Artenschutz im Zoo: Vermehrung und Verluste

Dürfen Menschen Tiere töten, die im Zoo gehalten werden? In Nürnberg ist die Frage akut – dort gedeihen die Guinea-Paviane etwas zu prächtig.

Zwei Paviane sitzen mit einem Mini-Pavian in ihrem Gehege im Tiergarten in Nürnberg undschauen nachdenklich in die Gegend

Was diesen Pavianen im Tiergarten Nürnberg wichtig oder gleichgültig ist, wissen wir Menschen, wenn wir ehrlich sind, nicht Foto: Daniel Karmann/dpa

Paviane in Gefahr: Tiergarten Nürnberg will Tiere töten“, titelte ProSieben am Wochen­ende. Die Schlagzeile bringt das Dilemma unfreiwillig auf den Punkt. Denn die aus einem relativ kleinen Verbreitungsgebiet in Westafrika stammenden Guinea-Paviane sind tatsächlich in Gefahr. Ihr Lebensraum schrumpft, die Bestände sind seit Jahrzehnten rückläufig. Eine Besserung ist nicht absehbar, im Gegenteil: einer ihrer wichtigsten Rückzugsorte, der Niokolo-Koba-Nationalpark im Senegal, steht wegen fortwährender Verschlechterung des Schutzstatus auf der Liste des gefährdeten Unesco-Welterbes.

Gerade wegen dieser Gefahrenlage will der Tiergarten nun einige Individuen aus seinem Bestand töten und hat dafür beim Umweltausschuss der Stadt Nürnberg Ende letzter Woche eine entsprechende Vorlage zur Beratung am 21. Februar eingereicht. Denn einerseits ist es angesichts der prekären Lage der Tiere in ihrer Heimat dringend geboten, eine gesunde Reservepopulation in Zoos aufrechtzuerhalten.

Nur so können sie später einmal, wenn die Pro­bleme hoffentlich unter Kontrolle sind, wieder im ursprünglichen Lebensraum angesiedelt werden. Sie wären nicht die Ersten: Wisent, Przwal­ski-Pferd, Schwarzfußiltis und andere haben es vorgemacht. All diese Tierarten wären längst ausgestorben, hätte man sie nicht in Zoos gezüchtet und nach entsprechenden Maßnahmen wieder im natürlichen Verbreitungsgebiet ausgewildert.

Damit diese Option eines Tages auch bei den Guinea-Pavianen besteht, ist es nötig, dass die Affenbande beständig für Nachwuchs sorgt. Das tun die Tiere auch mit großer Freude – sich paaren und Junge aufziehen gehört zu ihren elementaren Grundbedürfnissen. Da im Zoo allerdings Löwen, Leoparden und Greifvögel zwar nicht fehlen, jedoch in anderen Gehegen untergebracht sind, und weil im Krankheitsfall gleich ein besorgter Tierarzt herbeieilt, steigt die Zahl der Paviane immer weiter an.

Töten nur aus „vernünftigem Grund“

Einfache Populations­biologie: In der Natur ist die Vermehrungsrate darauf ausgelegt, allerlei Verluste auszugleichen. Im Zoo dagegen leben die Tiere warm und sicher, wachsen wohlbehütet auf und werden steinalt. In Nürnberg sind es inzwischen 45 ­Paviane, obwohl die Anlage nur für 25 ausgelegt ist. Ein auch aus Tierschutzsicht langfristig nicht haltbarer Zustand.

Empfängnisverhütung funktioniert nicht wie gewünscht, andere Zoos haben keine Kapazitäten frei, eine Wiederansiedlung ist mangels geeigneter Lebensräume mit Pavian­bedarf derzeit unmöglich. Deshalb will der Tiergarten nun einige seiner Tiere töten, um so eine demografisch dauer­haft gesunde, reproduzierende Population zu bewahren. Manche Tierschützer ­reagieren „geschockt“ (T-Online) und drohen erwartungsgemäß mit Strafanzeige.

Denn das Töten von Tieren ist laut Tierschutzgesetz nur aus „vernünftigem Grund“ erlaubt. Als vernünftig gilt im gesellschaftlichen Konsens, Schweine und Rinder staatlich subventioniert unter eher fragwürdigen Bedingungen zu züchten, um sie dann zu Koteletts, Gesichtswurst und Gulasch zu verarbeiten.

Wenn hingegen Zootiere nach einem vergleichsweise paradiesischen Leben im Löwenkäfig enden, ist die Empörung groß. Man erinnere sich nur an den Fall der Giraffe Marius im Zoo von Kopenhagen, deren Tötung und Anschlussverwendung als Raubtierfutter zu einem veritablen inter­nationalen Shitstorm führte. Dabei ist eine Giraffe letztlich nichts anderes als eine Kuh mit extravagantem Hals.

Bei Affen ist die Hemmschwelle höher, weil sie näher mit uns verwandt und deutlich intelligenter sind. Letzteres kann man allerdings auch von Schweinen sagen, was die lustig rüsselnden Borstentiere dennoch nicht vor dem „vernünftigen“ Ende als Hackepeter bewahrt.

Brutalerer Tod in der Savanne

Ist ein erhöhter Cholesterinspiegel also grundsätzlich moralisch hochwertiger als der Erhalt einer Art? Der Tiergarten Nürnberg will mit seinem Vorstoß nicht nur sein Affenproblem lösen, sondern eine gesellschaft­liche Debatte anstoßen. Das Ziel ist, die „biologische Indikation“ für den Artenschutz grundsätzlich als vernünftigen Grund zur Tötung anzuerkennen, um so Rechtssicherheit im Populations­management von in menschlicher Obhut gehaltenen Arten zu erlangen. Die Notwendigkeit hierfür steigt zweifellos angesichts der sich immer dramatischer zuspitzenden Biodiversitätskrise.

Um wenigstens einen Teil der Arten zu retten, die wir in den nächsten Jahrzehnten zu verlieren drohen, bleibt in vielen Fällen als einzig realistische Lösung die Erhaltungszucht „ex situ“, also in menschlicher Obhut – zu der dann nun einmal zwangsläufig auch das Töten von Tieren gehört, die anschließend im Gehege nebenan landen können, zur Freude der Löwen. In der Natur wäre das Resultat ohnehin das gleiche, nur dass wir, also die Menschen, uns schön fein rausgehalten hätten.

Dem betroffenen Pavian dürfte das ziemlich gleichgültig sein, abgesehen davon, dass die Umstände seines Todes im Tiergarten um einiges angenehmer sein dürften als in der Savanne. Zumal er dazu beitragen kann, dass es in Zukunft überhaupt noch ­Guinea-Paviane geben wird. Und das wollen wir am Ende doch alle: die Paviane ebenso wie die Löwen und eben auch wir ­Menschen.

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