Regisseurin über Sex unter Jugendlichen: „Einverständnis ist ein Prozess“
Molly Manning Walker hat mit „How to Have Sex“ einen Film über Geschlechterrollen bei Jugendlichen gedreht. Es gehe immer noch viel um die männliche Lust.
Ihre Karriere begann Molly Manning Walker als Kamerafrau, bei preisgekrönten Kurzfilmen, Musikvideos oder auch dem Sundance-Gewinner „Scrapper“. „How to Have Sex“ ist ihr erster eigener Spielfilm als Regisseurin. Er handelt von der 16-jährigen Tara, die mit ihren besten Freundinnen zum Partyurlaub nach Kreta fliegt, wo zwischen Disco, Pool und jeder Menge Alkohol vor allem Sex das große Thema ist. Auch weil Tara selbst noch nie welchen hatte.
taz: Frau Manning Walker, über Ihren Kurzfilm „Good Thanks, You?“, in dem es um einen sexuellen Übergriff ging, haben Sie vor drei Jahren gesagt, dass die Arbeit daran die teuerste Therapiesitzung Ihres Lebens war. Lässt sich Ähnliches nun auch über „How to Have Sex“ sagen?
Molly Manning Walker wurde 1993 in London geboren. Sie machte an der National Film and Television School ihren Abschluss als Kamerafrau. Ihr Debütspielfilm „How to Have Sex“ wurde in Cannes in der Sektion „Un Certain Regard“ als bester Film ausgezeichnet.
Molly Manning Walker: Nicht mehr so wirklich. Die Aufarbeitung meiner eigenen Erlebnisse liegt hinter mir. Dieses Mal war die Arbeit am Film weniger therapeutisch als von einem Gefühl der Selbstermächtigung bestimmt. Und wurde vor allem zu einer richtig kollektiven Erfahrung. Denn die meisten Frauen haben das, worum es in „How to Have Sex“ geht, in der einen oder anderen Form schon erlebt: diesen Druck, Sex haben zu müssen, obwohl sie dazu eigentlich nicht oder noch nicht bereit sind.
War das eine überraschende Erkenntnis für Sie?
„How to Have Sex“. Regie: Molly Manning Walker. Mit Mia McKenna-Bruce, Lara Peake u. a. Vereinigtes Königreich/Griechenland 2023, 98 Min.
Ich hatte mir natürlich keine Illusionen darüber gemacht, dass viele Frauen mit dem Thema Erfahrungen haben. Das Ausmaß war mir allerdings tatsächlich nicht unbedingt klar. Praktisch jede einzelne Frau, die irgendwie an diesem Projekt beteiligt war, hatte den Eindruck, schon vergleichbare Situationen in ihrem Leben hinter sich zu haben.
Dadurch, dass Ihre Geschichte nun im Partyurlaub einer britischen Mädchenclique spielt, die gerade mit der Schule fertig ist, kommt auch ein übermäßiger Alkoholkonsum ins Spiel …
Stimmt, in England lernen wir den Umgang mit Alkohol wirklich gar nicht, weswegen wir da gerade in der Jugend sofort von null auf 1.000 gehen und voll über die Stränge schlagen. Aber das eigentliche Problem, um das es im Film geht, hat nichts mit Alkohol zu tun. Frauen erleben diese Dinge immer wieder, auch ohne dass ein einziger Drink im Spiel ist.
Wie haben Sie mit Ihrer jungen Hauptdarstellerin Mia McKenna-Bruce und den anderen recht unerfahrenen Schauspieler*innen an der Geschichte gearbeitet?
Wir hatten da einen sehr flexiblen Ansatz. Als Basis diente uns eine lange Improvisationsphase. Die Figuren und ihre Hintergrundgeschichten haben wir mehr oder weniger gemeinsam entwickelt. Natürlich gab es auch ein Drehbuch mit ausgearbeiteten Szenen und Dialogen. Aber ab dem zweiten Take haben wir meistens gesagt: Vergesst mal, was da geschrieben steht und probiert selbst aus, was euch für eure Figuren einfällt. Ich war immer offen dafür, wenn jemand neue und andere Ideen hatte.
Bei der Premiere des Films in Cannes sagten Sie, dass Sie darauf hoffen, mit dem Film eine Diskussion anzustoßen. Welche genau?
In den letzten Jahren ist viel über Einverständnis gesprochen worden, wenn es um Sex geht, doch irgendwie ist das Thema zu einer Angelegenheit geworden, in der es nur Schwarz und Weiß gibt. Die Frage, ob jemand ja oder nein gesagt hat, greift in meinen Augen zu kurz. Wenn es darum geht, dass zwei Menschen selbstbestimmt eine gute Zeit miteinander haben wollen, muss zumindest für den Moment eine emotionale Bindung und wirkliches Verständnis da sein. Da ist das Einverständnis ein anhaltender Prozess, nicht bloß der eine Moment, in dem jemand „ja“ sagt, und das gilt dann für den Rest der Begegnung. Ich würde mir wünschen, dass ein Bewusstsein dafür entsteht, dass man einander fortlaufend im Blick behalten muss – und dass Einverständnis auch eine nonverbale Sache sein kann. Ein Gespür zu haben für die Emotionen meines Gegenübers ist einfach essenziell. Denn warum würde ich Sex haben wollen mit jemandem, der wütend oder aufgebracht aussieht?
Die Frage ist immer auch ein bisschen: In wessen Verantwortung liegt es, jungen Menschen das beizubringen?
Es würde schon mal sehr viel bringen, wenn überhaupt mal eine echte Auseinandersetzung mit dieser Thematik beginnt. Sei es in Gesprächen zwischen Eltern und ihren heranwachsenden Kindern oder auch ganz schlicht unter Freunden. Am meisten im Argen liegt es allerdings in den Schulen, zumindest in Großbritannien. Sexualkunde wurde in meiner Schulzeit zum Beispiel ziemlich lapidar behandelt. Ein Kondom über eine Banane zu ziehen, war da schon das Höchste der Gefühle. Dabei ist das für junge Menschen heutzutage das geringste Problem.
Wo Sie gerade Freundschaften ansprechen: „How to Have Sex“ zeigt auch, wie kompliziert Gruppendynamiken und sozialer Druck sein können, wenn es um Sex geht. Kennen Sie das aus Ihrer eigenen Jugend?
Vermutlich wissen die meisten von uns, wie wahnsinnig wichtig und prägend, aber eben auch sprunghaft und zerbrechlich Freundschaften in der Pubertät sind. Ich habe mit meinen Freundinnen selbst so einen Partyurlaub gemacht, als ich 16 Jahre alt. Wir waren in Spanien, und vieles, was ich nun im Film zeige, basiert auf den Erlebnissen von damals. Inklusive des Blowjob-Wettbewerbs auf der Bühne. Wie krass und einprägend das war, habe ich mir damals natürlich gar nicht bewusst gemacht, sondern erst Jahre später. Aber mit dieser Reise verbinde ich auch einige der schönsten Erinnerungen meines Lebens. Deswegen war es mir ganz wichtig, nun auch im Film ganz viel Freude und Euphorie zu zeigen. Die emotionalen Höhen und Tiefen liegen ja gerade in dem Alter so dicht beieinander wie nie.
Basiert das Skript ausschließlich auf Ihren eigenen Erfahrungen?
Es ist aus meinen Erinnerungen erwachsen, ohne notwendigerweise autobiografisch zu sein. Außerdem war es mir wichtig, auch die Perspektive heutiger Teenager in die Geschichte einfließen zu lassen, schließlich bin ich selbst inzwischen 30 Jahre alt. Wir haben diverse Workshops mit 16- bis 19-jährigen veranstaltet und mit ihnen über Sex und Einverständnis gesprochen. Ich war ein wenig erstaunt, wie wenig sich verändert hat. Es waren immer noch vor allem die jungen Mädchen, die gesagt haben, es sei vor allem wichtig, nicht zu kurze Röcke zu tragen und zu viel zu trinken. Und unter Jungs werden nach wie vor die, die am meisten Sex haben, als echte Kerle und Legenden gefeiert.
Würden Sie sagen, dass ein Teil dieser Problematik dezidiert mit der Dynamik zwischen Frauen und Männern zu tun hat und damit womöglich vor allem ein heterosexuelles Problem ist?
Manches daran sicherlich, denn um die Frau-Dynamik herum ist unsere Gesellschaft natürlich größtenteils aufgebaut. Und so offen und fluide die jüngeren Generationen heutzutage ja geworden sind, wächst man noch immer erst einmal in diese heteronormativen Strukturen hinein. Natürlich ist es auf keinen Fall so, dass die Frage nach dem Einverständnis beim Sex nicht auch im queeren Kontext von größter Relevanz ist. Aber tatsächlich erlebe ich dort einen anderen Umgang damit und weniger Druck. Für schwule Männer kann ich natürlich nicht sprechen. Aber ich habe guten Sex wirklich erst erlebt, seit ich mit Frauen schlafe.
Ohne zu pauschal werden zu wollen, aber der Ball liegt in dieser Hinsicht ohne Frage bei uns Männern, nicht wahr?
Die Konversation und Auseinandersetzung mit diesem Thema müssen bei den Männern beginnen, wenn sich etwas verändern soll. Und zwar nicht, weil pauschal alle Männer sich falsch verhalten, sondern schlicht, weil unsere Welt rund um die männliche Lust und ein männliches Verständnis von Sex gestrickt ist. Bis heute gibt es viel zu wenig Aufmerksamkeit und Verständnis für weibliche Lust und guten Sex für Frauen. Wenn wir endlich anfangen würden, offen und ehrlich darüber zu sprechen und diese beiden Pole mehr in Einklang miteinander zu bringen, wäre das schon mal eine einschneidende Veränderung.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israel demoliert beduinisches Dorf
Das Ende von Umm al-Hiran
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Lang geplantes Ende der Ampelkoalition
Seine feuchten Augen
Etgar Keret über Boykotte und Literatur
„Wir erleben gerade Dummheit, durch die Bank“
Telefonat mit Putin
Falsche Nummer
Ost-Preise nur für Wessis
Nur zu Besuch