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Rassismus im GesundheitswesenArzttermine nach Hautfarbe

Schwarze, muslimische und asiatische Menschen werden laut einer repräsentativen Studie im Gesundheitswesen deutlich benachteiligt. Das hat Folgen.

Hautfarbe oder Nachname entscheiden oft, wer wann einen Arzttermin erhält Foto: Thomas Imo/Imago

Berlin dpa/afp/taz | Je diskriminierter, desto kränker: Das ist eines der Ergebnisse des ersten Berichts zum Nationalen Rassismus- und Diskriminierungsmonitor, den das Deutsche Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (Dezim) am Dienstag veröffentlichte. „Rassistisch markierte Personen erhalten zum Beispiel schlechter Termine und finden weniger Gehör mit ihren Leiden“, sagte der Direktor des Dezim-Instituts, Frank Kalter.

Schwarze, muslimische oder asiatische Menschen geben laut Bericht jeweils mehr als doppelt so häufig wie der Rest der Bevölkerung an, im letzten Jahr medizinische Behandlungen aus Angst vor Schlechterbehandlung verzögert oder vermieden zu haben. Auch Angststörungen oder depressive Symptome hingen demnach mit Diskriminierungs- und Rassismuserfahrungen zusammen. Weil diese gleichzeitig zu einer schnelleren Aufgabe bei der Terminsuche führten, verstärkten sich Ungleichheitsmechanismen gegenseitig.

Hautfarbe oder Nachname dürften niemals entscheiden, wer wann den Arzttermin oder den Therapieplatz erhält, wie gut die medizinische Versorgung sei, mahnte die Antirassismusbeauftragte der Bundesregierung, Reem Alabali-Radovan, nach Veröffentlichung des Berichts. Ärzt*innen, Pflegepersonal und Krankenhäuser bräuchten „passgenaue Antirassismus-Schulungen und -Konzepte“.

Gerade im sensiblen Gesundheitsbereich dürfe eine „vielfältig zusammengesetzte Gesellschaft wie die deutsche nicht mehr über die Diskriminierung ganzer Bevölkerungsgruppen hinwegsehen“, sagte der Präsident der Hamburger Ärztekammer, Neurochirurg Dr. Pedram Emami, dem NDR.

Jeder zweite Schwarze Mensch erlebt Rassismus

Neben dem Schwerpunkt Gesundheitswesen beleuchtet der Bericht auch die Rassismus- und Diskriminierungserfahrungen in anderen Lebensbereichen. Schwarze Menschen sind als Gruppe demnach am häufigsten von Diskriminierungen in Deutschland betroffen. Mit 54 Prozent berichtet mehr als jeder zweite Schwarze Mensch von Rassismuserfahrungen in der Öffentlichkeit.

Fast jede fünfte Schwarze Frau – 19 Prozent – gab an, immer wieder Bedrohungen oder Belästigungen zu erfahren, bei den Schwarzen Männern sind es 18 Prozent. Noch häufiger als offene Diskriminierungen sind laut Studie aber subtile Diskriminierungen: 37 Prozent aller Schwarzen Männer gaben demnach an, dass ihnen regelmäßig mit Angst begegnet wird. Das ist damit viermal so häufig der Fall wie bei – nach Selbstidentifikation – nicht rassistisch markierten Männern.

Mit 20 Prozent berichtete auch jede fünfte Schwarze Frau, dass ihr immer wieder mit Angst begegnet wird. Bei den nicht rassistisch markierten Frau machten nur 4 Prozent diese Erfahrung.

Asiatische und muslimische Menschen berichteten ebenfalls von Diskriminierungserfahrungen. Laut Studie waren 12 Prozent der asiatischen Männer und 13 Prozent der asiatischen Frauen von offenen Diskriminierungen betroffen sowie jeweils 20 Prozent und 10 Prozent von subtilen Diskriminierungen.

Bei muslimischen Männern und Frauen liegen die Anteile bei 13 beziehungsweise 14 Prozent bei der offenen und 28 beziehungsweise 15 Prozent bei der subtilen Diskriminierung. Die Befragten erlebten Diskriminierung demnach sowohl bei der Polizei und Behörden als auch in der Öffentlichkeit und im Freizeitbereich.

Mehr Anlaufstellen für Betroffene

„Die Intensität sowie die Konsequenzen erlebter Diskriminierung sind in Deutschland ungleich verteilt“, erklärte die Direktorin des Dezim-Instituts, Naika Foroutan. Am häufigsten treffe es Bevölkerungsgruppen, die rassistisch markiert seien und deren Zugehörigkeit zu Deutschland immer wieder Gegenstand der öffentlichen Debatten sei: Schwarze, asiatische und muslimische Menschen.

Die Wis­sen­schaft­le­r*in­nen untersuchten von Juni bis November 2022 die Diskriminierungserfahrungen von Menschen in Deutschland. An der repräsentativen Befragung nahmen den Angaben zufolge mehr als 21.000 Menschen teil.

„Diskriminierung und Rassismus schaden dem Zusammenleben in unserer Demokratie“, erklärte die Antidiskriminierungsbeauftragte der Bundesregierung, Ferda Ataman. Diesen Zusammenhang lege die Studie „schonungslos offen“. Deutschland müsse mehr gegen Rassismus tun, forderte Ataman. Nötig seien mehr unabhängige Meldestellen für Betroffene und ein Ausbau des Netzes an Antidiskriminierungs- und Opferberatungsstellen.

Eine „Antirassismus-Offensive“ forderte Antirassismusbeauftragte Reem Alabali-Radovan. „Wer Rassismus erfährt, darf nicht allein gelassenwerden und muss sich wehren können.“ Alabali-Radovan kündigte deshalb an, ein Antirassismus-Beratungsnetzwerk Deutschlands an bundesweit 32 Standorten zu starten.

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7 Kommentare

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  • Sorry, aber: Das hat fast BILD-Niveau:



    In der Headline lese ich "Arzttermine nach Hautfarbe"



    und dazu ein Bildunterschrift: "Hautfarbe oder Nachname entscheiden oft, wer wann einen Arzttermin erhält"



    Das suggeriert, dass Arzttermine eben nach Hautfarbe (oder anderen Merkmalen) vergeben werden. Eine solche Aussage tätigt die Studie aber nicht, und auch der dpa-Artikel tut dass dann im Folgenden nicht.



    Dass Menschen aufgrund Diskriminierungserfahrungen (Wo? Bei Arzt? Auch da fehlt jeder Hinweis), Behandlungstermine verschieben oder gar nicht erst uschen, ist schlimm. Und nie würde ich da sagen, Selber Schuld". Könnten sie ja tun".



    Aber es ist eben ganz etwas anderes, als die Behauptung jemand der Schwarz ist oder erkennbar muslimichen Glaubens würde von bei der Vergabe von Arzttermine hinten anestellt werden.

  • So lange die Politik so fremdenfeindlich ist braucht man sich nicht wundern.



    Der Fisch fängt vom kopf an zu stinken.

  • Wie äußert sich diese Diskriminierung eigentlich praktisch? Wie erhebt man denn diese Daten? Ich wurde bei Arztbesuchen oder sonstwo im Gesundheitswesen noch nie nach meiner Religionszugehörigkeit gefragt. Wäre ich Muslim, hätte ich also sicher keine Nachteile erfahren, weil es schlicht niemand interessiert, woran ich glaube.

    Beim Hausarzt und vielen Fachärzten ist die Terminvereinbarung längst digitalisiert (per online-Formular). Auch da sehe ich nicht, wie man als POC oder als Muslim schlechter Termine bekommt als jeder andere Patient.

  • Ich wollte es nicht glauben, aber mir haben Menschen, die im Krankenhaus arbeiten und rassismuskritisch sind, mehrfach berichtet, dass selbst Ärzte von "morbus mediterrane" sprechen und PoC zu viel Jammern über Beschwerden vorwerfen. Da Frauen meist eine höhere Schmerzresistenz unterstellt wird, sind sie besonders betroffen von Nicht-Hilfe. Aber wenn selbst Ärztinnen und Ärzte dieses Bild vermitteln, wie schwer fällt es dann vermutlich, dagegen zu sprechen?

  • "Schwarze, muslimische oder asiatische Menschen geben laut Bericht jeweils mehr als doppelt so häufig wie der Rest der Bevölkerung an, im letzten Jahr medizinische Behandlungen aus Angst vor Schlechterbehandlung verzögert oder vermieden zu haben."

    Richtig, aber die Auswertung auf S. 146 des Berichts ist doch noch mehr wegen der deutlichen Diskrepanz zwischen den Geschlechtern in den markierten Gruppen auffällig.



    Die tatsächliche (und statistisch signifikante) Diskriminierung beim Zugang wird doch auf S.136-137 dargestellt.



    Kurios: "Zusätzlich wurden weitere Merkmale experimentell variiert: männlicher oder weiblicher Name, Name mit oder ohne Doktortitel (als Signal für Bildung und den sozialen Status), gesetzliche oder private Krankenversicherung sowie der Anlass der Terminanfrage (akute Erkrankung oder Routineuntersuchung)." - und dabei kam heraus, daß für eine Person mit "nicht-deutschem" Namen ein Doktorgrad sogar "schädlich" ist (S. 138)

  • "Arzttermine nach Hautfarbe

    Schwarze, muslimische und asiatische Menschen werden laut einer repräsentativen Studie im Gesundheitswesen deutlich benachteiligt."

    Welche Hautfarbe haben muslimische Menschen?

    • @Questor:

      Sogenannter "antimuslimischer Rassismus" ist eine Besonderheit. Der Islam ist an der Stelle anders als andere Religionen. Zumindest wird er im öffentlichen Diskurs und in den Medien anders behandelt. Warum das so ist, fand ich schon immer rätselhaft.

      Schließlich käme man bei anderen Religionen kaum auf die Idee, Fragen des individuellen Glaubens (=eine persönliche, jederzeit revidierbare Entscheidung) als Merkmal für "Rassismus" zu identifizieren, als gäbe es da äußerliche Merkmale.

      Ich halte diese Sonderbehandlung des Islam für problematisch, weil so eigentlich auch sachlich oder theologisch berechtigte Kritik am Islam sehr einfach als "Rassismus" betitelt werden kann und eine differenzierte Diskussion um echte Argumente gar nicht zustande kommt.