Ein alter Mann trägt eine weiße Mütze mit russischem blau-rotem Logo

Sergei Kolesnikow bei einem Biathlon­wettbewerb im Dezember 2022 Foto: Alexander Ryumin/TASS/imago

Sanktionen gegen russische Oligarchen:Putins Lieferant

Sergei Kolesnikow besitzt eine deutsche Fabrik. taz-Recherchen zeigen: Er verdient auch am Ukraine-Krieg. Aber warum wird er nicht sanktioniert?

5.11.2023, 16:05  Uhr

Im März 2022 schickt ein Großhändler für Dachdeckerbedarf einen Brief an seine Kunden in Deutschland. Wenige Wochen zuvor hat Russland die Ukraine überfallen. Die Folgen bekommt auch die Baubranche zu spüren. Der Krieg treibe die Energie- und Rohstoffpreise in die Höhe und damit auch die Preise für Baustoffe, schreibt der Großhändler. Er listet auf: Dachziegel 15 bis 20 Prozent teurer, Glaswolldämmung 15 Prozent teurer, Bitumenabdichtungen 12 bis 16 Prozent teurer.

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Der Großhändler hat Maßnahmen ergriffen, auch über die informiert er in seinem Brief: Mehr Baustoffe würden nun gelagert, Preisangebote gälten für eine kürzere Zeit. Und dann folgt ein ungewöhnlicher Satz: „Als unseren Beitrag zu den bereits von den Regierungen verhängten Sanktionen gegen Russland und Belarus haben wir die Geschäftsbeziehungen zur Firma ­Georg Börner Chemisches Werk für Dach- und Bautenschutz GmbH & Co. KG vorerst eingestellt.“

Die Firma Georg Börner sitzt in Bad Hersfeld, einer Kleinstadt in Osthessen. Sie ist auf Dachabdeckungen spezialisiert, genauer auf Bitumenabdichtungen. Das sind jene, die laut dem Schrei­ben des Großhändlers so teuer geworden sind. Bitumen wird aus Erdöl gewonnen. Bei großer Hitze ist es eine zähe Flüssigkeit. Erkaltet kann Bitumen zu Bahnen gewickelt werden. Es wird vor allem im Straßenbau eingesetzt, die Firma Börner produziert damit Dachabdeckungen. Vereinfacht gesagt: Dachpappe.

Seit knapp 150 Jahren werden mit Börners Materialien die Dächer von Wohnanlagen, Fabrikhallen und Kurkliniken bestückt. Bis vor sechs Jahren war das Unternehmen in der Hand der Nachfahren des Gründers Georg ­Börner – ein Familienunternehmen in fünfter Generation. Im Jahr 2017 kaufte sich ein russischer Unternehmer in die Firma ein.

Der Mann heißt Sergei Kolesnikow und ist einer von zwei Inhabern der russischen Baustofffirma Technonicol. Er besitzt die Firma Georg Börner heute zu 100 Prozent.

Sanktionen? Nur in Polen

Technonicol sitzt in Moskau und gehört landesweit zu den größten Herstellern von Bau- und Dämmstoffen. In den vergangenen 20 Jahren hat Techno­nicol sich auch nach Europa ausgebreitet. Nicht nur in Deutschland hat Technonicol eine Firma gekauft, auch in Italien, Schottland, Litauen. Zeitweise war es nach eigenen Angaben der größte Hersteller von Dachabdichtungsbahnen in Europa.

Aber Technonicol liefert nicht nur Material für zivile, unpolitische Bauwerke. Nach Recherchen der taz macht die Firma auch Geschäfte in zwei Bereichen, die für Russlands Krieg in der Ukraine bedeutend sind: beim Bau von Rüstungsfabriken und beim Wiederaufbau der russisch besetzten Gebiete im Osten der Ukraine.

Zwar stecken die Baustoffe von Technonicol nicht direkt in den russischen Bomben, die auf die Ukraine fallen – dafür aber offenbar in den Fabriken und Firmengebäuden der Unternehmen, die Kriegsgerät und militärische Ausrüstung bauen. Und sie stecken in Schulen, Kindergärten und Heizkraftwerken, die Russland in der Ostukraine derzeit errichtet.

Da beendet also ein Großhändler seine Geschäftsbeziehungen zu einer deutschen Firma, weil tausend Kilometer weiter östlich Russland die Ukraine überfallen hat. Und die Europäische Union, die politisch und juristisch die Möglichkeit hätte, dem russischen Bauunternehmer Sergei Kolesnikow die Geschäfte zu erschweren?

Die EU hat Sergei Kolesnikow bis heute nicht sanktioniert. Er darf in der EU reisen, handeln, sein Geld verwalten – nur nicht in Polen. Auch dort war Sergei Kolesnikow an zwei Unternehmen beteiligt. Polen hat Kolesnikow im Sommer sanktioniert und seine polnischen Firmen unter Zwangsverwaltung gestellt. Er kann dort nun kein Geld mehr verdienen. Polen hat das allein entschieden. Das ist ungewöhnlich.

Die taz hat Dokumente ausgewertet, aus denen hervorgeht, wie Sergei Kolesnikow und seine Firmen vom russischen Krieg profitieren. Wie kann es sein, dass er eineinhalb Jahre nach dem Überfall auf die Ukraine in Deutschland und Europa weiter Geschäfte machen kann?

Die EU hat auf den Einmarsch Russlands in die Ukraine mit umfassenden Sanktionen reagiert. Elf Sanktions­pakete hat sie verabschiedet. Darin gelistet sind auch rund 1.800 russische Privatpersonen – Politiker, Militär­angehörige, Geschäftsleute. Sie dürfen nicht nach Europa reisen, ihr Vermögen in Europa wurde eingefroren. „Diejenigen, die Putins Kriegsmaschinerie am Laufen halten“, sagte Kom­mis­sions­prä­si­den­tin Ursula von der Leyen kurz nach Kriegsausbruch, „sollten nicht länger ihrem pompösen Lebensstil frönen können, während Bomben auf unschuldige Menschen in der Ukraine fallen.“

Die Bomben, die heute auf die Ukraine fallen, entstehen auch in Unternehmen, für die Sergei Kolesnikow und seine russische Firma Techno­nicol Baustoffe geliefert hat. Im Auftrag des russischen Staats. Der taz liegen Dokumente vor, die zeigen, dass Technonicol mindestens zwischen 2014 und 2017 russische Rüstungsunternehmen beliefert hat sowie Unternehmen, die neben der zivilen Sparte auch für die Rüstungsindustrie produzieren. In diesen Firmen werden unter anderem Kampfhubschrauber, Atom-U-Boote, Kriegsschiffe und militärisches Elektrogerät entwickelt oder gebaut. Die Dokumente stammen von dem Portal, auf dem Russland seine öffentlichen Ausschreibungen bekannt gibt. Aus Deutschland sind sie nicht einsehbar, man bekommt sie nur, wenn man aus dem russischen Netz auf sie zugreift. Sie zeigen größere und kleinere Aufträge.

Dass Technonicol diese Aufträge ausgerechnet ab 2014 erhalten hat, ist pikant. Anfang 2014 beginnt der Krieg im Donbass: Im März 2014 annektiert Russland die ukrainische Halbinsel Krim, im Osten der Ukraine unterstützt es mit Kriegsgerät und Soldaten die prorussischen Separatisten. Im Mai 2014 bekommt Technonicol den Auftrag, Baumaterialien im Wert von vier Millionen Rubel an die ­Progress ­Arsenyev ­Aviation Company zu liefern, eine Firma in Ostrussland. In dieser Firma wird unter anderem der Kampfhubschrauber Kamow Ka-52 Alligator hergestellt. Er gilt als einer der modernsten Angriffshubschrauber und kommt auch jetzt in der Ukraine zum Einsatz. Ukrainische Medien nennen ihn „Putins Geier“.

Im August 2014 bekommt Technonicol den Auftrag, Dachmaterialien an die Firma Basalt zu liefern. Basalt ist einer der wichtigsten Waffenhersteller Russlands, er gehört zur staatlichen Rüstungsgesellschaft Rostec. In den Fabriken von Basalt werden Bomben hergestellt, die auch über der Ukraine abgeworfen werden. Die EU hat Basalt sanktioniert.

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Die taz hat Sergei Kolesnikow gefragt, warum er diese Unternehmen beliefert hat. Kolesnikow antwortete freundlich, in perfektem Englisch: Mit der Firma Progress sei er keinen Vertrag eingegangen und habe an sie keine Produkte geliefert.

Die Verträge mit den anderen Firmen bestreitet er nicht, schreibt aber, er könne nicht bewerten, ob diese Firmen tatsächlich Rüstungsfirmen seien. Mit der Rüstungsindustrie gehe er keine Geschäfte ein. Alle Aufträge, die seine Firma ausgeführt habe, seien für zivile Zwecke gewesen, nie für militärische oder Dual-Use-Güter. „Wir haben weder den russischen Streitkräften noch anderen aktiven Gruppen im Ukrainekrieg je Produkte verkauft.“

Sergei Kolesnikow stamme aus einer einfachen sowjetischen Familie, so formuliert es eine russische Webseite. Er ist 1972 an der Wolga geboren. Im Jahr 1992, da ist Kolesnikow 20 Jahre alt, gründet er zusammen mit seinem Studienfreund Igor Rybakow Technonicol, eine Firma für Dachmaterialien.

Kolesnikow und Rybakow kaufen in Russland eine Fabrik nach der anderen, Ende der 90er herrschte Goldgräberstimmung in Russlands Baubranche. Der Boom macht Kolesnikow und Rybakow reich. Heute sind beide Mil­liar­dä­re. Forbes führt Kolesnikow mit einem Vermögen von 1,2 Milliarden Dollar auf der Liste der reichsten Menschen der Welt.

Und wer reich ist, hat Einfluss. Sergei Kolesnikow ist Mitglied in verschiedenen russischen Wirtschaftsverbänden. Er ist Teil des Präsidiums der Wirtschaftsvereinigung Business ­Russia. Beim elften Jahresforum von Business Russia, 2019, diskutierte Kolesnikow mit Russlands Präsidenten Wladimir Putin öffentlich die Rolle der russischen Wirtschaft. Fotos zeigen die beiden zusammen auf der Bühne.

Männer in weißen Schutzanzügen hantieren mit Spritzpistolen, hinter ihnen Zuschauer

Deutsche Qualität: Sergei Kolesnikow mit Bauschaum der Marke Börner im russischen Werk Foto: Yegor Aleyev/Tass/imago

Im Dezember 2015 bekommt Sergei Kolesnikow eine Ehrenurkunde für sein Engagement überreicht. Unter dem russischen Staatswappen, dem goldenen Doppeladler auf rotem Grund, steht dort: „Anerkennung für das aktive Engagement von Sergei Anatoljewitsch Kolesnikow, Mitglied im Präsidium des Generalkonsuls der öffentlichen Organisation Business Russia“. Die Urkunde ist von Wladimir Putin persönlich unterschrieben: schwarze Tinte über einem Stempel des Präsidenten der Russischen Föderation. Gegenüber der taz bestreitet Kolesnikow, enge Verbindungen zu Putin zu haben.

„Made in Germany“

Sergei Kolesnikow ist mittlerweile offiziell auch Europäer. Im Jahr 2019 hat er sich die maltesische Staatsbürgerschaft erkauft wie viele russische Oli­gar­chen in den vergangenen Jahren. Auf Zypern besitzt er ein Investmentunternehmen. „Ich bin maltesischer Staatsangehöriger“, schrieb er kürzlich auf Facebook. Bis heute besitzen Kolesnikow und Rybakow jeweils 50 Prozent von Techno­nicol. Zwei Geschäftsmänner, die grundverschieden sind. Igor Rybakow schreibt Bücher, produziert protzige HipHop-Videos, sucht die Öffentlichkeit. Kolesnikow tritt kaum öffentlich auf. Er hat eine Facebook-Seite, auf der präsentiert er sich als moderner Unternehmer.

Er postet Fotos von sich im Sport­outfit auf einem Berggipfel, dazu schreibt er: „Explore, Dream, ­Discover.“ Er schreibt, wie sein Unternehmen Plastikmüll reduziert, und gibt Karrieretipps für junge Leute: „Was würde ich meinem 30 Jahre jüngerem Ich heute empfehlen? Nichts Magisches.“ Er rät, die IT-Sphäre zu entdecken, sich um seine Gesundheit zu kümmern und Englisch zu lernen. Ein Profil wie von einer PR-Agentur angelegt.

Im November 2017 sitzt Sergei Kolesnikow an einem langen Tisch mit rotem Banner mitten in Deutschland. Pressekonferenz in Bad Hersfeld, Hessen. Ein lokales Medium veröffentlicht das Foto und einen Bericht. Kolesnikow ist mit einem Kollegen aus Moskau eingeflogen, um vor der Lokal- und Fachpresse seine Übernahme der Firma Börner zu bekunden. Eine PR-Agentur hat den Termin vorbereitet, es gibt Snacks und Getränke.

„Kräfte bündeln – Visionen verwirklichen“, steht auf dem Banner, hinter dem Kolesnikow sitzt. Darüber die Logos von Börner und Technonicol. Neben Kolesnikow sitzen sein russischer Kollege und Michael Börner, der Firmen­erbe aus Bad Hersfeld.

Sergei Kolesnikow, der weltgewandte Geschäftsmann, spricht russisch. Eine Dolmetscherin übersetzt. Kolesnikow schwärmt vom Qualitätsbegriff „Made in Germany“. Elf Millionen Euro wolle er in Bad Hersfeld investieren, eine neue Produktlinie entwickeln, Arbeitsplätze schaffen, berichtet das Lokalmedium.

Michael Börner, der Firmenerbe, freut sich über den neuen Inhaber. Aber er sagt auch: „Wir sind ein deutsches Unternehmen, und das bleiben wir auch. Wir werden unsere Kultur im Unternehmen nicht verlieren.“

Später wird Michael Börner in einem perfekt inszenierten Werbevideo von Sergei Kolesnikow auftreten und sagen, es sei emotional nicht einfach gewesen, die „Generationsfirmenanteile“ zu verkaufen, „weil man einen Teil seiner Familiengeschichte weitergibt oder weggibt“.

Russland baut in den annektierten Gebieten auf, was es kaputt gebombt hat – und Sergei Kolesnikow liefert die Baustoffe

Sergei Kolesnikow schmückt sich mit dieser Firmengeschichte, auch in Russland. Im Jahr 2019 eröffnet er eine ­Börner-Fabrik in Jelabuga mitten in Russland. „Die 130-jährige Geschichte der berühmten deutschen Marke“ sei nun auch Teil des neuen russischen Börner-Werks, heißt es in einer Pressemitteilung von Technonicol.

Bei der Eröffnung preist Kolesnikow die gute deutsche Qualität, die hohen Standards der Firma Börner. Im russischen Börner-Werk wird Bauschaum hergestellt – und zwar, so wird es 2019 angekündigt, sowohl unter dem Label Börner als auch unter dem Label Technonicol.

Für ein persönliches Gespräch mit der taz hat Michael Börner in diesen Wochen keine Zeit. Aber seine Assistentin beantwortet Fragen per Mail. Das Unternehmen sei damals in einer schwierigen Lage gewesen. Mit der Investition von Herrn Kolesnikow habe man wieder Stabilität erlangen, Arbeitsplätze sichern, das Produktionsangebot ausweiten können.

Davon, dass Technonicol auch die russische Rüstungsindustrie beliefere, wisse man nichts, schreibt Michael Börners Assistentin. Und sie stellt klar: ­Börner stelle keine Produkte für Technonicol her, kaufe keine Rohstoffe aus Russland und liefere auch selbst weder nach Russland noch in die besetzten Gebiete in der Ostukraine. Russland hat einen großen Teil der Ostukraine eingenommen. Orte wie Cherson und Bachmut sind zum Inbegriff der russischen Zerstörung geworden.

Die Bomben der russischen Armee haben aus diesen Städten Trümmerwüsten gemacht. Putin will sie wiederaufbauen, verspricht blühende Landschaften. In Telegram-Gruppen wie „Neues Mariupol“ wird der Baufortschritt bejubelt.

Ein Arbeiter zieht eine Palette hinter sich her, beladen mit Kartons der Firma Börner

Kolesnikov eröffnete auch in Russland ein Werk unter der Marke Börner Foto: Yegor Aleyev/picture alliance

Wer die Berichte in diesen Gruppen und der russischen Presse verfolgt, der findet Spuren von Technonicol überall in den besetzten Gebieten. In Mariupol, der Stadt, die Putins Armee in Grund und Boden gebombt hat, sollen in diesem Jahr 90 neue Bildungseinrichtungen entstehen, berichtet eine russische Nachrichtenseite. Ein Foto zeigt die Baustelle, ein eingerüstetes Haus, davor liegen Pakete gelber Dämmwolle mit dem Aufdruck „Technonicol“. Im vergangenen Herbst berichtet eine andere Webseite vom Wiederaufbau des Heizkraftwerks in Mariupol. Auch hier zeigt ein Bild Paletten voller Technonicol-Pakete vor der Baustelle.

Und auch wer in der Krimregion, in den russisch besetzten Gebieten Donezk und Luhansk Technonicol-Produkte kaufen will, der kann das bei lokalen Baustoffhändlern tun.

Russland baut in den annektierten Gebieten auf, was es kaputt gebombt hat – und Sergei Kolesnikow liefert die Baustoffe. Das bringt gutes Geld ein. Im ersten Quartal 2022, als der Krieg ausbricht, habe sich der Umsatz der Onlineverkäufe verfünffacht, vermeldet Technonicol selbst.

Auf taz-Nachfrage bestreitet Sergei Kolesnikow nicht, dass mit Technonicol-Produkten in der Ostukraine gebaut wird. Aber er stellt klar: „Wir sind kein Bauunternehmen, sondern nur ein Hersteller spezifischer Produkte.“

„Antirussische Stimmung“? Nicht hier

Zurück zur EU und ihrem Versuch, dem russischen Krieg etwas entgegenzusetzen. Diejenigen, „die Putins Kriegsmaschinerie am Laufen halten“, so hatte es die Kommissionspräsidentin der EU, Ursula von der Leyen, formuliert, sollten nicht weiter dem Luxus frönen können. Lässt sich das Geschäft Technonicols als Teil von Putins Kriegsmaschinerie begreifen?

Sergei Kolesnikow bestreitet das vehement. Seine Firma produziere Baumaterialien ausschließlich für zivile Zwecke, schreibt er.

Die Sanktionsbehörden zweier Länder sehen das anders: Polen und die Ukraine haben Kolesnikow bereits sank­tio­niert. Im Alleingang. Für die Ukraine ist das nicht ungewöhnlich, sie ist nicht gebunden an das Vorgehen der EU, der USA oder anderer Staaten. Im Oktober 2022 setzte die zuständige ukrainische Behörde Sergei Kolesnikow auf die Sanktionsliste. Kolesnikow übe kommerzielle Tätigkeiten in Wirtschaftssektoren aus, die eine wichtige Einnahmequelle für die russische Regierung darstellten, so begründet die Behörde ihre Entscheidung.

Ein gutes halbes Jahr später zog Polen nach – als einziger Staat der EU. Polen sanktionierte Sergei Kolesnikow sowie seinen Geschäftspartner Igor Rybakow und stellte die beiden Börner-Gesellschaften in Polen unter Zwangsverwaltung. Polen war ein wichtiger Markt für Technonicol. Die Firma hatte dort mehr investiert als in Deutschland.

Kolesnikow reagierte wütend auf die Entscheidung Polens. Auf seiner Facebook-Seite veröffentlichte er einen Brief an den damaligen polnischen Wirtschaftsminister. Auch gegenüber der taz kritisiert er das aus seiner Sicht unfaire Vorgehen Polens. Dass Polen die Sanktionen allein erlassen hat, hält Kolesnikow für illegal. Er hat dagegen Klage eingereicht vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Er glaubt, dass seine polnischen Konkurrenten die Sanktionierung vorangetrieben haben, um ihm wirtschaftlich zu schaden.

Aus Ländern, in denen es eine „starke antirussische Stimmung“ gebe, werde er sich zurückziehen, kündigte er vor wenigen Wochen in einer russischen Tageszeitung an. Deutschland stehe noch nicht an der Spitze der antirussischen Rhetorik. „Bisher haben wir gesehen, dass wir dort arbeiten dürfen, sodass wir uns in Westeuropa mehr oder weniger sicher fühlen“, sagte er im Zeitungsinterview.

Dass Polen Kolesnikow und seinen Geschäftspartner Igor Rybakow ohne die anderen EU-Staaten sanktioniert hat, verwundert selbst Sanktionsexperten. Eigentlich trifft die EU Sanktionsentscheidungen gemeinsam, so sehen es auch die europäischen Verträge vor. Auf taz-Nachfrage wiegelt eine Sprecherin der EU-Kommission ab: Die EU-Sanktionen würden zwar auf europäischer Ebene beschlossen, umsetzen und kontrollieren müssten sie allerdings die Mitgliedstaaten. „Das bedeutet, dass ein Land auch nationale Sanktionen verhängen kann“, schreibt die Sprecherin.

Wieso ist das aber in diesem Fall überhaupt nötig? Wollten die anderen EU-Staaten Kolesnikow nicht sanktionieren? Konnten sie nicht? Reichten ihnen die Belege nicht?

Wer versucht, darauf eine Antwort zu finden, stößt auf verschlossene Türen. Bis der Name einer Person auf einer Sanktionsliste landet, braucht es viele Beratungen und eindeutige Belege. Einzelpersonen kommen dann auf die Liste, wenn ihnen ein Bezug zum Krieg nachgewiesen werden kann. Der Kriegsbezug kann weit gefasst sein, was heikel ist. Vor den europäischen Gerichten klagen derzeit mehrere russische Oligarchen – einige haben Erfolg. Die EU muss sie wieder von den Sanktionslisten streichen.

Spricht man mit Politikern, die die Sanktionsverfahren gut kennen, verweisen die vor allem auf die Rechtssicherheit. Jede Listung muss so gut begründet sein, dass sie auch vor Gericht standhält. Die Mitgliedstaaten verhandeln untereinander, wer auf die Sank­tions­lis­ten kommt. Der Beschluss muss einstimmig fallen unter allen 27 Mitgliedstaaten.

War Sergei Kolesnikow in diesen Runden bereits Thema? Die Sprecherin der EU-Kommission schreibt auf taz-Nachfrage, die Beratungen seien vertraulich. Nachfrage also beim Auswärtigen Amt. Eine offizielle Antwort gibt die Pressestelle nicht. Aus Kreisen des Amts heißt es aber, Sergei Kolesnikow sei dem Auswärtigen Amt bekannt.

Die Ukraine fertigt jeden Monat Dossiers über russische Oligarchen an, die in der EU noch nicht sanktioniert sind. Diese Dossiers schickt die dortige Behörde an den diplomatischen Dienst der EU. Im September hat die Ukraine das Dossier zu Kolesnikow angefertigt und verschickt. Es liegt der taz vor.

Darin führt die Sanktionsbehörde unter anderem auf, welche russischen Rüstungsunternehmen von Techno­nicol nach 2014 beliefert wurden. Die ukrainischen Beamten kommen zu dem Schluss: „Verträge mit Rüstungsunternehmen und militärischen Gruppen Russlands, die in dieser Zeit geschlossen wurden, sind ein direkter Beleg für die materielle Unterstützung des Kriegs.“ Sergei Kolesnikow sei direkt verantwortlich für das Material und die finanzielle Unterstützung des Kriegs in der Ukraine. Fragt man nach beim diplomatischen Dienst der EU, was aus diesem Dossier wurde, heißt es auch dort: Zu Einzelfällen äußere man sich nicht.

Zurück nach Bad Hersfeld, zur Dachpappenfabrik Georg Börner. Michael Börner, der Geschäftsführer, hat nach Beginn des Kriegs viele Gespräche mit verunsicherten Kunden geführt. Der Dachdeckergroßhändler vom Beginn des Textes war vermutlich nicht der Einzige, der die Geschäftsbeziehungen zu Börner beendet hat. Einige Unternehmen hätten ihn aufgrund der „veränderten geopolitischen Lage“ kontaktiert, schreibt Michael Börner auf taz-Nachfrage. Er habe sorgfältig erklärt, dass die Georg Börner GmbH ein deutsches Unternehmen sei, nach deutschem Recht arbeite und nicht mit russischen Rohstoffen produziere. Damit sei es ihm gelungen, die „überwiegende Mehrheit“ der geschäftlichen und sozialen Beziehungen aufrechtzuerhalten.

Mitarbeit: Anastasia Magazowa, ­Kateryna Reznikowa

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