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Yasmina-Reza-Stück in HamburgOberflächliches Diskurstheater

Wo sonst so gekonnt das Bürgertum entlarvt wird, gibt es nun nur unverbunden wirkende Einzelteile: „James Brown trug Lockenwickler“ von Yasmina Reza.

Rauchige Stimme der Vernunft: Mechthild Großmann als Psychiaterin Foto: Stephan Wallocha

Vor dem Eintritt ins St. Pauli Theater gilt es Erwartungshaltungen abzulegen. Denn dort sitzt vergeblich, wer bei der Ankündigung des neuen Stücks von Yasmina Reza denkt: Prima, da können wir nochmal über reiche Bildungsbürger lachen, wie sie in Konfrontation mit Kindergewalt, moderner Kunst, dem Literaturbetrieb, Karrierestreben, Sex, Ehebruch, Altern etcetera ganz schnell das Fundament der westlichen Zivilisation verlassen.

Denn diese, ihre Paradedisziplin, das schlagfertig-pointenreich zur Gesellschaftssatire eskalierende Streitdialogdrama, bedient die französische Autorin mit „James Brown trug Lockenwickler“ nicht mehr – dem lustigen Titel zum Trotz. Es soll im Schatten aktueller Identitätsdiskurse um die Freiheit gehen, der/die/das zu sein, wie es ei­nem:r beliebt.

Daher schaukelt zu Beginn in schöner Leichtigkeit ein als Frau zu lesender Mann durchs Bühnenbild, die Projektion eines weltentrückten Parkidylls. Schon treten die von der Persönlichkeitswahl ihres Sohnes Jacob überforderten und genervten Eltern auf: die eher anbiedernde Pascaline (Johanna Gehlen) und ihr mal aufbrausender, dann wieder weinerlich schuldbewusster Gatte (Michael Rotschopf), der sich als soziophober Versager darstellt und zum Thema des Abends trotzig anmerkt: „Die Leute nennen mich Lionel, ich brauche nicht zu wissen, wer ich bin.“

Dieses Paar also sitzt der Psychiaterin einer „Einrichtung“ gegenüber, der sie Jacob anvertraut haben. Als Kind hörte er erstmals die kanadische Schlagersängerin Céline Dion, sammelte bald alles von ihr, begann den Eltern Dion-Konzerte vorzuspielen, empfand seine Kleidung dem Outfit der Diva nach und hält sich inzwischen für sie.

Sex hinterm Sonnenschirm

Mit Blondieperücke, Glitzerkleid und Flitterstola repräsentiert Jacob (Dennis Svensson) das strahlende Glück, eins zu sein mit einer Idee von sich selbst. Seine Gesangsbeiträge kommen aber gerade für eine Dion-Doppelgängerin erstaunlich dünnstimmig daher. Vielleicht liegt es auch an der ablehnenden gesellschaftlichen Haltung? „Man kann seine Freude nicht ins Leere hinein singen“, sagt Jacob/Céline zu den Eltern, die so gerne ihren Jungen von einst wieder haben wollen.

Die Psychiaterin (Mechthild Großmann) hingegen akzeptiert und unterstützt es ausdrücklich, dass Jacob sich „von der Biologie nicht einschüchtern lässt“ beim Ausleben eines anschmiegsamen Selbstbewusstseins. Ebenso wie Freund Philippe (Nabil Pöhls), „ein weißer Mann“, wie es im Text steht, der sich als Schwarzer empfindet und ein bisschen postkoloniale Anti-Apartheids-Aura verströmt.

Das ist es dann aber auch schon. Ansonsten streiten im Boulevardstil die Eltern oder werden mit Sex hinterm Sonnenschirm öffentlich auffällig. Daneben turteln die entzückend unkonventionellen Jugendlichen. Als Vermittlerin bringt die schrullige Seelenärztin ihre rauchige Stimme der empathischen Vernunft zum Klingen.

Einerseits ironisiert das Stück die aktuelle Debattenkultur um Geschlechtsidentität, kulturelle Aneignung und derlei. Andererseits setzt es sich damit gerade nicht auseinander. Es fehlen Tempo und Dynamik und vor allem jeder schwarzhumorige Wortwitz, alle Erkenntnis zündende Konfrontation fein analysierter Figuren – Dinge also, die Reza ansonsten liefert.

Deutet die Autorin einige Probleme der Identitätsfindung zumindest an, arbeitet die Inszenierung nichts davon heraus

So sorgt ein Vortrag der namenlosen Psychiaterin für den Höhepunkt des Abends: Sie deutet Aschenputtel als Männerprojektion – schön, gut und machtlos arm. In einem Narrativ, demnach nur ein so „erschreckendes Vorbild“ des Königssohnes würdig sei, hätten die Schwestern, die so sehr nach Konformität streben, keinerlei Chance. „Nicht mal eine auf Mitleid, wenn sie sich mit verzweifelter Brutalität selbst verstümmeln, um ihre Füße dem Schönheitsideal der aschenputteligen Schuhnorm anzupassen.“

Die Schwestern seien uns nach Liebe und Akzeptanz strebenden, aber unvollkommenen Wesen sehr viel näher als „dieser unerreichbare Standard“ Aschenputtel und ließen an all die Unzähligen denken, „die im falschen Körper auf die Welt gekommen sind“.

Anschließend plätschert die Szenenfolge weiter wie zuvor, findet nicht in den neuen Reza-Duktus, diesen fröhlich-melancholischen Flow einer milden Freundlichkeit, mit der die Autorin einige Probleme der Identitätsfindung zumindest andeutet. Regisseur Ulrich Waller arbeitet nichts davon heraus: Die Inszenierung bleibt oberflächlich und zerfällt in ihre Einzelteile. Vielleicht war die Produktion zur Premiere einfach noch nicht zu Ende geprobt.

Nächste Vorstellungen: 27. + 28. 2.; 1.‒3. 3., Hamburg, St. Pauli Theater

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