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'Ndrangheta-Prozess in KalabrienMafia-Bekämpfung all'italiana

Gastkommentar von Judith Eisinger und Sandro Mattioli

In Süditalien endet ein historischer Prozess gegen die Mafia und deren Helfer in Politik und Polizei. Wann geht auch Deutschland gegen die Mafia vor?

Beamte und Anwälte bei der Urteilsverkündung beim Mafia-Prozess in Lamezia Terme am 20. November Foto: Valeria Ferraro/ap/dpa

E s ist ein historischer Prozess, der in Kalabrien zu Ende gegangen ist: das Verfahren „Rinascita Scott“ gegen 479 Beschuldigte. Teils wurden lange Haftstrafen gegen Mitglieder der kalabrischen Mafia und deren Kollaborateure verhängt.

Der Prozess hat Signalwirkung. Nicht nur wegen der Gerichtssäle, die extra umgebaut wurden, um für die enorme Zahl an Beteiligten Platz zu schaffen. Sondern auch und vor allem, weil er sich nicht nur auf die direkten Angehörigen der Mafia-Organisation ’Ndrangheta konzentriert und auch Personen aus Politik, Verwaltung und White-Collar-Bereichen auf die Anklagebank zitiert wurden. Sie sind die Gesichter der Grauzone, aus der sich Mafia-Organisationen für ihre schmutzigen Geschäfte bedienen und deren Mangel an Integrität dem organisierten Verbrechen Luft zum Atmen und Raum zum Wachsen gibt.

Wie zu erwarten war, gab es auch einige Freisprüche, vor allem gegen beschuldigte Kommunalpolitiker. Doch im Kern bestätigen die Urteile die Anklage. Die Bosse der Clans aus Vibo Valentia müssen bis zu 30 Jahre in Haft. Der aufsehenerregende Fall des Politikers Giancarlo Pittelli von der Berlusconi-Partei Forza Italia endete mit elf Jahren Haft. Auch gegen Ermittlungsbeamte, die mit der Mafia kooperierten, verhängte das Gericht Haftstrafen.

Sandro Mattioli

sind beide vom Verein „Mafianeindanke“ engagieren sich gegen die organisierte Kriminalität der Mafia in Deutschland und in Europa.

Solche Schuldsprüche sind in Deutschland unbekannt. Dabei betont Nicola Gratteri, der hier die Anklage führte und die ’Ndrangheta wie kaum ein Zweiter kennt, immer wieder, wie wichtig die Bundesrepublik für die ’Ndrangheta ist.

2018 sprach er von mehr als 3.000 Angehörigen verschiedener ’Nndrangheta-Clans in Deutschland. Das BKA nennt auf eine Anfrage von „Mafianeindanke“ eine neue Rekordzahl für 2022: 1.003 Mafiosi leben demzufolge im Land. Das entspricht einer Verdopplung in nicht einmal zehn Jahren.

In Kalabrien wurde die Urteilsverkündung des historischen Mafia-Prozesses live gestreamt. Dort wird die schmutzige Wäsche nicht im Privaten gewaschen, es wird aufgeräumt. Und in Deutschland?

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5 Kommentare

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  • Dass Deutschland Versäumnisse vor allem bei der Geldwäschebekämpfung hat, ist unbestreitbar. Trotzdem ist der letzte Absatz des Kommentars ein Witz. Der Live-Stream eines Urteils im Internet ist kein Zeichen großen öffentlichen Interesses. Wer heute italienische Nachrichtenseiten aufruft, muss ganz schön scrollen, um überhaupt etwas zu diesem Prozess zu finden. Auch im Fernsehen war und ist die EM-Qualifikation der italienischen Fußballer das weitaus größere Thema…

    Erstinstanzliche Urteile haben in Italien zudem nichts mit "Aufräumen" zu tun. Da kann noch viel passieren auf dem Weg durch die Instanzen. Und dass in Italien „schmutzige Wäsche“ neuerdings nicht im Privaten gewaschen wird, lässt sich nur in einer deutschen Zeitung schreiben. Wären die Reformpläne der aktuellen Regierung beispielsweise zur Telefonüberwachung schon durch, hätte dieser Prozess niemals stattgefunden.

  • Och nö, lieber nicht,da bricht doch dann der Wohnungsbau komplett ein.

  • Ja, Deutschland...



    Wohl viel härter im Würgegriff der Mafia, als wir ahnen.



    Letztens rief mein Bankberater an, und fragte, wofür ich denn 5000 Eur nach Costa Rica überwiesen hätte ... Und ob ich das nachweisen könne.



    Wenn man da genauso gründlich bei Millionentransfers der Mafia wäre...

  • Wann geht Deutschland gegen die Mafia vor? Dat wird nix. Wir können keinen Gerichtssaal auftreiben, der groß genug ist, all die Kollaborateure aus Politik und Wirtschaft aufzunehmen. Zudem ist das Vermögen der Beteiligten ein Faktor in unserer Gesellschaft - auch wenn es Blutgeld ist....

  • Hier widerspricht sich die taz selber, einmal so taz.de/Was-ist-Cla...kriminalit%C3%A4t/, jetzt wieder andersherum.