piwik no script img

TikTok-Debatte in DeutschlandRein oder aus

Johannes Drosdowski
Kommentar von Johannes Drosdowski

Deutsche Po­li­ti­ke­r*in­nen fordern eine strengere Regulierung von TikTok. Dabei sollten sie besser anfangen, dort mitzumischen.

TikTok fliegen die Herzen zu – besonders die vieler AfD-Anhänger Foto: panthermedia/imago

D as erste Video von Karl Lauterbach auf TikTok zeigt ganz gut, was die Politik so anfängt mit der Social-Media-Plattform. Der Gesundheitsminister leitet das Video ein mit den Worten „Revolution auf TikTok“. In den Hintergrund hat er sich Sascha Lobo gestellt, der seit 20 Jahren das Internet erklärt. Dann bricht das Video einfach ab. Er hat’s probiert! Auch wenn er dabei so orientierungslos wirkt wie gerade die deutsche Politik insgesamt angesichts des sozialen Mediums.

In nahezu allen Parteien gibt es Personen, die striktere Regeln fordern für die Plattform des chinesischen Internetkonzerns Bytedance. Roderich Kiesewetter von der CDU sieht in der App eine „Gefahr für die Demokratie“, wie er dem Handelsblatt sagte. Dabei spricht er auch von „hybrider Kriegsführung“ von China und Russland. Es fürchtet offensichtlich Datenabfluss.

In den USA ist deswegen jetzt ein Gesetz vorbereitet worden, das nur noch vom Senat verabschiedet werden muss. Wenn es durch ist, hat TikTok sechs Monate Zeit, um sein US-Geschäft zu verkaufen. Was genau da verkauft werden soll: gar nicht so klar. Aber zurück nach Deutschland: Kiesewetter geht es auch um Spionage. Deswegen soll die App, so seine Forderung, auf den Dienstgeräten von Beschäftigten staatlicher Einrichtungen und Behörden verboten werden. Das klingt vernünftig.

SPD-Außenpolitiker Ralf Stegner geht sogar noch weiter und fordert für Mit­ar­bei­te­r*in­nen von Sicherheitsbehörden auch „Beschränkungen im privaten Bereich“. Wer so etwas Übergriffiges fordert, kann gleich alle anderen Apps von großen Anbietern verbieten, die wirtschaftliche oder politische Interessen haben oder hackbar sind. Also alle. Es muss jedoch gar nicht zurück zur Rohrpost gehen. Lauterbach macht es vor und hat laut eigener Aussage ein eigenes Handy für TikTok.

Es würde sowieso ein neues gebaut

Aber warum ist der überhaupt auf TikTok? Weil er offenbar Einfluss nicht durch ein Verbot erreichen will, sondern durch Anwesenheit. Denn größer als die Gefahr der Spionage wirkt jene durch Rechte, Rechtsextreme und Desinformation. Erst vor Kurzem hat TikTok in einem Bericht bekanntgegeben, dass das Unternehmen ein Netz aus 32 Accounts gelöscht hat, das mit Fake-Accounts Desinformationen und Positionen verbreiten wollte, die „die Narrative der AfD stärken“ und „den politischen Diskurs in Deutschland manipulieren sollten“.

Die AfD hat eine höhere Reichweite auf TikTok als alle anderen deutschen Parteien. Und die erreicht sie vor allem durch Polarisierung. Wer schlimme Sachen schreit, dessen Schreie klingen lauter. Und Algorithmen drehen die Lautstärke dann noch mal hoch. Manche Plattformen drehen sie dann aktiv wieder runter wie etwa TikTok. AfD-TikTok-Star Maximilian Krah hat es jetzt für 90 Tage das Megafon abgedreht. Wie der Spiegel berichtet, sind die Krah-Videos vorerst nicht mehr im „For You“-Feed zu sehen, dem Ort von TikTok, an dem die meisten Views generiert werden. Man muss schon aktiv nach ihm suchen oder ihm folgen.

TikTok einschränken oder den Raum dort einnehmen? Es ist die gleiche Frage wie: Soll ich mit dem Rechten am Tresen reden oder soll ich ihn vor die Tür bitten? Laden wir die AfD in Talkshows ein? Erstaunlich, dass Medien und Politik bis heute, elf Jahre nach der Gründung der AfD, noch immer keine Antwort auf diese Frage haben, geschweige denn sie auf ein soziales Medium übersetzen können.

Die Zivilgesellschaft startet immer wieder Anläufe, Räume nicht aufzugeben. Klimaaktivistin Luisa Neubauer will TikTok jetzt gemeinsam mit anderen Ak­ti­vis­t*in­nen mit „ReclaimTikTok“ sogar „zurückerobern“. Dabei ist Klima dort seit Jahren Thema. Ebenso wie Armut, Zuwanderung, Diversität. Gerade deswegen fällt es rechten Menschenfängern doch so leicht, dort Aufmerksamkeit zu bekommen.

Dennoch tun die Auftritte von Neubauer und Lauterbach gut, selbst wenn Letzterer dabei ordentlich auf die Bühne stolpert. Beide haben erkannt, dass Rechtsextreme TikTok für den „Volksempfänger unserer Zeit“ halten, wie der Grünenpolitiker Konstantin von Notz im taz-Interview sagt. Dabei haben sie entschieden, das Medium nicht zu zerkloppen. Es würde so oder so wieder ein neues gebaut. Stattdessen füllen sie die Sendezeit einfach mit eigenen Inhalten. Und vielleicht, wenn sie sich eh gerade dort rumtreiben, können sie den Use­r*in­nen auch einfach mal einen Moment zuhören.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Johannes Drosdowski
Redakteur Medien/Digitales
Redakteur für Medien und Digitales. Ansonsten freier Journalist und Teamer zum Thema Verschwörungserzählungen und Fake News. Steht auf Comics, Zombies und das Internet. Mastodon: @drosdowski@social.anoxinon.de
Mehr zum Thema

10 Kommentare

 / 
  • Ich bin dafür, dass sich diese Frage wegen Nichtvorhandenseins gar nicht stellt.

  • Der Algorithmus belohnt Populismus, kürze, starke Emotionen und Provokation. Da haben seriöse Parteien keine Chance. Wenn man sich anstrengt schafft man ganz selten mal ein erfolgreiches Video. In der Zeit klickt ein im Vorbeigehen produziertes AfD-Video um ein Vielfaches.

    Das Sportfeld ist schief. Bergauf gelingen nur wenig Tore.

  • "Deutsche Po­li­ti­ke­r*in­nen fordern eine strengere Regulierung von TikTok. Dabei sollten sie besser anfangen, dort mitzumischen."



    Wer sich in den Schlamm der unsauber agierenden Diskutanten begibt, kann nur verlieren.

  • Das Problem bei TikTok ist, dass unklar ist, ob die Regeln, die dort gemacht werden, bewusst geschaffen sind, um Schaden zu verursachen.

    Das Äquivalent ist nicht, ob ich mit Rechtsextremen rede oder ob ich sie rausbitte.

    Das Äquivalent ist, ob ich mit Rechtsextremen in einen Boxring steige, wenn ich weiß, dass der Ringrichter auf ihrer Seite steht und ihnen Splitterhandschuhe gibt, während er mir die immer wieder ein Bein stellt.

    Die Hoffnung ist jetzt, dass die EU-Kommission genug Einfluss hat, um den Ringrichter zu zwingen, zumindest die offensichtlichsten Parteinahmen zu stoppen.

  • ... vorausgesetzt, das Ministerium hat die Produktion, Lobos Teilnahme usw. finanziert.

    (Wird zumindest durch die Benennung als "Gesundheitsminister" nahegelegt, im Gegensatz zum "MdB" oder "SPD-Politiker" Lauterbach.)

  • Solange rechte Rattenfänger unlautere Methoden, wie netzwerkartig sich zuarbeitende Fakeaccounts benutzen ist jede gegenposition auf TikTok oder sonstewo zum scheitern verurteilt.



    Waffengleichheit wäre, wenn ein Lauterbach ebenso die Algoritmen von TikTok durch Fakeaccounts austrickst und Follower generiert, um mehr Aufmerksamkeit zu erhalten.



    Eine rein argumentative Gegenposition ist auf sozialen Netzwerken zum Scheitern verdammt, denn soziale Netzwerke funktionieren nicht auf Grund von Argumenten, sondern durch Followerzahlen , Aufmerksamkeit um jeden Preis, die Algoritmen , bevorzugen den, der Aufmerksamkeit erzeugt, durch was ist dabei egal. Und kaum ein erfolgreicher Kanal verlässt sich dabei rein auf Inhalte... rechte Hetzer schon gar nicht.

    • @nutzer:

      Leider trifft es das sehr gut.

      Die Meinungsfreiheit wird nich bedroht wenn der Staat regulierend gegen zu große Einflussname seitens großer Konzerne vorgeht, ganz im Gegenteil. Die Meinungsfreiheit gehört uns allen und nicht denen die zu ihren schwankenden Zwecken Bühnen bereit stellen. Bühnen, die leider weitesgehend als Rechtsfreie Räume betrachtet werden müssen.



      Das kann es nicht sein. Und das hat mit Meinungsfreiheit und Demokratie auch nichts zu tun. Es ist eine Gefahr für beides.

    • @nutzer:

      So ist es, leider. Trotzdem, ganz davon zu lassen und im Gegenzug sogar zu warnen, wirkt bei jungen Menschen altbacken, und treibt viele vielleicht grade in die Fänge der Rechtsaußen. Eine jung und spritzig wirkende Gegenoffensive auf Demokratiebasis kriegen die amtierenden Regierenden mit Sicherheit nicht hin, in meinen Augen müssten die Jugendfraktionen der demokratischen Parteien hier mit Hilfe von professionellen Mediengurus entsprechend spritzig wirkende Inhalte erzeugen - denn besonders tricky sind die AFD-Versuche an der Stelle auch nicht.

  • Regulierung ist Zensur.

    Strafbare Formulierungen müssen geahnt werden. So ist das jetzt schon.



    So what?

  • Ich würd' sagen: raus. Auch gleich Google, Microsoft, Apple, Face- uh Meta, Twit- uh X und alle anderen. Auch die unbekannteren, und die, die "made in EU" so tun, als wären sie die Guten.

    Wer gute Manieren lernt, darf rein.

    Wir hätten diesen Mist nie geschehen lassen sollen.