Oslo will Tiefseebergbau erlauben: Wie tief will Norwegen noch sinken?
Norwegens Regierung plant die Freigabe des Tiefseebergbaus vor seinen Küsten. Umwelt- und Meeresschutzinitiativen protestieren.
Vom Nordatlantik bis zur Arktisinsel Spitzbergen in der Barentssee will Oslo ein Gebiet von 282.000 Quadratkilometern des Festlandsockels – vergleichsweise drei Viertel der Fläche Deutschlands – für die „Gewinnung von Mineralien auf dem Meeresboden“ freigeben. Kupfer, Nickel, Kobalt und andere Mineralien wie seltene Erden sollen abgebaut und das Land so „weltweit führend im fakten- und wissensbasierten Management von Meeresbodenmineralien“ werden, wie es in einem Weißbuch der norwegischen Regierung heißt.
In einem gemeinsamen offenen Brief fordern jetzt über 30 Umwelt- und Meeresschutzorganisationen, darunter Greenpeace, WWF und die Deepsea Conservation Coalition den norwegischen Regierungschef Jonas Gahr Støre auf, diese „alarmierenden Pläne“ zu stoppen. Diese seien angesichts der Tatsache, „dass bis zu 10 Millionen Arten in der Tiefsee leben könnten, von denen die meisten noch entdeckt werden müssen“, und speziell „die hohe Arktis ein Lebensraum von internationaler Bedeutung ist und wichtige Meeresarten beherbergt“, nicht zu verantworten.
Weniger als ein Prozent wurde bisher kartiert
Oslo wird daran erinnert, dass der UN-Hochkommissar für Menschenrechte vor den Risiken „systemischer Schäden“ und den Folgen für die Lebensgrundlagen, die von diesen Ökosystemen abhängen, gewarnt hat und Meereswissenschaftler den irreversiblen Verlust der biologischen Vielfalt und das Risiko einer Störung des Kohlenstoffkreislaufs in den Tiefseeökosystemen befürchten.
Konkret ist bislang weniger als ein Prozent der Fläche, die Norwegen für den kommerziellen Tiefseebergbau freigeben will, von ForscherInnen kartiert worden. Norwegens Regierung und Parlament, wo jetzt das weitere Vorgehen diskutiert und die endgültige Entscheidung über die Tiefseebergbaupläne fallen soll, wissen daher praktisch nichts über die Ökosysteme, die man dem industriellen Mineralienabbau öffnen will.
„Unser Wissen ist völlig lückenhaft und trotzdem wollen wir große Bereiche des Meeresbodens zerstören und die Lebewesen dort töten“, wundert sich Lise Øvreås, Professorin für Marine Mikrobiologie an der Universität Bergen: „Die Meeresböden haben Tausende von Jahren gebraucht, um sich zu bilden. Schäden würden in ähnlichen Zeiträumen irreparabel sein.“
Auch Firmen beteiligen sich am Protest
Die an der Protestaktion beteiligten Organisationen weisen darauf hin, dass sie mit ihren Bedenken keineswegs allein stehen. So hätten sich bereits rund zwei Dutzend Länder, darunter Deutschland, Frankreich, Spanien und Norwegens Nachbarn Schweden und Finnland für ein Verbot oder zumindest ein Moratorium für entsprechende Aktivitäten ausgesprochen. Firmen wie Samsung, Volvo, Scania, BMW oder der E-Autobatteriehersteller Northvolt haben sich verpflichtet, in ihren Produkten keine durch Tiefseebergbau gewonnene Mineralien verwenden zu wollen.
Oslos Argument, dass die Welt diese Mineralien dringend für die „green transition“ brauche, sei nur vorgeschoben, wird der Regierung von Gahr Støre vorgeworfen. „Das Narrativ, dass der Tiefseebergbau für die Erreichung unserer Klimaziele unerlässlich und damit eine umweltfreundliche Technologie sei, ist irreführend“, erklärte Michael Norton, Direktor des Umweltprogramms des European Academies Science Advisory Council (EASAC), einem Zusammenschluss nationaler Wissenschaftsakademien von EU-Mitgliedsstaaten, in einem Aufruf: „Der Tiefseebergbau würde nicht viele der kritischen Materialien liefern, die für den grünen Wandel und andere Hightech-Sektoren benötigt werden. Darüber hinaus können die Recyclingquoten erheblich verbessert werden, und zukünftige technologische Innovationen wurden in den Prognosen nicht ausreichend berücksichtigt.“
Wissenschaftler bitten um Innehalten
Eine aktuelle EASAC-Studie fordert die Politik daher auf, die langfristigen Folgen ihrer Entscheidungen gründlich zu bedenken. „Wir sollten innehalten und nachdenken, anstatt vorschnell eine Entscheidung zu treffen, die wir später bedauern werden“, lautet auch der Appell von Peter Haugan, Direktor des Instituts für Meeresbiologie an der Universität Bergen: „Der Ozean war der Ursprung des Lebens auf der Erde. Bei seiner so großen biologischen Vielfalt wäre es leichtsinnig, in den Tiefseebergbau einzusteigen und diese für unser Überleben so wichtigen Ökosysteme zu zerstören.“
Norwegen ist Mitglied des Ocean Panel, das sich verpflichtet hat „die Gesundheit unserer Ozeane zu schützen und wiederherzustellen“ und „den Reichtum der Ozeane für künftige Generationen zu sichern“. Jonas Gahr Støre ist Co-Vorsitzender des Gremiums. Sollte Oslo seinen nun eingeleiteten Erschließungsprozess nicht stoppen und ein weltweites Moratorium für den Tiefseebergbau nicht unterstützen, solle das Land konsequent sein und dieses Panel verlassen, heißt es in dem offenen Brief an Norwegens Regierungschef.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Vieles deutet auf radikal-islamfeindlichen Hintergrund hin
Keine Konsequenzen für Rechtsbruch
Vor dem Gesetz sind Vermieter gleicher
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen