Captcha-Tests zur KI-Erkennung: Sei ein Mensch!
Captcha-Tests am Computer sollen aufzeigen, ob man ein Mensch ist. Wie schön wäre so was im echten Leben?
B eim Nachweis meiner Menschlichkeit durch den Captcha-Test, jenen „Completely Automated Public Turing test to tell Computers and Humans Apart“, sollte ich neulich erkennen, auf welchen Bildern ein kleines Gespenst auf einem Fahrrad sitzt. Das finde ich zwar eine starke Verbesserung gegenüber dem langweiligen Ampel- oder Zebrastreifenerkennen, denn so ein kleines Gespenst auf einem Fahrrad anzuklicken macht Spaß.
Und im Gegensatz zu den verschwommenen Ampel- und Zebrastreifenbildern oder etwa der fragwürdigen „Klicken Sie auf jedes Bild mit dem kleinsten Tier“-Aufforderung, die verschieden große Tiere in verschieden großen Aufnahmen zeigte, kenne ich mich mit Rad fahrenden Gespenstern ganz gut aus. Das Kästchen „Ich bin ein Mensch“ (wahlweise „Ich bin kein Roboter“) konnte ich hernach somit guten Gewissens ankreuzen.
Dennoch musste ich an Dr. Dreyfuss, den Nachbarn von C. C. Baxter (Jack Lemmon) in Billy Wilders „Das Apartment“ denken, der sich angesichts von Baxters vermeintlichem Schwerenötertum zum Ausruf „Be a Mensch!“ genötigt fühlt. Beim Holocaustgedenktag vor gut zwei Wochen zitierte der Journalist Marcel Reif in einer Rede vor dem Bundestag seinen Vater, den Holocaustüberlebenden Leon Reif, mit den gleichen Worten: „Sei ein Mensch.“
In den USA, wo das Jiddische genauso Einfluss in die Sprache gefunden hat wie hier, wurden und werden aus dem Begriff immer wieder neue Worte generiert: Das Adjektiv „menschy“, das es sogar in den hübschen Steigerungsformen „menschier“ und „menschiest“ gibt, bedeutet laut Wörterbuch „rechtschaffen, integer, verantwortungsbewusst“.
Ein solcher Mensch ist jemand, zu dem man aufschauen kann, der ein Gewissen hat, ein großes Herz, der sich humanistisch, tolerant und großmütig zeigt. Dem Hass gegenüber anderen, vor allem aber das Hinabschauen, Wegstoßen und Ablehnen anderer fern ist. Der einen rechten Kampfbegriff wie „Remigration“, das Unwort des Jahres 2023, als das sieht, was er ist: ein Versuch, Menschen in verschiedene Gruppen aufzuteilen, die durch willkürliche, nicht beeinflussbare Kriterien (Herkunft, Umfeld) definiert werden, und diese Gruppen unterschiedlich zu behandeln.
Dass das so ungemein wichtige Menschsein momentan öfter durch das Ampel-, Zebrastreifen- und Fahrradgeistererkennen abgefragt wird als durch andere Dinge, ist insofern eine traurige Entwicklung. Und liegt vermutlich daran, dass es bei der Captcha-Definition um den Unterschied zwischen einem Menschen und einem Nichtmenschen, einem Troll, Roboter, einer KI geht. Bei der Frage danach, ob man „Be a Mensch“ befolgt, geht es dagegen um die Distinktion zwischen einem Menschen und einem Unmenschen.
Genauso wie ein Unwort, siehe oben, die Schattenseite jedes Worts sein kann, ist ein Unmensch unendlich viele Milliarden mal schlimmer als ein Nichtmensch. Denn er hat ein Bewusstsein und kann entscheiden. Er kann „menschy“ handeln. Oder eben nicht.
„Ich bin ein Mensch“
Wie schön wäre es, wenn das „Ich bin ein Mensch“-Kästchen beim Computer-Mensch-Test mit einer Bewusstwerdung der Verantwortung einhergehen würde: Klickt man auf dem Bildschirm „Ich bin ein Mensch“ an, verpflichtet man sich direkt im jiddischen, Reif’schen und Wilder’schen Sinne (das Drehbuch zu „Das Apartment“ stammt von I. A. L. Diamond, also auch im Diamond’schen Sinne) zum tatsächlichen Menschsein. (Der kürzeste Kreuzworträtsellösungsvorschlag für „Unmensch mit drei Buchstaben“ lautet übrigens „Aas“.)
Der Test mit den kleinen Gespenstern auf den Fahrrädern muss natürlich dennoch unbedingt beibehalten werden.
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