Aufhebung von Fahrradstraßen in Hannover: Verkehrswende scheitert an der SPD
In Hannovers Südstadt sollen Fahrradstraßen wegfallen, damit Parkplätze bleiben können. Der grüne Bezirksbürgermeister ist entsetzt, aber machtlos.
Damit wiederholt sich im Kleinen das Drama, das sich auch schon im großen Rathaus in Hannover ereignet hat: Die SPD schert aus, weil sie grüne Verkehrspolitik nicht mittragen will. Anders als im großen Rathaus waren es hier die Grünen, die die Koalition aufkündigten.
„Wir hatten im Koalitionsvertrag die Schaffung neuer Fahrradstraßen vereinbart und nicht die Abschaffung alter Fahrradstraßen. Außerdem hat sich die SPD nicht an die üblichen Abstimmungsprozesse gehalten“, heißt es aus der Grünen-Fraktion. Die SPD erklärte, sie bedauere den Schritt, es hätte ja durchaus andere Anliegen gegeben, die man gern noch gemeinsam umgesetzt hätte.
Der Streit über die Fahrradstraßen hatte sich seit dem Sommer zugespitzt. Eine Überprüfung und Anpassung der – zum Teil mehr als 20 Jahre alten – Fahrradstraßen war nötig geworden, weil das Verwaltungsgericht Hannover die gängige Praxis in der Stadt als unzureichend gerügt hatte.
Eine Klage und ihre Folgen für Hannover
Geklagt hatte damals ein pensionierter Richter in einem ganz anderen Stadtteil: Er wollte die Fahrradstraße vor seinem Haus gern loswerden. Doch es kam anders. Die Stadt schränkte stattdessen den Autoverkehr weiter ein – vor allem das Parken am Straßenrand und den Durchgangsverkehr.
Zu Recht, befand das Verwaltungsgericht Hannover, nachdem der Mann dagegen ein zweites Verfahren angestrengt hatte. Im Grunde ist sie damit noch nicht einmal weit genug gegangen, fanden die Richter. Denn: Wenn eine Straße als Fahrradstraße deklariert wird, dann müssten die Radfahrer auch deutliche Vorteile davon haben – und zwar nicht nur theoretisch und auf dem hübschen Schild.
Dafür legte das Gericht eine Reihe von Kriterien fest. Das heikelste: Die Fahrbahnbreite. Eigentlich müsste in einer Fahrradstraße genug Platz sein, dass Radfahrer nebeneinander fahren und trotzdem noch den Gegenverkehr passieren könnten. Das geht oft nicht, wenn beide Straßenränder zugeparkt sind. Schon gar nicht in der dicht besiedelten Südstadt mit ihren engen Nebenstraßen.
Die hannoversche Stadtverwaltung nahm dieses Urteil nun zum Anlass alle Fahrradstraßen der Stadt – es sind insgesamt 23 – noch einmal zu überprüfen und nachzubessern.
Widerstand entzündet sich an der Parkplatzfrage
In der Südstadt bedeutet dies, dass zwei Fahrradstraßen entfallen müssen, weil die Fahrbahnen schlicht zu eng sind. In anderen Fällen sollten Parkplätze wegfallen. Dagegen formierte sich prompt Widerstand, vor allem dort, wo sich die Anwohner sowieso von chronischer Parkplatznot gebeutelt sehen.
Den griff die SPD auf, die glaubt, dass die Stadtverwaltung die Latte hier ohnehin viel zu hoch gehängt hat. Das Urteil, argumentiert die Fraktionsvorsitzende Petra Adolph, beziehe sich ja zunächst einmal nur auf die Kleefelder Straße im Zooviertel und sei auch nur in der ersten Instanz gesprochen worden. Es 1:1 auf alle anderen Fahrradstraßen zu übertragen, sei unsinnig.
Die Verwaltung argumentiert hingegen, man könne das Urteil nicht einfach ignorieren und auf weitere Klagen warten. Eine Berufung habe man sehr gründlich geprüft und letztlich verwerfen müssen, weil die Erfolgsaussichten zu gering sind, sagt Stadtsprecherin Janine Herrmann.
SPD strebt Bürgerbeteiligung an
Damit bliebe dem Bezirksrat nur, Fahrradstraßen entweder zu beschließen oder abzuschaffen – aber nicht über die genaue Ausgestaltung zu bestimmen. Also beantragte die SPD, die Fahrradstraßen dann eben abzuschaffen.
Gleichzeitig will sie aber im kommenden Jahr Bürgerbeteiligungen anschieben und unabhängige Planer beauftragen, um zu beratschlagen, wie man die Verkehrssituation für Radfahrer trotzdem verbessern kann – auch ohne Fahrradstraßen.
Den Versuchen der Grünen, in letzter Minute doch noch Kompromisse zu vermitteln, erteilte die SPD eine Absage. Da nutzte auch eine Gesprächsrunde mit dem Oberbürgermeister Belit Onay (Grüne) und dem Stadtbaurat Thomas Vielhaber (SPD) nichts mehr.
Wenig Spielraum für Kompromisse
Die Verwaltung hatte allerdings auch lange so getan, als wären ihre Pläne vollkommen alternativlos. Das hatte auch die Bürgerinitiative aus dem kleinen Nachbarstadtteil Bult verärgert, die sich Gedanken um Alternativen gemacht hatte.
Die Anwohner wollten in ihrem Viertel die Sicherheit des Radverkehrs mit Einbahnstraßenlösungen verbessern – in der Hoffnung, damit ihre Parkplätze behalten zu können. Doch auch das erschien der Stadtverwaltung nicht rechtssicher genug.
Möglicherweise hätte es Chancen gegeben, den einen oder anderen Stellplatz zu retten. Die Grünen beantragten deshalb noch einmal eine genauere Prüfung für einzelne Fahrradstraßen – doch darauf mochte sich die SPD am Ende nicht mehr einlassen.
Fahrradstraßen werden gestrichen
Nun ist die Streichung der Fahrradstraßen also beschlossene Sache. Zur großen Freude von FDP und CDU, die sich Sorgen um eine drohende Benachteiligung des Autoverkehrs machten. Zwar gibt es noch eine formale Überprüfung durch die Verkehrsbehörde, doch es gilt als unwahrscheinlich, dass die den Beschluss kippt.
Für die grüne Verkehrswende in Hannover ist das ein weiterer Rückschlag – nachdem der Oberbürgermeister ja schon mit seinem Mobilitätskonzept für die Innenstadt am erbitterten Widerstand der SPD gescheitert war.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen