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Haftstrafe für Auto-AttackeKeine politisch motivierte Tat

Vor drei Jahren lenkte Melvin S. einen Pick-up gezielt in eine Gruppe, die gegen die AfD demonstrierte. Nun muss er ins Gefängnis.

Hinter blauem Aktendeckel steckt der Angeklagte Melvin S., neben ihm sein Anwalt Jens Hummel Foto: Christian Charisius/dpa

Kiel taz | „Alle Wege sind das Ziel“, so lautet der Werbeslogan für den VW Amarok, einen mehr als fünf Meter langen und fast zwei Meter breiten Pick-up. Der Weg von Melvin S. führte am 17. Oktober 2020 gut 100 Meter weit über einen Bürgersteig in Henstedt-Ulzburg. Vier Menschen verletzte der von ihm gesteuerte Pick-up dabei. Der damals 19-jährige Melvin S. war Mitglied der AfD, die Betroffenen nahmen an einer Demonstration gegen eine AfD-Veranstaltung im Bürgerhaus der schleswig-holsteinischen Kleinstadt teil.

War es eine politische Tat, wie die Verletzten meinen, oder doch Notwehr, wie S. es schildert? Nach 21 Prozesstagen kam das Landgericht in Kiel zu dem Schluss: Die Tat geschah vorsätzlich, aber es lag keine Tötungsabsicht vor. Wegen gefährlicher Körperverletzung und schwerem Eingriff in den Straßenverkehr wurde Melvin S. zu drei Jahren Jugendhaft ohne Bewährung verurteilt, zudem muss er Schmerzensgeld von 500 bis 2000 Euro an die Opfer zahlen.

„Der Anklagte wusste um die Kraft des Wagens, er hat in Kauf genommen, dass Menschen verletzt werden, aber es handelte sich um keinen rechten Angriff aus Hass oder Wut“, sagte Richterin Maja Brommann in ihrer Urteilsbegründung, der Melvin S. mit ungerührter Miene und die Nebenklagenden mit Stirnrunzeln zuhörten.

Angesichts der Schwere der Tat, die laut den Sachverständigen nur aus Glück und Zufall nicht mit Toten endete, sei eine Bewährungsstrafe nicht infrage gekommen. Dennoch stand für die Kammer nach der Beweisaufnahme fest, dass Melvin S. zwar bei klarem Verstand, aber „aufgeregt und überfordert“ gewesen sei. Er habe, wenn auch mit einem überzogenen Mitteln, seinem Freund helfen wollen, den er als Opfer eines Angriffs der linken Demonstrierenden sah.

Mit „Reichsbrause“ zur AfD-Veranstaltung

An jenem Oktobertag im Jahr 2020 trat der damalige Bundessprecher der AfD, Jörg Meuthen, im Bürgerhaus von Henstedt-Ulzburg auf. Melvin S. und drei Freunde – die in einer Whatsapp-Gruppe mit dem Titel „Ortskontrollfahrt“ chatteten – trafen sich dort, um „Zecken zu glotzen“. S. trug Springerstiefel, ein anderer einen Lonsdale-Pullover, S. ließ sich fotografieren, wie er „Reichsbrause“ trank, auf der Flasche sind Wehrmachtssoldaten abgebildet.

Eine Frau forderte sie auf, die Demo zu verlassen, was sie taten. In einer Nebenstraße fühlte sich die Gruppe von Personen in dunkler Kleidung verfolgt. Melvin S. und zwei weitere stiegen in den Pick-up, der vierte ging zu seinem Wagen. Dort – für die Kammer ist das gesichert – versetzte ein Unbekannter ihm einen Schlag ins Gesicht. Melvin S. startete daraufhin seinen Wagen und fuhr auf den Gehweg.

Dass das kein normaler Verkehrsunfall gewesen sei, gestand sogar der Verteidigern von Melvin S., Jens Hummel, in seinem Plädoyer zu. Doch einen Anschlag, eine rassistische oder terroristische Gesinnung sei nicht zu erkennen, so Hummel. Rechte Symbole und Bilder auf dem Handy von S. oder in seinem Zimmer seien kein Anzeichen eines rechten Weltbildes, sondern „Teil eines jugendlichen Findungsprozesses“.

Ganz anders sahen es die Anwälte der Nebenklagenden. Alexander Hoffmann wies in seinem Plädoyer auch auf die Rolle von Polizei und Justiz hin: „Stellen Sie sich vor, ein Mann mit Migrationshintergrund hätte ein Auto in AfD-Anhänger gelenkt oder ein Mann im schwarzen Kapuzenpulli in eine Gruppe Neo-Nazis.

Belastungen für die Opfer bleiben

Das hätte bundesweite Schlagzeilen gegeben, und noch am selben Abend wäre der Verfassungsschutz da gewesen und der Täter in U-Haft.“ Melvin S. dagegen war nach kurzer Vernehmung nach Hause geschickt worden, die Polizei hatte anfangs in einer Pressemitteilung von einem Verkehrsunfall gesprochen.

An S.’ Entschuldigungen und die Notwehr-These glaubt auch der zweite Nebenklage-Vertreter Anwalt Björn Elberling nicht: „Spätestens nach den ersten zwei Zusammenstößen war er weit weg von seinem Freund, den er angeblich beschützen wollte. Es gab keinen Grund, hinter der dritten Betroffenen herzufahren.“ Melvin S. habe sich dazu aus einer gefestigten rechten Gesinnung heraus selbst aufgeputscht, sich eine Gefahr für die „weiße Rasse“ eingeredet und so die „Tötungshemmung herabgesetzt“.

Es sei erfreulich, dass das Gericht die Argumente immerhin anerkannt und gewürdigt habe, sagte Elberling nach Prozessende. Dennoch war das Ergebnis nicht wie von ihm erhofft: „Für uns war weniger das Strafmaß wichtig als die Anerkennung einer politischen Tat.“

Für die Betroffenen werden die Folgen bleiben, körperlich und psychisch – es stehen deswegen nun noch Zivilklagen gegen Melvin S. im Raum. Eine der Betroffenen hatte vor Beginn der Urteilsverkündung am Donnerstag auf der Gegendemonstration neben dem Kieler Gerichtsgebäude gesprochen.

Der lange Prozess, das Zusammensein mit Melvin S. in einem Raum sei belastend. „Aber ich habe überlebt, nun werden die Akten geschlossen“, sagte sie. Wichtig sei die Solidarität, die sie erfahren habe. Sie und auch andere Red­ne­r*in­nen betonten: „Wir werden weiter gegen rechte Gewalt und den Rechtsruck kämpfen.“ Es besteht noch die Möglichkeit, Revision einzureichen, das könnte auch die Nebenklage tun.

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10 Kommentare

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  • So kann man doe Justiz auch der Lächerlichkeit preisgeben.

  • Die Argumentation über den Tötungsvorsatz wird von Gerichten immer wieder genutzt, um aus einem versuchten Mord eine Körperverletzung werden zu lassen, oder halt umgedreht. Hier waren die Täter rechtsradikal, deshalb kein Tötungsvorsatz. Bei Straßenrennen von "Ausländern", argumentieren deutsche Gerichte dann so:



    "Danach liegt bedingter Vorsatz vor, „wenn der Täter den Tod als mögliche, nicht ganz fernliegende Folge seines Handelns erkennt und dies billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen zumindest mit dem Eintritt des Todes abfindet, mag ihm der Erfolgseintritt auch gleichgültig oder an sich unerwünscht sein“ " und somit ein Mordurteil begründet.



    Beim Amokläufer von Halle wurden ja die beiden Erschossenen ermordet (hier ist ein Mordurteil verständlich, waren aber auch die beiden "Deutschen"), als der Täter auf der Flucht die Imbissbesitzer überfahren wollte war das aber kein Mordversuch - man konnte es nicht nachweißen, außerdem waren es "Ausländer".



    So viel zum viel gelobten Rechtsstaat, welcher alle Menschen gleich behandelt.

    • @Genosse Luzifer:

      Das klingt schon recht arg nach Verschwörungstheorie...



      P.s.: In den wenigen Fällen, in denen ein sog. "Straßenrennen" zu einer (rechtskräftigen) Verurteilung wegen Mordes führte, waren die Täter allesamt "Biodeutsche"!

  • "S. trug Springerstiefel, ein anderer einen Lonsdale-Pullover"

    warum ist gerade die TAZ so unaufgeklärt, Lonsdale immer noch in Verbindung mit dieser Gesinnung zu nennen? Jeder weiß doch mittlerweile, dass mehrere Marken sich mit ganz großen Kampagnen erfolgreich davon losgesagt haben.

    Und hier wird das Narrativ ungefiltert wiederholt und gefestigt.



    Schande.

    • @AlexMasterP:

      Bei Neonazis hat sich aber noch nicht völlig rumgesprochen, dass der "anständige Deutschblütige" statt diesem "verqueerten Lonsdale-Dreck" heutzutage Consdaple trägt .

      Vorzugsweise so, dass die Bomberjacke einerseits das "CO-" und andererseits das "-LE" verdeckt. Genauso ist es ja intendiert.

      Allerdings haben Sie insofern recht, dass ein 19jähriger Neofaschist sich dieser Tatsache bereits bewusst sein müsste.

  • Zur Politikverdrossenheit gesellt sich immer öfter nun auch die Justizverdrossenheit....

    • @Perkele:

      Es neithardtet in Deutschland. Fast pünktlich zum 100jährigen Jubiläum.

  • Nein, mit "Springerstiefeln und Reichsbrause" und Anhänger einer Partei die in Teilen verfassungsfeindlich ist begeht man keine politisch motivierten Taten. Schon gar nicht im Umfeld einer linken Demo.



    Vermutlich waren die Angklagten einfach nur zu unintelligent um diesen Schluß richterlich in die Verurteilung einfließen zu lassen.



    Wurde eigentlich der Führerschein lebenslang eingezogen? Das Auto beschlagnahmt?

    Aha.

  • Menschen die sich auf die Straße kleben, müssen mit Haftstrafen rechnen! Da erscheint dieses Urteil als das was es ist, mehr als lächerlich! Wenn man ein Auto in einer demonstrierender Menschenmenge steuert, da braucht man nicht viel Menschenverstand ( siehe Charlottesville ), um zu verstehen, das es natürlich um eine tötungsabsicht ging. Zum Glück, hat das Gericht nicht als Begründung gesagt das der Täter doch nur sein Auto parken wollte, das würde ich so einem Richter absolut zutrauen. Die Zeit wird immer verrückter und schlimmer in der wir Leben.

  • Natürlich war diese Tat keinesfalls politisch motiviert. Wie sollte sie? XD

    Nothilfe mittels Amarok, was für ein passender Name. Offenbar nicht das geeigenete Fahrzeug für "Überforderte".