Vor dem Mercosur-Gipfel: Vorerst kein Freihandel mit der EU

Der Vertrag zwischen dem Wirtschaftsraum in Europa und Südamerika ist zunächst gescheitert. Doch ein anstehender Amtswechsel könnte die Lage ändern.

Schriftzug Stop Mercosur- Greenpeace auf der Glasfront des EU-Ministerrats, im Vordergrund 2 Polizisten

Das geplante Freihandelsabkommen EU-Mercosur ist auch in der Zivilgesellschaft umstritten Foto: dpa

BRÜSSEL/BUENOS AIRES taz | Wenn sich die vier Präsidenten der Mercosur-Mitgliedstaaten am Donnerstag in Rio de Janeiro zu ihrem halbjährlichen Gipfel treffen, steht eines bereits fest: Sie werden das Freihandelsabkommen zwischen der südamerikanischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Europäischen Union nicht billigen. „Es ist ein schlechtes Abkommen, das negative Folgen für die Industrie und die Agrarexporte haben könnte“, erklärte Argentiniens Außenminister Santiago Cafiero am Montag.

Auch wenn Cafiero nur noch bis Sonntag im Amt ist, hält die scheidende argentinische Regierung an ihrer Ablehnung fest. „Wir haben immer für eine Wiederaufnahme der Verhandlungen plädiert, weil die derzeitige Version nicht beiden Blöcken zugutekommt, sondern die Asymmetrien zementiert und die bestehenden produktiven, finanziellen und technologischen Unterschiede verstärkt“, sagte der noch amtierende Minister.

Wenige Tage zuvor hatte sich die künftige argentinische Außenministerin noch voller Optimismus gezeigt. „Es bestehen gute Chancen, dass das Freihandelsabkommen zwischen dem Mercosur und der Europäischen Union am 7. Dezember unterzeichnet wird“, sagte Diana Mondino da. Sie prophezeite gar, dass „Alberto Fernández seine Amtszeit mit diesem Ergebnis beenden wird“. Fernández' Amtszeit als Präsident endet am kommenden Sonntag, wenn Javier Milei als sein Nachfolger vereidigt wird. Milei hatte Mercosur im Wahlkampf attackiert, gilt aber auch als marktradikaler und Befürworter von Freihandel.

Brasilien, Uruguay und Paraguay tendieren zur Annahme des Abkommens. Wenn sich Argentiniens Position nach dem Regierungswechsel tatsächlich ändert, könnte auch Paraguays Präsident Santiago Peña sein Ultimatum zurückziehen. Für den Fall, dass das Abkommen bis Dezember nicht unter Dach und Fach ist, hatte er Ende September mit dem Abbruch der Verhandlungen gedroht. Paraguay übernimmt am Donnerstag die Präsidentschaft des Mercosur.

Lula will weiter kämpfen

Das alles weiß auch Luiz Inácio Lula da Silva. Einige Äußerungen des brasilianischen Präsidenten bei seinem Berlin-Besuch am Montag zielten denn auch in Richtung EU. So sei jetzt ein „entscheidender Moment der Verhandlungen“ bei dem Mercosur-Gipfel am Donnerstag in Rio de Janeiro und er werde sich für einen zügigen Abschluss des Handelsabkommens einsetzen. Er habe Bundeskanzler Olaf Scholz gesagt, dass er hoffe, „dass die EU entscheiden wird, ob sie an dem Abkommen interessiert ist“.

Die EU will die Verhandlungen fortführen, sagte ein Sprecher der EU-Kommission am Dienstag in Brüssel. Berichte über den vorzeitigen Abbruch der Gespräche seien falsch. Mehrere deutsche Medien schrieben, dass EU-Handelskommissar Valdis Dombrovskis seine Reise zum Mercosur-Gipfel abgesagt habe. „Dombrovskis war und ist bereit, die Reise anzutreten und das Abkommen zu unterzeichnen“, erklärte der Kommissionssprecher. Der geplante Flug zum Gipfel am Donnerstag aber gilt tatsächlich als aufgeschoben. Man stehe in Kontakt mit allen vier Mercosur-Staaten, sagte der Sprecher – also auch mit dem offenbar unwilligen Argentinien.

In Brüssel kommt hingegen nicht gut an, dass Vizekanzler Robert Habeck am Montag in Berlin einen bilateralen Deal zwischen Deutschland und Brasilien ins Gespräch gebracht hat. Die Handelspolitik liege einzig und allein in den Händen der EU-Kommission, betonte der Sprecher am Dienstag. Man habe in den Verhandlungen mit Mercosur „substanzielle Fortschritte“ gemacht und lasse sich von niemandem hereinreden.

„Altmodischer Zollabbau“-Pakt

Der Machtkampf geht nicht nur zwischen Berlin und Brüssel weiter, sondern auch zwischen Berlin und Paris. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron kritisierte nach einem Treffen mit Lula bei der Weltklimakonferenz in Dubai, dass die Umweltstandards des Deals unzureichend seien. „Das Abkommen wurde vor 20 Jahren ausgehandelt, und wir haben versucht, es zu flicken“, sagte Macron. „Am Anfang und am Ende wurden ein paar Sätze eingefügt, um Frankreich zufriedenzustellen.“ Im Kern aber sei es ein „altmodischer Zollabbau“-Pakt, bekräftigte er seine Ablehnung.

Widerstand kommt auch aus Irland. Wegen der Abholzung des Regenwalds und der Brände am Amazonas hat Dublin schon mehrfach mit einem Veto gedroht. Umgekehrt wehrt sich Brasilien gegen allzu harte Umweltauflagen. Das sei nichts anderes als „Neokolonialismus“, heißt es in Brasilia.

Weiterer Einspruch könnte aus einem ganz anderen Land kommen. Bolivien wird auf dem Gipfeltreffen als fünftes Vollmitglied in die südamerikanische Wirtschaftsgemeinschaft aufgenommen werden. Zwar sind die Beitrittsverhandlungen schon lange abgeschlossen, aber die Ratifizierung durch die Parlamente der Mitgliedsländer stand noch aus. Die EU-Kommission hat die Hoffnung auf einen Deal offenbar dennoch noch nicht aufgegeben.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.