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EU Asyl-KrisenverordnungWeg frei für schärferes Asylrecht

Die EU-Staaten verständigen sich auf eine Asyl-Krisenverordnung. Die Regierung zeigt sich erfreut. Kritiker befürchten eine Entrechtung Geflüchteter.

Zeigt sich erfreut: Innenministerin Nancy Faeser winkend im Wahlkampfmodus Foto: Hannes P. Albert/dpa

Berlin taz | Die EU-Staaten haben sich auf eine gemeinsame Haltung zur geplanten „Krisenverordnung“ geeinigt. Man habe sich auf eine gemeinsame Position zu den Vorschlägen der EU-Kommission für einen Krisenmechanismus verständigt, teilte die spanische EU-Ratspräsidentschaft am Mittwoch auf der Plattform X, ehemals Twitter, mit. Damit ist der Weg frei für Verhandlungen mit dem Europaparlament, um das europäische Asylrecht grundsätzlich neu zu regeln.

Die Pläne für ein neues Gemeinsames Europäisches Asylsystem sehen unter anderem vor, Menschen aus Ländern, die als „relativ sicher“ eingestuft werden, künftig härter zu behandeln als bisher. Sie sollen künftig nach einem Grenzübertritt unter haftähnlichen Bedingungen in Aufnahmeeinrichtungen kommen. Dort soll im Normalfall innerhalb von zwölf Wochen geprüft werden, ob der Antragsteller Chancen auf Asyl hat. Wenn nicht, soll er umgehend zurückgeschickt werden.

Die umstrittene „Krisenverordnung“ soll regeln, wie die EU in Ausnahmefällen verfährt. Bei einem besonders starken Anstieg der Fluchtmigration soll etwa der Zeitraum verlängert werden, in dem Menschen unter haftähnlichen Bedingungen festgehalten werden können. Zudem könnte der Kreis der Menschen vergrößert werden, der für die geplanten strengen Grenzverfahren infrage kommt.

Weil die Bundesregierung humanitäre Bedenken vorbrachte, konnte über den Krisenmechanismus wochenlang keine Einigung erzielt werden. Nachdem andere EU-Staaten kleinere Zugeständnisse machten und den Druck erhöhten, gab Berlin in der vergangenen Woche nach. Zuletzt sperrte sich wiederum Italien, das nun aber einem Kompromiss zustimmte.

Schnell, schnell, bevor Europa 2024 wählt

Im Krisenfall seien die Hürden hoch, betont die deutsche Innenministerin Nancy Faeser

Bundesinnenministerin Nan­cy Faeser (SPD) zeigte sich über die Einigung erfreut. „Die Regelungen, die die Krisenverordnung vorsieht, können nur durch einen Beschluss mit qualifizierter Mehrheit der EU-Mitgliedstaaten im Rat und nicht etwa durch einzelne Mitgliedstaaten aktiviert werden. Damit sind die Hürden hoch“, betonte sie.

Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) erklärte: „Die letzten Tage und Stunden haben gezeigt, wie wichtig es ist, bis zur letzten Minute für deutsche und europäische Interessen zu kämpfen. Dass jetzt mit dem Europäischen Parlament die Verhandlungen über das Europäische Asylsystem zügig weitergehen können, ist wichtig.“

Kritisch äußerte sich der deutsche Grünen-Abgeordnete Julian Pahlke. Die Krisenverordnung bedeute „eine weitere Entrechtung Geflüchteter“ und schaffe „mehr Chaos“, sagte er der taz. Der Kanzler habe durch seine Zustimmung, die als „Machtwort“ deklariert wurde, die deutsche Verhandlungsposition geschwächt. Dennoch habe Baerbock noch „wichtige Änderungen“ erreicht.

Nachdem sich die Regierungen der EU-Staaten geeinigt haben, soll nun schnellstmöglich eine Verständigung mit dem Europaparlament erzielt werden. Die Zeit drängt angesichts der Europawahl im Juni 2024. Projekte, die bis dahin nicht ausgehandelt sind, könnten anschließend wieder infrage gestellt werden.

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5 Kommentare

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  • Einfach fürchterlich!



    Der Grundgedanke eines Vereinigten Europas war einmal Frieden und Völkervrstandigung.

    Dann würden diese ideale von Kapitalisten okkupiert und die Prämisse würde:"Wer mit einander Handel treibt, schließt nicht aufeinander"



    Das hat zwar leidlich funktioniert, hatte aber zur Folge, dass die EU zu einem rheinen Wirtschaftsgebilde ohne ethische Grundlage verkam.

    Und nun ist es soweit, das wir Hilfesuchende Menschen ins Gefängnis stecken. Männer , Frauen und Kinder! Ohne Straftat, ohne Richter. Ich bin Fassungslos!



    Und dann diese absichtliche Unklarheiten. Haftähnlich?! Was soll das bedeuten? Und nach wessen Standart haftähnlich? Wie Norwegen oder wie Ungarn?

    Und wann kann der Krisenmodus ausgerufen werden? Und von wem? Und wie lange geht die Haft ohne Straftat dann?



    Warum sagt das keiner?

    Das ist weit weg von den Menschenrechten. Das ist nicht mehr mein Europa!

    • @----------:

      "Das hat zwar leidlich funktioniert, hatte aber zur Folge, dass die EU zu einem rheinen Wirtschaftsgebilde ohne ethische Grundlage verkam."

      Ich denke da bringen Sie den Zeitablauf doch arg durcheinander. Der Vor-vorläufer der EU war die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (Montanunion), die nur als reines "Wirtschaftsgebilde" konstruiert wurde. Den ethischen Überkopf hat erst sehr viel die EU draufsetzen wollen, dieser wird und wurde aber noch nie von allen Mitgliedsstaaten in gleichem Maße gelebt oder sogar gewünscht. Von daher ist eine Rückkehr zu den Wurzeln gar kein so weiter Weg.

  • Wird in Summe den Migrationsdruck kaum verringern. Es gibt weder diese haftähnlichen Anstalten, noch lassen sich diese in kurzer Zeit bauen.

    Der Schlüssel liegt in unattraktiven Aufenthaltsbedingungen und Sozialsystem. Arbeitspflicht, Karte mit der sich nur Lebensmittel und Klamotten kaufen lassen,….

  • Was fünf Millionen europäische Geflüchtete nicht einmal im Ansatz in den Köpfen der Menschen und Verantwortlichen erzeugten, das lösen 120000 Menschen aus Afrika und Asien aus: Sie sehen sich im "Notstand", und das, was sie wirklich empfinden, ist ein "Rassennotstand", um das böse und unwissenschaftliche Wort zu verwenden. Das Problem derjenigen, die jetzt das Asylrecht de facto abschaffen und sehr viel Leid, Schmerz und Tod verursachen, ist, dass die 120000 Geflüchteten keine weißen Europäer:innen sind.

    Rassismus hat insofern das Zepter in der EU als Leitlinie übernommen. Niemand, der politisch Relevanz hat, hat sich versucht, sich dem entgegenzustellen. Im Gegenteil, diejenigen, die sonst vorgaben, Geflüchtete schützen zu wollen, haben die Schutzmauer niedergerissen, indem sie sich auf den rassistischen Dialog eingelassen haben.

    Zu hoffen ist, dass wenigen, die dies anders sehen (Teile der Linken, echte Grüne, Klimaschutzbewegung) sich jetzt in Listenform verbünden, um denen das Wasser aus ihren tödlichen Segeln zu nehmen, die von vielen nur noch gewählt werden, weil sie es schaffen, sich als kleineres Übel zu präsentieren. Sie haben den Anfängen nicht gewehrt und sind damit ebenso verantwortlich für die nun kommende Barbarei wie alle anderen.

    • @PolitDiscussion:

      Wer sagt denn, wir Klimabewegten hegten in Sachen Asyl etwas? Leider ist das nicht so. Es wird höchste Zeit, dass wir dahingehend Solidarität zeigen -- tatkräftig und nicht nur in Kommentarfeldern.