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Altervorsorge in DeutschlandGinge es auch gerecht?

Fragen und Antworten zum deutschen Rentensystem und zu seiner Finanzierung – und was die Alternativen wären.

Rent­ne­r:in­nen genießen ihren Ruhestand an einem Strand auf Fuerteventura Foto: Rust/imago

Wie stark ist der Handlungsdruck bei der Rente?

Der Handlungsdruck bei der Rente ist hoch, weil in den nächsten Jahren die Generation der sogenannten Babyboomer (geboren 50er und 60er Jahre) in Rente geht und sich dadurch das Verhältnis von Ein­zah­le­r:in­nen in die Rentenversicherung und Ren­ten­emp­fän­ge­r:in­nen verschiebt. Dieses Verhältnis spielt auch in der Rentenformel eine Rolle. Laut dem aktuellen Rentenversicherungsbericht der Bundesregierung würde, wenn nichts passiert, das Rentenniveau von derzeit rund 48,2 Prozent bis zum Jahre 2037 auf 45 Prozent sinken. Dieses Rentenniveau bezeichnet das Verhältnis des durchschnittlichen Nettoverdienstes zur Nettorente vor Steuern, wenn jemand 45 Jahre gearbeitet hat. Gleichzeitig könnte der Beitragssatz von heute 18,7 Prozent des Bruttolohnes auf dann 21,1 Prozent steigen.

Könnte man das Rentensystem nicht künftig nur durch Steuerzuschüsse stabilisieren?

Bisher werden schon erhebliche steuerliche Mittel aus dem Bundeshaushalt in die Rentenkasse gezahlt, nämlich mehr als 100 Milliarden Euro pro Jahr. Passiert nichts, müssten diese steuerlichen Zuschüsse in den nächsten Jahren weiter erheblich steigen. Die Steuermittel müssten vor allem durch die Generation der Erwerbstätigen aufgebracht werden. Es sei denn, man erhebt oder erhöht mehr Steuern auf Vermögen und Erbschaften. Vermögensteuern würden Ältere mehr heranziehen, weil diese über mehr Besitz verfügen.

Warum kann man nicht alle Erwerbstätigen in das Rentensystem einzahlen lassen, also auch Selbstständige und Beamte, und damit die Finanzprobleme lösen?

Hubertus Heil hat am Dienstag bekräftigt, dass künftig auch, wie im Koalitionsvertrag festgehalten, Selbstständige in die Rentenversicherung einbezogen werden sollen, wenn sie nicht eine ausreichende private Altersvorsorge betreiben oder etwa über berufliche Versorgungswerke abgesichert sind, wie etwa Rechtsanwälte oder Architekten. Das bedeutet allerdings, dass Selbstständige mit geringen Einkünften einen nicht unerheblichen Teil ihres Einkommens in eine Altersvorsorge einzahlen müssen, was heikel sein kann für Selbstständige mit prekärer Einkommenslage.

Bezöge man Be­am­t:in­nen in die Rentenkasse ein, entstünden schlagartig sehr hohe Kosten für die öffentlichen Kassen, denn sie müssten dann ab sofort die Beiträge aufbringen. Die Pensio­nen für die Be­am­t:in­nen werden derzeit ja erst mit Eintritt des Ruhestandes für die öffentlichen Kassen fällig. Nicht zuletzt ist bei Be­am­t:in­nen die Lebenserwartung relativ hoch, langfristig würden sie die Rentenversicherung also nicht ent-, sondern belasten. In anderen Ländern allerdings gibt es den Beamtenstatus nicht, etwa in Österreich, was sich positiv im Rentensystem auswirkt.

Könnte man nicht die niedrigen Renten für Menschen in belastenden Verschleißberufen stabil halten und nur höhere Renten, etwa in Büroberufen, deckeln, um das Rentensystem in Zukunft stabil zu halten?

Das Rentensystem ist ungerecht: Gut­ver­die­ne­r:in­nen haben am Ende nicht nur höhere monatliche Ruhestandsbezüge, sondern auch eine höhere Lebenserwartung, um diese Zeit zu genießen. Be­am­t:in­nen etwa leben im Schnitt mehr als vier Jahre länger als Arbeiter:innen, auch Angestellte leben länger als Arbeiter:innen, zeigen Zahlen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). Das oft geforderte höhere Ruhestandseintrittsalter würde gering verdienende Menschen in Verschleißberufen daher erst recht benachteiligen: Sie hätten mit der später einsetzenden Rente noch weniger von ihrem Ruhestand.

Die Frage stellt sich, wie und ob man „Verschleißberufe“ näher definieren könnte, um sie rentenrechtlich besser abzusichern. In Österreich hat man einmal eine sogenannte Schwerarbeiterpension eingeführt, die den Kalorienverbrauch bei der Arbeit als Maßstab für die Belastung nimmt. Nervliche Belastungen und persönliche Gesundheitszustände aber kann man damit nicht erfassen.

Man könnte allerdings einen früheren Ruhestandseintritt für manche belastenden Berufe definieren. Damit könnte man Mangelberufe, etwa in der Pflege, attraktiver machen, wenn darin schon ein Ruhestand oder eine auskömmliche Erwerbsminderungsrente etwa ab 60 möglich wäre. Denn gerade Frauen in Care-Berufen sind von Verschleiß und niedrigen Rentenansprüchen betroffen, wie der Equal Pay Day jetzt wieder zeigte.

Könnte man nicht für Nied­ri­gver­die­ne­r:in­nen generell bessere Renten festlegen und für Hoch­ver­die­ne­r:in­nen die Renten beschränken?

Das wird ansatzweise in der staatlichen Rente in der Schweiz gemacht. Dort zahlen Ar­beit­neh­me­r:in­nen und Ar­beit­ge­be­r:in­nen einen bestimmten Prozentsatz vom Einkommen in die staatliche Rentenkasse ein, es gibt keine Beitragsbemessungsgrenze wie in Deutschland. Die ausgezahlte Rente ist gedeckelt, Hoch­ver­die­ne­r:in­nen zahlen also relativ mehr ein, als sie herausbekommen. Dies betrifft allerdings nur einen kleinen Teil der Altersvorsorge in der Schweiz. Ein solches Umverteilungselement einzubauen würde in Deutschland den Abschied vom Äquivalenzprinzip bedeuten. Bisher hat sich noch keine Partei in der Regierung da herangewagt. Im Ansatz steckt etwas Umverteilung in der „Grundrente“, die bei Nied­rig­ver­die­ne­r:in­nen die Rente aufstockt.

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14 Kommentare

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  • @HITCHHIKER

    Naja. Ich behaupte, die Diskussion findet schon statt, nur verschoben.

    Das momentane Aufkochen der Populismen ist ein Ausdruck davon. Die Leute fühlen sich bestohlen, können sich aber nicht eingestehen, dass sie den "Erfolg" nicht erreichen können, der ihnen vorgegaukelt wird für den Preis ihrer Mühen.

    Diese Wut lässt sich leicht in die falsche Richtung kanalisieren -- quasi Autoaggression auf gesellschaftlicher Ebene.

    Es gibt leider sehr handfeste (kurzfristige!) wirtschaftliche Interessen dafür, dass die Wut abgelenkt bleibt.

    [1] Carolin Amlinger, Oliver Nachtwey: "Gekränkte Freiheit -- Aspekte des libertären Autoritarismus", Suhrkamp.

    Oder die Klassikerin: "Die Elite und der Mob" in Arendts "Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft".

  • Gute Zusammenfassung der Hintergründe und Dilemmata.



    Wir müssen u.a. an die Billiglöhne ran und die Steuer-Abgaben-Vermeidungen dort ... und vor allem weiter "oben". Alle ins System und privates Absahnen unterbinden. Kein Maschmeyer II, bitte!



    Derzeit weiß man recht gut, was man machen sollte: Das Gegenteil von FDP-Vorschlägen.

  • Solange Minister Selbstbedienung spielen dürfen aus der Rentenkasse, wird das Ganze immer eine Desaster Zone sein.

  • Einfach das Rentensystem der Holländer übernehmen - das Rad muss nicht immer wieder neu erfunden werden 🤷‍♂️



    Mindestrente über 1200€ aktuell und ansonsten beträgt das Rentenniveau knapp 100% vom letzten Netto - alle zufrieden dort 👍

  • Bevor man über eine "Deckelung höherer Renten" in der gesetzlichen Rentenversicherung philosophiert, sollte man sich vor Augen halten, welche Renten dort überhaupt maximal zu erreichen sind. Ein Hochverdiener, der 45 Jahre so viel verdient wie die Beitragsbemessungsgrenze, also jedes Jahr den höchstmöglichen Beitrag zahlt (was schon eher theoretisch ist, weil am Beginn des Berufslebens kaum solche Einkünfte erzielbar sind), erwirbt pro Jahr (der genaue Wert variiert von Jahr zu Jahr) ca. 2 Entgeltpunkte, also insgesamt ca. 90 Entgeltpunkte. 90 Entgeltpunkte ergeben beim derzeitigen Rentenwert von 37,60 Euro eine Rente von monatlich 3.384 Euro. Davon müssen noch Einkommensteuer sowie der Krankenversicherungsbeitrag (zur Hälfte) und der Pflegeversicherungsbeitrag (zu 100 %) gezahlt werden. Die höchstmögliche Rente in der gesetzlichen Rentenversicherung, die die allerwenigsten überhaupt erreichen können, fällt also recht bescheiden aus. Und wer 45 Jahre das Durchschnittseinkommen erzielt und dementsprechend den Durchschnittsbeitrag einzahlt, was auch längst nicht jeder schafft, erwirbt damit eine Rente von 1.692 Euro, was nach Abzug der Einkommensteuer und der Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge ein eher armseliges Alterseinkommen ist. Die tatsächlich durchschnittlich erzielten Renten liegen noch weit darunter. Die Renten in der gesetzlichen Rentenversicherung taugen nicht für Umverteilungsideen.

    Die Beamtenpensionen liegen deutlich höher, u. a. deshalb, weil eine Beamtenpension auf der Grundlage des Bruttogehalts in der letzten, mindestens 2 Jahre vor dem Ruhestand erreichten Besoldungsgruppe berechnet wird, sodass der in der gesetzlichen Rentenversicherung nachteilige Umstand, dass man am Anfang der Berufstätigkeit in der Regel deutlich weniger verdient als später, bei den Beamten keine Rolle spielt. Und: Der Höchstversorgungssatz (abhängig von der Anzahl der Dienstjahre) beträgt immerhin 71,75 % der ruhegehaltfähigen Dienstbezüge.

  • In Österreich erhalten Rentner durchschnittlich 800€ mehr Rente als in Deutschland. Und dennoch stehen dringende soziale Fragen wie Rente, Pflege, Gesundheit nicht unbedingt auf der Agenda dieser Regierung. Es sei denn, wenn die Privatisierung voran getrieben werden soll.

    Laut einer Antwort auf die Anfrage von Sahra Wagenknecht an die Bundesregierung werden die Rentner in 2024 ca. 124 Milliarden € für Steuern und Sozialabgaben bezahlen müssen. Die staatlichen Zuschüsse in die Rentenkassen betragen ca. 100 Milliarden €. Damit finanzieren die Rentnerinnen und Rentner zumindest einen Teil der Zuschüsse in die Rentenkasse selber. Sowohl in der Ampelkoalition und auch nicht in der Union werden konstruktive Vorschläge zur Reform der Rente nicht diskutiert. Frau Lang, die Mitvorsitzende der Grünen, vermutete unlängst, dass die durchschnittliche Rente ca. 2000 € betragen würde. Kein Wunder, dass da kein Reformbedarf besteht, der zumindest den sogen. Armutsrentnern ein wenig mehr Lebensqualität gönnen würde.

  • Konnte dank Selbständigkeit aus der gesetzlichen Rentenversicherung ausscheiden. Eine der besten Entscheidungen meines Lebens. Ich habe das Geld alternativ in einen simplen ETF-Sparplan angelegt und das Kapital seitdem vervielfacht mit über 10% per annum. In der gesetzlichen hätte ich mit Glück den eingezahlten Beitrag wiederbekommen. Ohne Aktiensparen wird es nicht gehen. Ist es realistisch in Deutschland? Nein, die Deutschen sind, was Finanzfragen angeht, Analphabeten. Grüße aus dem Frühruhestand in der spanischen Sonne.

  • Wenn der Bund die versicherungsfremden Leistungen mal aus der DRV herauslöst und wie Pensionen komplett betreitet, dann haben wir schon mal nahezu kein Problem. Der Griff von ca. 30Mrd aus Beitragsgeldern ist DAS Problem, der sog. "Bundeszuschuss" ist ein "Bundesdiebstahl".

    Dann sollten höhere Löhne (die sind ca. 20% zu niedrig) auch höhere Beiträge ermöglichen.

    Aber beides ist bewusst nicht gewollt.

  • "Das Rentensystem ist ungerecht"

    Das sagt sich leicht und verspricht viel Zustimmung. Und ja, natürlich ist es auch nicht schwer, Ungerechtigkeiten zu finden - wie fast überall.

    Das Argument, das folgt, ist jedoch weniger stark:







    Dass Renten unterschiedlich hoch sind, macht sie nicht per se ungerecht. Das sozialpolitische Ziel ist, seit vielen Jahrzehnten weitgehend unverändert, eine Erhaltung des Lebensstandards im Alter, also ausgehend von den unterschiedlichen Verdienstniveaus, die es in der werktätigen Bevölkerung gibt.



    Und dieses Versorgungsziel sieht man bei einer Nettorente von 80 %-90 % des letzten Nettogehalts, bzw. bei einer Bruttorente von 70 % -75 % des letzten Bruttogehalts.

    Das das auch über die drei Säulen hinweg selten erreicht wird, ist ein schwerwiegendes Problem.

    Dass Renten hingegen verschieden ausfallen, folgt direkt aus dem Grundgedanken der Altersversorgung.



    Den kann man natürlich auch in Frage stellen - nur wird man auf diese Weise auf Jahrzehnte keine Verbesserung erreichen, schon gar nicht in einem Interview.

  • Was sollen immer wieder diese in der unentwegten wie einfallslosen Fülle angewendet altersdiskriminierenden Bilder, Rentner auf Parkbänken, Rentner am Strand in der Sonne. Die Lebensrealität vieler Rentner*nnen sieht anders aus, sie können sich keinen Strandurlaub leisten oder wollen es nicht, weil sie den langweilig finden bei Gefahr von Sonnenbrand, lieber ehrenamtlich unterwegs sind. mit ihren Enkeln was unternehmen, kommunalpolitisch aktiv sind, in der Willkommenskultur Geflüchtete betreuen, beraten, Freunde*nnen treffen, Sport treiben allein in Gruppen, meistens aber wie Statistiken belegen, angesichts kleiner Renten oder Privathaushaltsverschuldung, auf Nebenerwerb angewiesen bleiben, oder Dispo rückführen wollen, weil ihnen Sparkassen Aufnahme zinsgünstigere Verbraucherkredit statt unverschämt hochverzinsten Dispos aus Altersgründen zu niedriger Rente und Restlebenszeiterwartung verweigern

  • Bezogen auf den Titel "Ginge es auch gerecht?" kommt wie immer in Deutschland die Antwort: nie nie nie nie



    Wenn es um irgendeine Lösung für ein drängendes Problem geht, die anderenorts prima funktioniert, bei denen aber Privilegierte oder gar Superreiche mal ein Quentchen abgeben müssten, geht das in Deutschland natürlich nie. Wenn selbst in der taz niemand den Mut aufbringt auch nur ernsthaft darüber nachzudenken und sich nur in Konjunktiven ergeht ist das schon traurig.

  • Es ist eine politische beziehungsweise gesellschaftliche Entscheidung. Wer 45 Jahre durchgehend arbeitet in Vollzeit braucht einen Mindestlohn von über 16 Euro die Stunde um kein Anspruch auf zusätzliche Hilfen zu haben. (Die Zahlen sind schon ein bis 3 Jahre alt). Der Lohn ist niedriger, solche Erwerbsbiografien selten. Das senkt die lohnstückkosten und erhöht den Gewinn und die Wettbewerbsfähig. Alle zusammen kommen dann dafür auf, dass Löhne über Jahre bei vielen Menschen einfach zu niedrig sind. Ob die Menschen die davon profitieren sich angemessen beteiligen scheint so zu sein da es hierzu eigentlich keine Diskussionen gibt.

    • @Hitchhiker:

      Das Problem sind nicht nur die Löhne. Das Schneeballsystem Deutsche Rentenversicherung kann nicht funktionieren, dass wusste man schon unter Adenauer. Aber Adenauer wollte eine Wahl gewinnen. Ausbaden muss es die aktuelle junge Generation. Denen kann ich nur zur Auswanderung raten. Wer die Chance hat nach Australien, zu kommen, sollte beide Beine in die Hand nehmen.

    • @Hitchhiker:

      Wenn man einen hohen Bruttolohn knapp unter der Beitragsbemessungsgrenze hat und seine Zeiten voll bekommt kann man dann die gesetzliche Höchstrente erhalten und man kann dann wenn man ein Pflegefall werden sollte vielleicht irgendwo am östlichen Rand der Republik einen Heimplatz finden, den man sich vielleicht noch leisten kann.



      Hauptsache aber die großen Vermögen wachsen ungebremst und die FDP darf weiter frei drehen.