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Mercosur-Abkommen kurz vor dem AusErneutes Scheitern als Chance

Das Freihandelsabkommen zwischen der EU und den Mercosur-Staaten ist immer noch nicht unterschrieben worden. Streit gibt es über Umweltschutzauflagen.

Geht da noch was: Brasiliens Präsident und Bolivien Präsident Arce bei den Mercosur-Verhandlungen Foto: Silvia Izquierdo/ap

Buenos Aires taz | Beim Gipfeltreffen der südamerikanischen Wirtschaftsgemeinschaft Mercosur herrschte Katerstimmung. Ganz oben auf der Tagesordnung stand am Donnerstag in Rio de Janeiro das Freihandelsabkommen mit der Europäischen Union. „Ich habe mit fast allen Präsidenten der EU gesprochen. Ich habe Macron gedrängt, nicht so protektionistisch zu sein, aber es hat nicht funktioniert“, sagte der Gastgeber, Brasiliens Präsident Lula da Silva in der Eröffnungsrede. „Der Widerstand in Europa ist wirklich stark.“

Spaniens Ministerpräsident und EU-Verhandlungsführer Pedro Sánchez und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen waren trotz Einladung gar nicht erst zum Gipfel angereist. Wäre nicht Bolivien als fünftes Mercosur-Vollmitglied aufgenommen und ein Freihandelsabkommen mit Singapur verabschiedet worden, wäre der Gipfel zu einem Routinetreffen geworden, bei dem lediglich die Präsidentschaft von Brasilien an Paraguay übergeben wurde.

Das EU-Abkommen mit den Mercosur-Staaten Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay ist seit 2019 fertig ausgehandelt, allerdings noch nicht ratifiziert. Streit gibt es vor allem über Umweltauflagen für südamerikanische Landwirte. Frankreich und Österreich dringen zum Schutz der eigenen Bauern auf strikte Vorgaben. Deutschland setzt sich für eine rasche Ratifizierung ein. Auf südamerikanischer Seite werden die Umweltforderungen als kolonialistische Bevormundung abgelehnt. Zudem steht Argentinien seit Jahren auf der Bremse, um seine heimische Industrie zu schützen.

Gespräche seit 25 Jahren

Der am Sonntag aus dem Amt scheidende argentinische Präsident Alberto Fernández wiederholte seine bekannten Argumente: Ein Freihandelsabkommen mit der EU sei begrüßenswert, um nicht in der Bipolarität zwischen China und den Vereinigten Staaten gefangen zu sein. „Aber es setzt voraus, dass wir alle gewinnen, sonst ist es kein gutes Abkommen.“ Uruguays Präsident Luis Lacalle Pou würdigte die „große Leistung“ Lulas, um dann zu fragen, „ob es wirklich sinnvoll ist, weiter auf Gesprächen zu bestehen, die nun schon seit fast 25 Jahren geführt werden“.

Mit etwas Spannung war die Rede von Paraguays Präsident Santiago Peña erwartet worden. Peña hatte angekündigt, dass er die Verhandlungen als Präsident des Mercosur im kommenden Jahr nicht fortsetzen werde. Die EU versuche, „uns Maßnahmen aufzuzwingen, die für unsere eigene Entwicklung nicht geeignet sind“, so Peña. Dass Umweltfragen die Handelsdiskussion dominieren, sei „auf ein mangelndes Verständnis unseres Entwicklungsmodells zurückzuführen“, sagte er.

Noch eine andere Stimme am Rand des Gipfels war aufschlussreich. „2010 dachten wir, wir könnten das Abkommen in zwei Jahren abschließen“, erklärte Welber Barral, der damalige brasilianische Chefunterhändler. „Selbst wenn das Abkommen heute angenommen worden wäre, hätte es juristisch überprüft, in alle EU-Sprachen übersetzt und von allen EU-Parlamenten gebilligt und ratifiziert werden müssen“, so Barral. Mit ein wenig Optimismus würde dies mindestens fünf Jahre dauern.

Dass der Gipfel trotzdem nicht als das Datum in die Geschichte eingehen sollte, an dem das Mercosur-EU-Abkommen beerdigt wurde, ist auch in der Abschlusserklärung zu lesen. „Die Verhandlungen werden mit dem Ziel fortgesetzt, den Prozess abzuschließen und eine Vereinbarung zu erzielen, die für beide Regionen von Vorteil ist und den Anforderungen und Bestrebungen ihrer jeweiligen Gesellschaften entspricht“, heißt es darin. Ein Zeithorizont wird nicht genannt.

Eine Chance im Scheitern sehen Umweltverbände. „Nach mehr als 20 Jahren gescheiterter Verhandlungen sollte die Bundesregierung endlich anerkennen, dass das Abkommen in der jetzigen Form die falsche Grundlage für eine faire und nachhaltige Partnerschaft zwischen der EU und dem Mercosur ist“, erklärte Greenpeace-Handelsexpertin Lis Cunha. „Handel darf den Planeten nicht gefährden, sondern muss ihn schützen. Statt ein totes Pferd zu reiten, muss Wirtschaftsminister Robert Habeck sich für Neuverhandlungen für ein ökologisches, postkoloniales Abkommen einsetzen.“

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4 Kommentare

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  • Könnten diese Artikel mal ein bisschen konkreter werden?



    Welche Unweltauflagen genau. Was sind die verschiedenen Positionen.



    Stattdessen viel Larifari.

  • Ich hoffe jetzt kapieren endlich alle, daß unsere Standards was Umwelt und Landwirtschaft angeht schon viel höher sind als anderswo.



    Aktuell geht der Trend dahin hier die Landwirtschaft immer weiter zu reduzieren und die Lebensmittel aus anderen Ländern zu importieren.



    Ist oft ideologisch motiviert, aber definitiv nicht logisch und schädlich für das globale Klima

  • Finde ich schräg, dass gerade Umweltverbände von einem möglichen postkolonialen Abkommen reden.

    Es sind gerade die Umwelt-Vorstellungen der Europäer, die sie den Südamerikanern aufdrängen wollen, die zum Scheitern beitragen.

    Jetzt wenden sich die Südameriker eben mehr in Richtung Asien, wo sie nicht so viel Stress mit Umweltauflagen, Menschenrechten usw haben.

    • @gyakusou:

      Ich finde deine Einschätzung zu hart. Was die Brasilianer da seit Jahren im Amazonasgebiet veranstalten, ist wirklich nicht richtig. Neuere Studien zeigen, dass die Auswirkungen auf das südamerikanische Klima viel stärker sind als auf das Weltklima. Chiles leidet unter einem in manchen Regionen echt dramatischen Wassermangel. Man glaubt heute, dass das stark durch das Abholzen des Regenwaldes verursacht ist. Zwischen Lateinamerikanischen Regierungen ist aber Kritik nicht so angesagt. Deshalb geht das immer so weiter. Chiles Lachzuchten kippen ihrerseits viel Antibiotika ins Meer. Die Folgen sind dann immer mal wieder auftretende Algenpesten.



      Wir dürfen unsere Positionen nicht zu sehr kritisieren, nur weil Spanien und Portugal vor hunderten von Jahren da mal auf Kolonialmacht aufgetreten sind.