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Hundeführerschein in BremenGeprüfte Herrchen und Frauchen

Nachdem ein Rottweiler ein Kind schwer verletzt hat, führt Rot-Rot-Grün den Sachkundenachweis für Hun­de­hal­te­r:in­nen ein. Rasse spielt keine Rolle.

Egal wie groß und wie gefährlich: Bremen führt nun den Hundeführerschein für alle Rassen ein Foto: Jörg Carstensen/dpa

Bremen taz | Als zweites Bundesland will Bremen einen Sachkundenachweis – auch Hundeführerschein genannt – für alle Hun­de­hal­te­r:in­nen einführen. Dies kündigte die Landesregierung am Donnerstag an, einen Tag, nachdem ein Rottweiler sich an der Weser von der Leine gerissen und ein sechsjähriges Mädchen mit Bissen in den Kopf schwer verletzt hatte.

Geplant war dies ohnehin: Die rot-rot-grüne Koalition hatte dies in ihren im Juni geschlossenen Koalitionsvertrag aufgenommen. Aufgrund des aktuellen Vorfalls vergangene Woche soll das Vorhaben jetzt beschleunigt werden und ein entsprechend geändertes Hundegesetz noch in diesem Jahr vom Parlament beschlossen werden.

Was genau in dem Gesetz stehen soll, ist noch offen, etwa, ob es nur für neu angeschaffte Hunde gelten soll und wie die Umsetzung kontrolliert werden soll.

Erfahrungen gibt es mit dem Thema im Nachbarland Niedersachsen, das bereits 2013 den verpflichtenden Sachkundenachweis für Be­sit­ze­r:in­nen von Hunden aller Rassen eingeführt hat. In vielen anderen Bundesländern gilt dies nur für ausgewählte Rassen, die als besonders gefährlich gelten.

Ob der Hundeführerschein dazu führen kann, dass weniger Menschen oder andere Haustiere von Hunden gebissen werden, wie es Bremens Landesregierung verspricht, ist allerdings unklar. Es gibt in Niedersachsen keine Statistik über Beißvorfälle, aus der sich eine Entwicklung ablesen ließe. In Bremen hatte es bis Oktober 35 Vorfälle gegeben, bei denen Hunde Menschen verletzt hatten. 2021 waren es im ganzen Jahr 60 und 43 im Jahr 2022.

Zweifel am Sinn der Prüfung

Auch eine Evaluation der gesetzlichen Maßnahmen existiert nicht, wie die niedersächsische Landesregierung zuletzt 2020 auf eine Anfrage im Landtag mitteilte. Aufgrund von Erfahrungswerten soll es laut einer Ankündigung im Juni dennoch geändert werden. Dabei geht es aber nur um den Umgang mit als gefährlich eingestuften Hunden. Einen Termin für eine Verabschiedung des Gesetzentwurfs durch das Parlament gebe es nicht, so eine Sprecherin des Agrarministeriums in Hannover.

Nachfragen könnte der Bremer Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) bei Menschen aus der Praxis wie Ralf Rüst. Er ist Vorsitzender der Landesgruppe Ems-Ostfriesland des Internationalen Rasse-Jagd-Gebrauchshundeverbands in Norden. Sein Verein bereitet Hun­de­be­sit­ze­r:in­nen an fünf Abenden auf den theoretischen Teil des Sachkundenachweis vor. Etwa 500 Personen hätten seit 2013 freiwillig den Kurs durchlaufen, um sich so auf die Prüfung vorzubereiten. Vorgeschrieben ist das nicht. Man kann sich das Wissen auch selbst anlesen oder logisch denken. „So schwer ist das nicht“, sagt Rüst.

Dabei ist es aus seiner Sicht nicht entscheidend, wie jemand bei einer Prüfung abschneidet – sondern ob man sich damit auseinandergesetzt hat, was es bedeutet, einen Hund zu halten. „Das machen sich die wenigsten vorher klar“, sagt er, „manche wundern sich sogar darüber, wenn wir ihnen erklären, wie oft sie mit dem Hund zum Laufen rausgehen müssen.“ Auch machten sich nur wenige darüber Gedanken, dass sie sich ein Raubtier zulegen, das sie beispielsweise nicht mit kleinen Kindern allein lassen dürfen. Das gelte auch für kleine Hunderassen, sagt Ralf Rüst, deren Bisse könnten auch gefährlich werden. Und: „Diese Gefahren werden völlig unterschätzt.“

Für eine solche Idee habe ich Sympathien, weil die Eignung des Halters das A und O ist und dass man jedem Vollidioten einen Hund an die Hand geben kann

Ulrich Mäurer (SPD), Bremens Innensenator

Laut Gesetz müssen die Hun­de­hal­te­r:in­nen den Sachkundenachweis vor der Anschaffung eines Hundes erbringen. Doch das käme in der Praxis so gut wie nie vor, sagt Ralf Rüst. „Das haben wir vielleicht drei Mal in zehn Jahren erlebt.“ Die anderen würden geschickt, wenn sie ihre Hunde beim Finanzamt für die Steuer anmelden oder beim niedersächsischen Hunderegister, was seit 2013 ebenfalls vorgeschrieben ist. Je nach Personalausstattung der Ordnungsämter wird kontrolliert, ob die Hun­de­hal­te­r:in­nen ihren Pflichten wirklich nachgekommen sind.

Immer wieder beobachtet Ralf Rüst, dass auch Personen, die durch die Prüfung gefallen sind, ihren Hund behalten dürfen. Zweifel hat er auch am Sinn der praktischen Prüfung. Die muss in Niedersachsen nämlich nicht mit dem eigenen Hund absolviert werden. „Da gibt es dann Prüfer, die stellen ihren eigenen, gut ausgebildeten Hund zur Verfügung.“

Letztlich sei es auch eine Kostenfrage, ob die Hun­de­hal­te­r:in­nen den Sachkundenachweis erbringen. Die Prüfung durch eine Veterinärmedizinerin, die sein Verein anbietet, kostet 120 Euro, andere Anbieter sind etwas günstiger oder teurer. „Das kann für manche zu viel Geld sein.“ Für den Abendkurs seines Vereins werden hingegen nur Materialkosten fällig – für ihn eine effektivere Maßnahme als eine Prüfung, um Menschen für das sichere Leben mit einem Hund vorzubereiten.

Grüne fordern zusätzlich Chip- und Registrierpflicht

Die Bremer Grünen forderten am Freitag zusätzlich zum Sachkundenachweis eine Chip- und Registrierpflicht für Hunde, wie es sie auch in Niedersachsen gibt, um einen Überblick über die Anzahl der Tiere zu haben und Hunde ihren Be­sit­ze­r:in­nen zuordnen zu können. Die praktische Prüfung müsse aber anders als in Niedersachsen mit dem eigenen Hund durchgeführt werden. „Nur so können die Hal­te­r:in­nen zeigen, dass sie mit ihrem Hund umgehen können.“

Deutlicher hatte es Bremens Innensenator Mäurer im vergangenen Jahr in einer Parlamentsdebatte formuliert, als die FDP-Fraktion den Sachkundenachweis zur Pflicht hatte machen wollen: „Für eine solche Idee habe ich durchaus sehr große Sympathien, weil die persönliche Eignung des Halters das A und O ist und dass man jedem Vollidioten einen Hund an die Hand geben kann.“

Darüber hinaus hatten 2021 die Bremer Grünen aus Tierschutzgründen einen Führerschein für alle Haustiere gefordert. Dies allerdings erfolglos.

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1 Kommentar

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  • Weniger Hundebiß-Vorkommnisse wird es wohl nur in sehr geringem Umfang geben. Stattdessen wird es mit ziemlicher Sicherheit eine spürbare Verrringerung der Hundehalter geben.



    Wie soll wohl ein "Sachkundenachweis" erfolgen, wenn dieser Bedingung dafür ist, überhaupt einen Hund zu halten, es sei denn, es ist ein rein theoretischer Nachweis?



    Sinnvoller wäre sicher ein Nachweis der Möglichkeit zur artgerechten Haltung, was aber besonders in Stadtgebieten schon daran scheitern dürfte, daß die Gesetzgebung selbst in Verbindung mit den tatsächlich gegebenen Strukturen die Möglichkeit zur artgerechten Haltung zum erheblichen Teil verhindert.