Theaterstück zu iranischer Geschichte: Pauker der Revolution
Alireza Daryanavard inszeniert am Berliner Ensemble einen Abriss iranischer Revolutionsgeschichte. Wie viele Generationen müssen noch scheitern?
Man könnte auf die Idee kommen, es sei alles verloren. In dem Moment, in dem eine Revolution scheitert, könnte man auf die Idee kommen. Im Iran scheiterten die meisten – und die falsche obsiegte.
Regisseur Alireza Daryanavard erzählt zusammen mit Mahsa Ghafari davon: „Tod, Tod, Tod. Verlorene Generation“, schallt es durch den Saal. Sein am Sonntag uraufgeführtes Stück „Chronik der Revolution“ im Berliner Ensemble (BE) ist eine Nacherzählung der jüngeren Revolutionsgeschichte des Landes – und der nicht zu zerstörenden Energie derjenigen, die Generation für Generation für die Freiheit fechten.
Die Inszenierung ist Teil der Reihe „Worx“, mit der das BE Nachwuchstalente fördern will. Daryanavard wurde in Iran geboren, gründete dort ein Untergrundtheater und lebt seit 2014 in Österreich. Die drei Chronist*innen der Revolution sind Nina Bruns, Amelie Willberg und Gabriel Schneider – alle drei ebenfalls jung und noch nicht lang Teil des Ensembles. Ihre Rollen sind namenlos und nicht definiert. Ihr Spiel ist immer dann besonders stark, wenn sie in die Rollen der Revolutionäre schlüpfen und Szenen der jeweiligen Phase des Aufruhrs nachspielen. Dann marschieren sie energisch, in der Pose der Siegesgewissen, sind Gefangene des berüchtigten Evin-Gefängnisses oder sprechen verschüchtert (eingeschüchtert!) ins Mikro einer internationalen Journalistin.
Eine der Szenen trägt eine Anspielung an die Medienlandschaft der heutigen Bundesrepublik in sich: „Wir fühlen uns nicht besonders nervös, nee, aufgeregt nicht. Schauen wir mal, was wird“, sagen die beiden Interviewten. Worte, die 2020 ein Rentnerpaar in der ZDF-Sendung „Bares für Rares“ sprach und die im Herbst 2023 ein von der Generation Z gehyptes Meme geworden sind.
In einer anderen Szene redet der Journalist, der 2009 die beiden Präsidentschaftskandidaten Ahmadinedschad und Mussawi interviewt, wie Markus Lanz, schaut theatralisch in seine Moderationskarten und sagt: „Darüber wird zu reden sein.“ Beides ist für einen Lacher gut, was das aber anderes sein soll als themenfremde Zurschaustellung jugendkultureller Kenntnisse des Regisseurs, bleibt offen.
Eine Sonderfunktion nimmt Corinna Kirchhoff ein. Sie wird mehrmals per Video eingeblendet, sitzt weißhaarig, intellektuell vor der Altbaubücherwand und kommentiert die unterschiedlichen Phasen der persischen Zeitgeschichte seit der Islamischen Revolution 1979, wie eine Zeitzeugin in einer Geschichtsdoku. Wie ein wenig sinnvoller Verfremdungseffekt wirkt das zunächst. Doch ganz fernliegend erscheint die Interpretation nicht, dass Kirchhoff die ARD-Journalistin und deutsche Revolutionschronistin Natalie Amiri spielt, in höherem Alter, nachdem die Revolution tatsächlich irgendwann geglückt sein wird.
Wie im Geschichtsleistungskurs
Wenn sie nicht die jungen Widerständler verkörpern, reden Bruns, Willberg und Schneider mit dem Publikum, als sei es ein Geschichtsleistungskurs, Thema: Iranische Revolutionen. Das ist erst mal toll, denn wer lernt in deutschen Schulen schon etwas über persische Geschichte? Allerdings geraten die Unterrichtseinheiten in ihrem Informationsgehalt etwas zu dicht. Das Problem ist ja: Möchte man als erwachsener Mensch im Theater wieder die Schulbank drücken? Die drei Schauspieler*innen können ihr Talent in diesen Szenen gar nicht richtig ausspielen vor lauter paukerhafter Erklärerei.
Daryanavard scheint darum zu wissen; er kokettiert, indem er seinen Schauspielerinnen Studienrat-Hornbrillen aufsetzt und immer wieder oberlehrerhaft historische Daten und Namen auf Schiefertafeln schreiben lässt.
Mit den „Jin, Jiyan, Azadi“-Protesten des Jahres 2022 hatte nun jede Generation ihren revolutionären Moment, jede Generation wurde mutiger, wütender, erklären die drei am Ende. Irgendwann bewahrheitet sich alle Hoffnung, mit diesem Gefühl verlässt man das Klassenzimmer im BE.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!