Gang-Kriminalität in Haiti: Eingriff in die Gewaltspirale
Unter Führung kenianischer Polizisten soll eine Eingreiftruppe die Gangs in Haiti unter Kontrolle bringen. Die Opposition kritisiert das Vorgehen.
Die internationale Intervention scheiterte bislang auch daran, dass sich kein Land fand, das die wackelige Unternehmung leiten sollte. Die US-Regierung hatte versucht, Kanada zu überzeugen, das dankend ablehnte.
Die kenianischen Polizeikräfte, die nun die Mission mit 1.000 Mann anführen sollen, waren vor wenigen Wochen in Haiti, um die Voraussetzungen einer möglichen Mission zu klären. Ihre Gespräche konzentrierten sich auf Regierungsmitglieder und die Polizei. Aus Kreisen der Zivilgesellschaft und der politischen Opposition rief das große Kritik hervor.
Premierminister Ariel Henry verfügt nämlich nur über eine fragwürdige Legitimation. Er wurde nach der bis heute nicht aufgeklärten Ermordung des Präsidenten Jovenel Moïse im Juli 2021 in Absprache mit der internationalen Core-Group, der unter anderem die USA, Deutschland und die EU angehören, eingesetzt – aber nie parlamentarisch oder durch Wahlen legitimiert.
Dem Premier werden Verbindungen zu Gangs nachgesagt
In den zwei Jahren der Präsidentschaft von Henry hat sich die Situation in Haiti dramatisch entwickelt. Gangs, die mit schweren Waffen ausgestattet sind, kontrollieren große Teile der Hauptstadt Port au Prince und strategische Zugänge zu den wichtigsten Häfen und Versorgungswegen. Etwa 200 bis 300 verschiedene Gruppierungen agieren mit äußerster Brutalität gegen die Zivilbevölkerung. Im August dieses Jahres vertrieben sie über 20.000 Menschen aus den armen Stadtteilen Carrefour-Feuilles und Savane Pistache. Seit Januar dieses Jahres wurden bereits 2.400 Menschen getötet, auch Kidnapping und Vergewaltigungen sind Alltag geworden.
Genauso wie beim Erdbeben 2010 verlassen Tausende die Hauptstadt und kehren an ihre Heimatorte zurück – in der Hoffnung, dort sicher zu sein. Sie stellen sich aber die Frage, wie lange es dauert, bis die Gangs auch in der Provinz zum entscheidenden Faktor werden. Die Intervention unter Führung Kenias wird man in Haiti also durchaus mit der Hoffnung verbinden, den Kreislauf der Gewalt zu durchbrechen.
Pierre Espérance, Direktor des Menschenrechtsnetzwerkes RNDDH, ist allerdings skeptisch. Er fürchtet, die Ergebnisse der Intervention könnten noch schlechter sein als die der bewaffneten UN-Mission Minustah von 2004 bis 2017. Deren Bilanz wird vor allen Dingen wegen des von ihr verursachten Cholera-Ausbruchs mit 10.000 Toten sehr kritisch gesehen. Minustah kostete mehrere Milliarden Dollar und konnte die Gang-Gewalt nie ganz unter Kontrolle bringen. Zudem hat die kenianische Polizei wegen ihrer Menschenrechtsverletzungen keinen guten Ruf.
Dass der nun mit der Intervention gestützte Premierminister Henry wie viele andere haitianische Politiker in Verbindung zu einzelnen Gangs steht, ist nachgewiesen. In der Nacht der Ermordung des Präsidenten stand er zudem in ausführlichem telefonischen Kontakt mit den wahrscheinlichen Drahtziehern. Die Intervention unter Führung der Kenianer könnte – so fürchten viele – den Bock zum Gärtner machen.
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