Annalena Baerbock und Julian Assange: Unbefriedigende elf Seiten
Im Wahlkampf setzte sich die Grüne Baerbock für Julian Assange ein. Als Außenministerin tut sie zu wenig für den inhaftierten Journalisten.
„Gezielte Irreführungen“, hat Hannah Arendt einmal festgestellt, würden wir seit den Anfängen der überlieferten Geschichte „als legitime Mittel zur Erreichung politischer Zwecke kennen“. Ob Bundesaußenministerin Annalena Baerbock Arendts 1972 erschienen Aufsatz „Die Lüge in der Politik“ kennt? Unklar. Ihre Äußerungen zu dem von der US-Regierung verfolgten australischen Journalisten Julian Asssange machen sie dennoch zu einem Paradebeispiel für die Reflektionen von Arendt.
Als grüne Kanzlerkandidatin forderte Baerbock im September 2021 „die sofortige Freilassung von Julian Assange“. Doch als Außenministerin ignorierte sie monatelang Anfragen zu dem seit über vier Jahren in London inhaftierten Gründer der Enthüllungsplattform WikiLeaks. Ein bis dahin ungekanntes Vorgehen eines Bundesministeriums. Der taz liegt jetzt die Antwort eines von Baerbocks Staatssekretären auf eine Kleine Anfrage der Linken-Abgeordneten Sevim Dağdelen vor. Sie zeigt, dass Baerbock wenig tut, um Assange im Kampf um die Freiheit zu unterstützen.
Stella Assange, Anwältin und Frau des seit 2012 von der US-Regierung verfolgten Verlegers, besuchte im April 2023 das taz.lab in Berlin. Dabei wollte sie auch Baerbock treffen, aber so kam es nicht. Stattdessen empfing eine Beauftragte im Auswärtigen Amt die Juristin – unter der Bedingung, dass das Treffen geheim gehalten werden müsse. Dass es auch anders geht, zeigte die Staatsministerin für Kultur, Claudia Roth. Die Grüne ließ sich von Stella Assange über die Lage des prominenten politischen Häftlings informieren und erklärte kurz darauf in einem taz-Interview: „Eine Freilassung von Assange wäre ein gutes und wichtiges Signal für die Pressefreiheit.“
Baerbocks Staatssekretär Thomas Bagger antwortete jetzt auf die Kleine Anfrage von Dağdelen, konkret auf die Frage nach Maßnahmen der Bundesregierung, die Bundesregierung habe „keinen Zweifel daran, dass die britische Justiz rechtsstaatliche Prinzipien anwendet und die Menschenrechte achtet“. Ansonsten äußere man sich zu den Inhalten vertraulicher Gespräche mit anderen Regierungen „grundsätzlich nicht“.
Keine Erkenntnisse
Die 11 Seiten lange Antwort auf 28 Fragen ist kaum befriedigend. Dağdelen wollte wissen, ob die Bundesregierung Kenntnis darüber habe, ob die CIA geplant habe, Assange zu entführen oder zu ermorden, wie Yahoo-News gestützt auf die Aussagen ehemaliger Mitglieder der Trump-Regierung behauptet hat. Die Antwort: Dazu lägen „keine Erkenntnisse im Sinne der Fragestellung vor“.
In der Antwort auf die Frage, ob die Bundesregierung Kenntnisse habe, ob Assange eine faires Verfahren in den USA erwartet, heißt es, es bestünde „aus Sicht der Bundesregierung kein Anlass dazu, an der Rechtsstaatlichkeit und Unabhängigkeit der Justiz in den USA zu zweifeln“. Und das obwohl die US-Anklage gegen Assange, nach der ihm wegen Spionage eine Höchststrafe von 175 Jahren Haft droht, sich auf einen kriminellen Kronzeugen stützt, dem das FBI dafür Straffreiheit zugesichert hat.
Sevim Dağdelen regt sich gegenüber der taz vor allem darüber auf, dass die Bundesregierung den Beschluss des Petitionsausschusses und des Plenums des Bundestags, sie solle sich gegenüber Großbritannien und den USA für die Freilassung von Julian Assange einsetzen, vollständig ignoriere. Dağdelen ärgert sich über Baerbocks Schweigen zu „Washingtons fortgesetztem Angriff auf die Pressefreiheit“.
Die Unterstützer von Assange können sich vielleicht damit beruhigen, dass die deutsche Regierung in diesem Fall keine entscheidende Rolle spielt. Deutlich größeren Einfluss hat Australien, dessen Premierminister Anthony Albanese gerade den US-Präsidenten Joe Biden in Washington besucht hat. Die beiden Länder sind eng miteinander verbunden und bilden zusammen mit Großbritannien, Kanada und Neuseeland die Geheimdienstallianz „Five Eyes“.
Der Labour-Politiker Albanese fordert schon seit 2022, dass der australische Staatsbürger Assange freigelassen wird. „Enough is enough“, sagt er immer wieder; ob er bei Biden etwas für Assange erreicht hat, ist noch nicht klar.
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