piwik no script img

Bauernprotest vor Aldi-LagerScharf auf Billig-Solidarität

Bauern in Niedersachsen blockierten Lager von Amazon und Aldi. Konkrete Forderungen gebe es dabei keine, sagt der Protestforscher Felix Anderl.

Bauern fordern Solidarität: Blockade vor dem Zentrallager von Aldi im Landkreis Harburg Foto: Christian Charisius/dpa

Hamburg taz | Die Proteste von Land­wir­t*in­nen in Norddeutschland haben sich am Montag von den Straßen auf die Lager von Supermärkten und Unternehmen ausgeweitet – ausgerechnet an dem Tag, an dem das Ende der Proteste mit einer großen Abschlussdemo in Berlin angesagt war. In der Nacht auf Montag blockierten Bäue­r*in­nen ein Lager von Aldi Nord in Stelle sowie ein Amazon-Lager in Winsen, die beide im Kreis Harburg liegen.

Damit wollen die Protestierenden mit Druck ihre Front gegen die Bundesregierung verstärken. Dem Hamburger Abendblatt erklärten Teilnehmende, dass ihr Hauptziel sei, dass Amazon und Aldi sich mit dem Protest solidarisieren und ihn öffentlich unterstützen. Die Preispolitik der Handelsunternehmen spielen dabei kaum eine Rolle.

Nach Polizeiangaben begann der unangekündigte Protest vor der Zufahrt zum Aldi-Lager in Stelle noch am Sonntagabend mit etwa 60 Fahrzeugen, über die Nacht wurden es etwa 100. Am Montagmorgen löste sich die Blockade wieder auf. Die Protestierenden erreichten das Ziel, mit dem Konzern ins Gespräch zu kommen.

„Mit den Vertretern der Landwirtschaft suchen wir vor Ort den konstruktiven Dialog“, erklärt Axel von Schemm, ein Sprecher von Aldi Nord auf Anfrage. Bereits am Freitag zuvor hatte der Konzern ein Statement veröffentlicht, in dem es sich zur „deutschen Landwirtschaft bekennt“. Amazon äußerte sich auf Anfrage der taz nicht zu den Blockaden ebenso wie der Deutsche Bauernverband.

Konzerne sind nicht der Gegner

Es ist nicht das erste Mal, dass Bäue­r*in­nen vor Lebensmittelkonzernen demonstrieren. Allerdings waren die Proteste zuvor meist mit konkreten Forderungen an die Konzerne verbunden. Für den Protestforscher Felix Anderl von der Universität Marburg geht es dieses Mal vor allem um eine Machtdemonstration. „Die meisten Protestbewegungen scheuen sich davor, Lebensmittellieferungen zu blockieren“, sagt Anderl. „Das ist eine heikle Angelegenheit.“ Bei den Bauern trage die Symbolik jedoch, weil sie selbst Teil der Lieferkette sind.

Und der Druck funktioniert: Nachdem Bauern vergangene Woche ein Rewe-Lager in Sottrum in Niedersachsen teilblockiert hatten, ging der Konzern auf die Bauern zu. Es kam auch dort zu Lieferproblemen von Märkten, Rewe verhandelte. „Durch den offenen Dialog mit den Protestierenden sind wir schlussendlich zu einer Einigung gekommen“, erklärt Isabel van der Walle, Sprecherin von Rewe Nord, auf Anfrage.

Auf der Homepage des sogenannten Kompetenzzentrums Landwirtschaft der Rewe Group findet sich seitdem ein Statement, in dem sich Rewe ähnlich wie Aldi recht vage zum „ländlichen Raum“ und zur „heimischen Landwirtschaft“ bekennt. „Es kann helfen, wenn große Player Statements äußern, sofern sie darin konkret genug werden, dass man sie später darauf festnageln kann“, sagt Protestforscher Anderl. In den Statements findet sich allerdings nichts in dieser Form.

„Melange aus Anti-Establishment-Politik“

Dennoch passt die Forderung nach Solidarität statt konkreter Systemkritik in die Protestform, die die Bauernproteste allgemein angenommen haben. „Das ist im Moment eher eine Melange aus Anti-Establishment-Politik, aber keine Frage nach einer wirtschaftlich nachhaltigen Agrarpolitik“, so Anderl. Gesetzt wird vor allem auf breite Mobilisation – auch mithilfe von Konzernen.

„Sobald man das Fass der Preispolitik aufmacht, ist man im Bereich der politischen Regulation“, sagt Anderl. „Der Bauernverband scheut sich davor allerdings.“ Der Verband sei in den vergangenen Jahrzehnten vor allem ein Lobbyverband für mehr Subventionen im bestehenden System gewesen, so Anderl. Die Systemfragen um nachhaltigen Vertrieb oder Arbeitsbedingungen tastete er wenig an.

„Aus der Protestforschung wissen wir, dass das am Anfang eine kluge Linie ist, um breit zu mobilisieren“, sagt Anderl. „Aber wenn es später keine Richtung bekommt und man nur sagt:,Alles ist scheiße’, kann jeder seine Themen hineinprojizieren.“ Langfristig, so der Protestforscher, könnte sich das rächen.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

7 Kommentare

 / 
  • Ich bin froh, dass es Aldi, Lidl, Edeka etc. gibt.Oder wollen wir wieder zu den vielen Tante Emma Läden zurückkehren, wie sie noch oft in Spanien und Italien zu finden sind und man völlig überzogene Preise zahlen muss?



    Es sind landwirtschaftliche Unternehmen, die Massentierhaltung befördern und alles andere als wünschenswert sind. Auch sollte es Anzeigen wegen Tierquälereien hageln.



    Wie so oft ist der Bauernprotest für mich nebulös!

  • Die wichtigste Aufgabe aller Wirte ist es darauf zu beharren, dass es ihnen schlecht ginge.



    Verantwortlich sind selbstverständlich nicht die Wirte, sondern die a) Kunden oder b) Lieferanten.



    Warum wird überhaupt der Massenmord an Lebewesen subventioniert? Der Wohlstand der Bauernfamilien basiert auf der systematischen Mästung und Schlachtung von fühlenden Lebewesen. Unter Umständen, die weder für Mensch noch Tier noch Natur lebenswert sind.



    Dafür gibt dieser Staat Subventionen oder steuerbegünstigten Diesel?



    Moderne Ernährung braucht keine Nahrungsmittel aus dieser landwirtschaftlichen Ausbeuterei.



    Ich empfehle jedem Fleischkonsumenten ein unbezahltes Praktikum für einen Tag in einer Schlachterei. Danach haben all diese Landwirte viel Zeit für ihre Hobbys.

  • Wir leben leider in Zeiten volatiler Freund- und Feindschaften. Da kann es schon mal schnell gehen, den gestrigen Feind zum Freund zu erklären und umgekehrt.

    Aufklärung, wo biste geblieben?

  • Diese Bauern kann man nicht ernst nehmen.

  • die bauernverbände sind halt keine gewerkschaft für die in der landwirtschaft arbeitenden + zudem tendenziell rechten tendenzen zugeneigt + außerdem auch von rechts z.t. unterwandert.



    na ja, sie vertreten außerdem eher die großbauern+großgrundbesitzer (vonovia?) mit ihren subventionsforderungen.

    das verrückte ist, daß diese mischpoke vermutlich gleichzeitig auch vehement für die schuldenbremse ist. dies thema wird auch immer fleißig bei den protesten ausgespart. könnte das etwa heißen:



    schuldenpremse - muß sein. aber nicht für die landwirtschaft (sprich: großbauern und großgrundbesitzer)?

  • Bei der Überschrift dachte ich noch: Jawohl, da gehören die Bauernprosteste hin.



    Aber: Einzige Forderung an die Konzerne eine Solidarität gegen die Regierung?



    Das hat sich doch kein vernünftig denkender Landwirt ausgedacht.



    Am Ende lassen die Konzerne sich die Solidarität mit niedrigeren Preisen für die Lebensmittel begleichen. "Mehr Geld fürs Mehl? Hey, wir sind doch Kumpel!"

    • @Herma Huhn:

      Die Bauern müssen sich bezüglich konkreter Forderungen erst mal neu organisieren, ihre Vertreter sehen ihre Auftraggeber leider anderswo.



      Nach meinem derzeitigen Kenntnisstand hat ihr Chefkämpfer für Gerechtigkeit 18 Mandate bei Unternehmen und Gremien, bei denen ich keine große Nähe zu echter nachhaltiger Landwirtschaft vermute. Er hat durchaus das Zeug zu einem Politiker, allerdings wäre ihm dann das Einkommen wohl zu niedrig - obwohl es da auch Beispiele für Mittel und Wege zur Einkommensoptimierung gibt.