eine Blaupause für Erfolg. Ich hab von Kretschmann drei Dinge gelernt: In der Opposition verspricht man keine Dinge, die einem in der Regierung auf die Füße fallen. Die Kindergrundsicherung lässt grüßen. Das zweite: Land geht vor Partei, auch bei schwierigen Themen wie Asyl. Und drittens, mit grünen Ideen schwarze Zahlen schreiben. Wir können Klimaschutz nur erfolgreich machen und andere Länder zum Mitmachen motivieren, wenn wir ein wirtschaftlich prosperierendes Land mit Wohlstand und guten Jobs sind. Ich bin froh, dass wir mit Robert Habeck auf Bundesebene jemanden haben, der genau diesen Geist atmet. Zurück in die Nische, recht haben, aber nix verändern, das wäre zurück in die Vergangenheit und die Irrelevanz.
Es nützt Ihnen aber nichts, vernünftig und kompromissfähig zu sein, wie man in Hessen gesehen hat.
Eine Neu-Auflage von Schwarz-Grün in Hessen ist weder an den Grünen noch an Tarek Al-Wazir gescheitert. Wir sind pragmatisch, aber eben nicht beliebig. Das lag einfach daran, dass die SPD für Boris Rhein billiger zu haben war. Man muss akzeptieren, dass sich Wahlgewinner ihre Partner souverän aussuchen. Es bleibt uns also nur die Strategie, so stark zu werden, dass keiner an uns vorbeikommt. Dafür müssen wir möglichst breit anschlussfähig für die Menschen im Land sein. Das gilt auch mit Blick auf die anderen demokratischen Parteien.
Sie werden gern als „Superrealo“ gelabelt. Ist diese Etikettierung aus der guten alten Zeit noch passend?
Ich ärgere mich nicht über den Begriff, auch wenn ich nicht genau weiß, was das sein soll. Ich sitze auf einem Ministerstuhl, stecke in vielfältigen Dilemmata, muss ständig Probleme lösen und jeden Tag auch mit mir selbst Kompromisse machen. Ohne eine realo-pragmatische Einstellung ist da buchstäblich kein Staat zu machen. Winfried Kretschmann hat das Narrativ stark gemacht, dass sich Menschen um eine politische Idee versammeln müssen. Das ist die Schule Hannah Arendt. Es braucht aber auch den Maschinenraum, die Stückwerktechnologie von Karl Popper: Jeden Tag kleine Schritte gehen, Pragmatismus und Realpolitik: „It’s the only game in town“, auch in Zukunft.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen