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Ungeklärte HaushaltslageHilfeschrei der Demokratiearbeiter

Wegen der Haushaltskrise stehen bei Förderprojekten Entlassungen und Kurzarbeit an. Auch das Gesetz zur Demokratieförderung hängt fest.

„Demokratie leben“: Ohne Unterstützung wird das schwer Foto: Emmanuele Contini/imago

Berlin taz | Es ist ein verzweifelter Hilferuf. Angesichts der unsicheren Haushaltslage wandten sich am Montag mehr als 30 Initiativen, die in der Demokratiearbeit tätig sind, in einem offenen Brief an die Bundesregierung, Die derzeitige Ausgabensperre habe für sie „dramatische Folgen“, erklärten sie. Habe diese Bestand, müssten viele Projekte Mitarbeitende entlassen. Einige über Jahre gewachsene Projekte müssten „für immer ihre Türen schließen“. Es drohe „das Sterben einer zivilgesellschaftlichen Landschaft“ – ausgerechnet in Zeiten, in der die Demokratie „so stark bedroht wie noch nie“ sei.

Weil die Ampel-Spitzen seit dem Bundesverfassungsgerichtsurteil zum Haushalt noch keine Lösung für den Etat 2024 gefunden haben, hatte Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) die Geförderten des Bundesprogramms „Demokratie ­leben!“ zuletzt informiert, dass diese fürs kommende Jahr keine neuen Zahlungsverpflichtungen eingehen dürften. Auch neue Projekte oder die Aufstockung von Maßnahmen seien vorerst nicht möglich. Mit dem Programm waren für 2024 bisher 180 Millionen Euro für rund 600 Initiativen vorgesehen.

Unter den Projekten hat das massive Unruhe ausgelöst. „Wir brauchen jetzt die sofortige Freigabe der Fördermittel“, heißt es in dem offenen Brief von Initiativen wie dem Antidiskriminierungsverband, dem Kinderhilfswerk, von ­HateAid, Opferberatungsstellen oder Ausstiegshilfen. Nur so könne die Weiterarbeit der Projekte gesichert werden.

Die unsichere Lage hat bereits jetzt Folgen. So erklärte Timo Reinfrank von der Amadeu Antonio Stiftung, dass alle Mitarbeitenden, deren Verträge zum Jahresende ausliefen, nicht weiter beschäftigt werden könnten. Für langfristig Beschäftigte werde geprüft, Kurzarbeitergeld zu beantragen – was „erhebliche Einkommensverluste“ zur Folge hätte. „Die Kol­le­g*in­nen sind völlig am Ende“, so Reinfrank zur taz. Zudem müssten alle Aktivitäten für das erste Quartal 2024 abgesagt werden. „Die Koalition könnte der AfD kein größeres Weihnachtsgeschenk machen.“

Unsicherheiten sind im Ministerium bekannt

Auch Franz Zobel von der Thüringer Opferberatungsstelle ezra erklärt, die Arbeit seiner Initiative im schlimmsten Fall zum Jahresende ganz einstellen zu müssen. Die Entscheidung falle diese Woche. Eine psychosoziale Betreuung oder Prozessbegleitung von teils schwer traumatisierten Betroffenen müsse dann „von einem Tag auf den anderen abgebrochen werden“. Um das abzuwenden, brauche es zumindest die Erteilung eines „vorzeitigen Maßnahmenbeginns“.

Eine Sprecherin des Familienministeriums sagte am Montag der taz, man wisse von den „erheblichen Unsicherheiten“ der Träger und Mitarbeitenden des Bundesprogramms. Man unternehme „alle Anstrengungen, um zu gewährleisten, dass die wichtige Projektarbeit im Bundesprogramm auch 2024 in gewohnter Form und ohne Unterbrechung fortgesetzt werden kann“. Sobald die Ampel sich zum Haushalt 2024 geeinigt habe, werde hier „umgehend gehandelt“.

Auch der SPD-Bundesparteitag hatte am Wochenende Druck gemacht. Ein Antrag, das Programm „ohne Förderlücke“ 2024 fortzusetzen, fand dort eine Mehrheit – ebenfalls mit der Forderung nach Erteilung eines „vorzeitigen Maßnahmenbeginns“. Zugleich verhakt sich die Ampel derzeit auch beim Demokratiefördergesetz.

Dazu hatten Paus und Innenministerin Nancy Faeser (SPD) bereits vor einem Jahr einen Gesetzentwurf vorgelegt, der im Bundestag eigentlich bis zum Sommer verabschiedet sein sollte. Hier aber blockiert die FDP, die eine Wiedereinführung der umstrittenen Extremismusklausel fordert und warnt, dass mit dem Gesetz Initiativen gefördert werden könnten, die etwa legitime Kritik am Feminismus „bekämpfen“. Eine Meldung von Freitag, dass eine Einigung bei dem Gesetz gefunden wurde, entpuppte sich als verfrüht.

Demokratiefördergesetz soll nicht länger auf Eis liegen

In der SPD-Fraktion hieß es, man arbeite weiter auf eine baldige Verabschiedung hin. Das Gesetz sei angesichts der rechtsextremen Bedrohungen unerlässlich. Auch die Grüne Schahina Gambir sagte der taz, das Gesetz sei im Koalitionsvertrag vereinbart und „Demokratieförderung immer eine wichtige Aufgabe, in der derzeitigen Lage umso mehr“. Der Vorwurf, dass damit eine spezifische politische Agenda gefördert werde, sei angesichts von 600 Projekten „vollkommen unbegründet“.

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2 Kommentare

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  • Das Gewurstel um eine Korrektur des Haushaltes läuft mal wieder so, dass es dieses Jahr keine beschlussreife, also auch verfassungskonforme Beschlussvorlage liefert. Damit Jan Josef Liefers nicht bald auch noch einen pathologischen Befund für die deutsche Bundeshaushaltspolitik liefern muss, muss eine Reform der Haushaltspolitik schon bei den Haushalteberatungen 2024 für den Haushalt 2025 greifen und ein strengeres Prozedere anmahnen beim Gesetzgeber, dem Deutschen Bundestag. Da muss drinstehen, dass notfalls das Weihnachtsfest für die Abgeordneten ausfallen muss, wenn sonst der Haushalt nicht verfassungskonform perfekt bis zum Jahresende vorliegt. Und vielerlei wirksame Regeln mehr für die Qualitätssicherung der Haushaltspolitik. Oft schauen wir ja mitleidig auf die Haushaltssperren der USA. Und nun? Sollen wir in Selbstmitleid versinken, weil es nun uns selber trifft? Nein. Wir sollten vorsorgen, dass es nicht wieder passiert. Die Haushaltspolitik ist die Kernkompetenz des deutschen Bundestages. Dieser unser Gesetzgeber kann per Gesetzgebung selber dafür sorgen, dass Haushalte pünktlich geliefert werden. Dann wäre erheblich vielen Menschen hierzulande, die um die Demokratie besorgt sind, leichter ums Herz, wenn die demokratische gewählten VertreterInnen im Parlament wirksamer werden für eine gelingende Haushaltspolitik. Denn scheitert die Haushaltspolitik fundamental, droht die Demokratie nicht nur zu scheitern, nein ihr droht gar der Absturz.

  • Haben dieAktivitäten der selbsternannten "Demokratiearbeiter" jemals einen einzigen AfD-Wähler oder gar ein AfD-Mitglied zurückgewinnen können? Die bschäftigen sich doch alle nur mit sich selbst und ihresgleichen, die sowieso ihrer Meinung sind. Und dass diese Interessengruppen sich wehren, wenn ihre staatliche Finanzierung in Frage getsellt wird, ist gut nachvollziehbar. Das Geld wäre in der Jugendarbeit oder bei Aussteigerprogrammen meines Erachtens besser aufgehoben.