Flucht aus Rafah im Gazastreifen: Rückkehr ins Nichts
Aus Angst vor einer Offensive kehren Palästinenser aus Rafah wieder zu ihren alten Wohnorten zurück. Dort stehen sie vor den Trümmern ihres Lebens.
Manche der Menschen, die in den letzten Monaten nach Rafah geflohen sind, haben nun beschlossen, ihr Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen, und sind von Rafah wieder Richtung Norden zu ihren ursprünglichen Häusern zurückgekehrt. Doch allerdings stehen sie meist vor dem Nichts.
Einer von ihnen ist Muhammad Abu Rabia, der vor einem Monat mit seiner Familie aus Deir al-Balah im Zentrum des Gazastreifens nach Rafah geflohen ist, um jetzt wieder zurückzukehren. „Rafah, sagten die Israelis, sei sicher und es würde dort nicht bombardiert. Daher haben wir uns mit über einer Million Palästinenser dorthin begeben. Aber Rafah ist nicht sicher. Sie haben uns angelogen. Also haben wir beschlossen, wieder in unser ursprüngliches zu Hause zurückzukehren“ – und das, obwohl auch Deir al-Balah bombardiert wird und die Versorgungslage wie in Rafah extrem schlecht ist.
„Weil wir um unsere Sicherheit fürchteten und weil die Kinder mich immer wieder gefragt haben, wann wir wieder nach Hause zurückzukehren, dachte ich, das ist die beste Option, selbst wenn auch Deir al-Balah immer noch bombardiert wird“, sagt Abu Rabia.
Seine Hoffnung, mit seiner Familie in ihrem alten Haus unterzukommen, wurde schnell enttäuscht. „Wir haben unser zerbombtes Haus vorgefunden. Also haben wir unser Zelt, das wir aus Rafah mitgebracht haben, in Deir al-Balah aufgebaut. Eigentlich ist es kein Zelt, sondern nur ein paar Plastikplanen. Aber immerhin haben wir und die Kinder etwas über unseren Köpfen“, beschreibt er seine Lage.
Wenn der gesamte Gazastreifen unsicher ist, ist es zu Hause vielleicht noch am besten, selbst wenn das eigentliche Zuhause nicht mehr steht. Doch die Angst bleibt, auch in Deir al-Balah: „Bei den Luftschlägen können die Kinder nicht schlafen. Wir müssen sie dann beruhigen und sagen, dass die Einschläge weit weg sind“, sagt Abu Rabia.
Hoffnung auf Waffenstillstand
Auch Anwar Jusef ist, wie er es beschreibt, „jedem abgeworfenen israelischen Flugblatt zur Evakuierung gefolgt“, bevor er in Rafah landete. Nun ist er wieder in sein Zuhause im Flüchtlingslager Bureidsch in unmittelbarer Nachbarschaft von Deir al-Balah zurückgegangen. „Meine Familie und ich sind aus Angst hierher zurückgekehrt, weil die Israelis immer wieder sagen, dass eine militärische Offensive in Rafah unmittelbar bevorsteht“, sagt er.
Aber auch er steht mit seiner Familie vor dem Nichts. „Wir standen vor unserem total zerstörten Haus. Nicht ein Stein steht auf dem anderen. Unsere Wünsche und Träume sind dort unter den Trümmern begraben, all die kleinen Einzelheiten, die das Leben vor diesem Krieg ausgemacht haben“, schildert er. Und schließt: „Es gibt keine Worte, diese Tragödie zu beschreiben“.
Für Netajahu ist eine Bodenoffensive gegen Rafah unabdingbar, um – wie er es formuliert – den totalen Sieg über die Hamas zu erringen. Im Weg stehen ihm dort weiterhin 1,4 Millionen Menschen. Selbst wenn die israelische Armee vermeintlich sichere Korridore schafft, damit die Zivilbevölkerung Richtung Norden fliehen kann, wird diese ohne Versorgung vor den Trümmern ihres Lebens stehen.
Aber eine Hoffnung bleibt für den schon jetzt zurückgekehrten Muhammad Abu Rabia, der mit seiner Familie wieder einen Verschlag Deir al-Balah aufgebaut hat. „Wir hören in den Nachrichten, dass es bald einen Waffenstillstand geben soll“, sagt er und fügt hinzu: „Wir hoffen, dass das tatsächlich passiert, und dass dieser Krieg endlich aufhört“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen