Arbeitsverhältnisse in Ostdeutschland: Mehr Mitbestimmung, weniger Nazi

Rechtsextreme Einstellungen nehmen signifikant ab, wenn Menschen bei der Arbeit mitbestimmen. Das zeigt eine neue Studie der Otto-Brenner-Stiftung.

Menschen protestieren auf einer Straße mit Fahnen des Königreichs Preussen

Querdenker, Rechtsextremisten und Reichsbürger protestieren im Oktober in Dresden für „Frieden“ Foto: Daniel Schäfer/dpa

Berlin taz | Ein zentraler Hebelpunkt im Kampf gegen Rechtsextremismus und antidemokratische Haltungen in Ostdeutschland ist mehr Mitbestimmung am Arbeitsplatz. Das geht aus einer Studie der Otto-Brenner-Stiftung hervor, die von So­zio­lo­g*in­nen und Psycholog*innen, unter anderem der Universität Leipzig erarbeitet wurde.

„Es wird viel geredet über Politikverdrossenheit in Ostdeutschland.“ sagt Andre Schmidt, einer der Co-Autoren der Studie. Mit der Studie wollen Schmidt und seine Kol­le­g*in­nen zeigen, dass die Erfahrung im Betrieb handeln zu können und der politische Raum zusammenhängen. „Das bedeutet, dass Mitbestimmung und Partizipation bei der Arbeit wichtige Faktoren sind, um Rechtsextremismus in Ostdeutschland entgegenzuwirken“, sagt Schmidt.

Besonders stark ist der Effekt laut Studie bei den Themen Ausländer- und Muslimfeindlichkeit sowie Antisemitismus. Zum Beispiel lehnen zwei Drittel der Befragten die Aussage „Die Ausländer kommen nur hierher, um unseren Sozialstaat auszunutzen“ ab, die das Gefühl haben durch eigenes Handeln im Job etwas zum Positiven verändern zu können.

Menschen, die sich am Arbeitsplatz nicht als fremdbestimmt erlebten, lehnten eine rechtsautoritäre Diktatur und die Verharmlosung des Nationalsozialismus eher ab. Fremdbestimmt bedeutet zum Beispiel, dass Beschäftige sich bei Entscheidungen im Arbeitsalltag übergangen fühlen. Oder, dass sie nicht das Gefühl haben, durch ihr Engagement positiv auf ihren Arbeitsplatz wirken zu können.

Gemischte Partizipationserfahrungen in Ostdeutschland

Letzteres erlebt etwa je­de*r Fünfte der ca. 1.400 befragten, in Ostdeutschland erwerbstätigen und lebenden Arbeitnehmer*innen. Laut Schmidt sei das auch ein Klassenproblem. Besonders im Niedriglohnsektor arbeitende Menschen mit geringem Bildungsstand und niedrigem Einkommen seien von solchen „Ohnmachtserlebnissen“ betroffen.

Und ein weiteres gravierendes Problem im Sinne der Demokratie macht die Studie deutlich: statistisch gesehen muss je­de*r vierte Beschäftigte in Ostdeutschland negative Konsequenzen befürchten, wenn offen über Betriebsräte oder Gewerkschaften geredet wird. Dabei seien Gewerkschaftsmitgliedschaften und ein Betriebsrat Zeichen für mehr Mitbestimmung und wirkten damit antidemokratischen Haltungen entgegen.

Immerhin, mehr als die Hälfte der Befragten fühlt sich im Arbeitsalltag nicht übergangen und mehr als zwei Drittel von ihnen berichten von solidarischen Beziehungen zu Kol­le­g*in­nen und von Möglichkeiten, Probleme untereinander zu klären. Damit zeigt die Studie positive Mitbestimmungserfahrungen ostdeutscher Beschäftigter auf, trotz der im Vergleich zu Westdeutschland eher ungünstigen Rahmenbedingungen. Ein geringer gewerkschaftlicher Organisierungsgrad, niedrige Betriebsrats-Dichte, eine wenig ausgeprägte Mitbestimmungskultur und teilweise patriarchale Führungsstile prägen weite Teile der ostdeutschen Arbeitswelt. Laut Studie besonders in Thüringen und Sachsen.

Kein Allheilmittel, aber wichtiger Faktor

Co-Autor Schmidt betont aber, dass Arbeitserfahrungen bei weitem nicht der einzige Einflussfaktor für rechtsextreme Einstellungen sind. Auch die allgemeine wirtschaftliche Lage Deutschlands sowie die gesellschaftliche Sozialisierung der Beschäftigten spielten bei der Ausbildung von autoritären Charakterzügen und rechtsextremen Einstellungen eine Rolle, so Schmidt. „Entsprechend kann Mitbestimmung in der Arbeitswelt auch kein Allheilmittel sein.“

Aber ein wichtiger Faktor. Das sagt auch Benedikt Linden von der gewerkschaftsnahen Otto-Brenner-Stiftung. Er hat die Studie mitbetreut und fordert die Politik auf, Rahmenbedingungen für den Kampf gegen Rechtsextremismus im Sinne der Studie zu schaffen: „Man kann sich nicht über Rechtsextreme aufregen oder Sonntagsreden über Demokratie halten und gleichzeitig vernachlässigen, dass sich weite Teile der Arbeitswelt demokratischer Mitbestimmung entziehen.“

Aus Lindens Sicht zeige die Studie, dass Demokratie am Arbeitsplatz zentral ist für die politische Demokratie. Die Menschen verbringen einen großen Teil ihrer Lebenszeit bei der Arbeit. Der Aufbau demokratischer Mitbestimmung dort, stärkt also auch die politische Demokratie. Im Umkehrschluss werde so deutlich, dass der Abbau von Mitbestimmung im Betrieb, wie beispielsweise Union Busting, „auch als Angriffe auf die Demokratie verstanden werden.“, so Linden.

Mitbestimmung als gesamtgesellschaftliche Aufgabe

Aber nicht nur die Politik sei gefragt. Auch für Gewerkschaften und Betriebsräte weise die Studie auf Handlungsfelder hin. Für sie sollte die Studie „Ansporn sein, sich weiterhin auf die Ausweitung von Partizipationserfahrungen zu konzentrieren. Bürokratische Stellvertreterpolitik allein hilft nicht, auch nicht in Form von Betriebsräten“, sagt Linden über die Bedeutung von konkreten Erfahrungen von Mitbestimmung. „Die Leute müssen sich als selbstbestimmt erleben.“

Obwohl mehr Mitbestimmung nicht im unmittelbaren Arbeitgeberinteresse liege, erklärt Linden, mache die Studie auch klar, dass sie „kein Luxus ist, sondern ein politischer Dienst im Sinne der Demokratie. Das sollten auch die Ar­beit­ge­be­r*in­nen verinnerlichen.“ Grundlage der Befragung waren Erkenntnisse zum bundesweiten Zusammenhang von Arbeitsverhältnissen und antidemokratischen Einstellungen, die in der Leipziger Autoritarismusstudie 2020 veröffentlicht wurden.

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