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NS-Gedenkstätte macht dichtKein Erinnern am Stalag 326

In Gütersloh verhindern CDU, Freie Wähler und AfD die Finanzierung einer NS-Gedenkstätte. Die muss nun schließen.

Zwangsarbeiter in Stukenbrock-Senne nach ihrer Befreiung am 22. April 1945 Foto: Reinhard Schultz

Berlin taz | Wegen fehlendem Geld für den Betrieb und den Ausbau hat am Wochenende in Ostwestfalen die Gedenkstätte in einem ehemaligen Kriegsgefangenenlager der Nazis geschlossen. „Alles ist erst mal den Bach runter“, sagte Olaf Eimer vom Verlag für Regionalgeschichte in Gütersloh am Sonntag der taz. Am vergangenen Montag hatte eine Mehrheit aus CDU, der örtlichen Freie-Wähler-Vereinigung und der AfD die anberaumte Finanzierung von 400.000 Euro im zuständigen Kreistag blockiert.

Das Lager Stalag 326, in dem Schätzungen zufolge 60.000 sowjetische Gefangene wegen katastrophaler Lebensbedingungen starben, sollte mit Bundesmitteln zu einer großen Gedenkstätte ausgebaut werden. Wegen der nun nicht bewilligten Gelder von vor Ort droht das Vorhaben zu scheitern.

Seit 1993 organisiert eine zivilgesellschaftliche Initiative das Gedenken an die Gräuel der Nationalsozialisten in dem Lager nahe dem ostwestfälischen Ort Stukenbrock. Doch statt wie geplant das 30-jährige Jubiläum des eigenen Engagements zu begehen, macht der Verein bis auf Weiteres dicht. „In der jetzigen Situation ist keinem zum Feiern zumute“, heißt es in einer Erklärung des Vorstands. Die Gedenkstätte werde „geschlossen, um in Ruhe die Lage zu sondieren und über die Konsequenzen des Kreistagsbeschlusses nachzudenken und zu prüfen, ob sie überhaupt noch weiter in Betrieb bleiben kann“.

Der Verein zeigte sich „schockiert“ über die Entscheidung der Gütersloher CDU-Fraktion sowie der Freien Wähler und der AfD. 2015 hatte eine Rede des damaligen Bundespräsidenten Joachim Gauck den Anstoß für den Ausbau der Gedenkstätte gegeben. Es sei zu befürchten, dass die Bundesförderung in Höhe von 25 Millionen Euro nach dem Kreistagsbeschluss nicht mehr zur Verfügung stehen werde, erklärte der Förderverein. „Damit wäre die Neukonzeption der Gedenkstätte endgültig gescheitert, sollte sich nicht noch kurzfristig eine politische Lösung finden.“

Aus Berlin kam am Sonntag Kritik von Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne). Sie sprach von einem gefährlichen Präzedenzfall, „wenn die Gütersloher CDU mit Unterstützung der AfD die Finanzierung einer wichtigen Gedenkstätte stoppt und damit deren Schließung riskiert“. Sie werde die Verantwortlichen auf der Landesebene und der kommunalen Ebene zu einem klärenden Gespräch bitten, erklärte die Grünen-Politikerin.

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17 Kommentare

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  • Es ist ganz einfach. Das Projekt ist überdimensioniert geplant, ohne Rücksicht auf die lokalen Möglichkeiten.

    Der Kreis hätte 460.000 Euro im Jahr an Betriebskosten zahlen müssen, 12 von 13 Gemeinden haben gesagt, das können sie nicht.

    Man kann das Geld auch nur einmal ausgeben.

    • @u62:

      Und man sollte die Frage stellen wie die "wehrhafte Zivilgesellschaft" reagiert hätte, wenn die AfD das Projekt mit ihren Stimmen unterstützt hätte. In der Brandmauer-Theorie hätte man es ja dann komplett zu Grabe tragen müssen.

      • @SeppW:

        das wäre schön, wenn die AgD die Brandmauer durch ihr Abstimmungsverhalten überflüssig machen würde!

    • @u62:

      Nach meiner Information kann allein Verl das für alle stemmen!

  • 6G
    655170 (Profil gelöscht)

    Da kann man sehen, was diese Gesellen von Erinnerungskultur und Respekt vor der von Deutschen geschundenen und ermordeten in der Nazizeit halten.



    (Dabei gilt: Wer Nazis wählt, ist ein Nazi!)



    Das ist die Schwamm-drüber-Mentalität rechtsrechter "CD"U-Vertreter, der (von sich selbst) so genannten FW und der AfD-Clique.



    Da hat sich jetzt auch in Gütersloh gefunden, was offensichtlich zusammengehört.



    Und (mindestens) die Mehrheit der "CD"U - wenn nicht gar alle - hat mitgemacht.



    Viel mehr Schande geht nicht.

  • Was kann man/frau tun, um die Gedenkstätte aufrecht zu erhalten und zu fördern? Wie soll das Engagement für Demokratie und "Nie wieder"-Verständnis gefördert werden, wenn diese wichtige Gedenkstätte (und andere?) geschlossen wird?

  • Am Anfang der Finanzierungskontroverse stand eine Planstudie, in die "irgendjemand" den Wunsch eingebaut hatte, die erweiterte Gedenkstätte solle ein antikommunistisches Mahnmal beinhalten.

    Das wurde, als es rauskam, vehement kritisiert.

    Federführend für den geplanten Geschichtsrevisionismus:

    Elmar Brok (CDU).

    Daher vermutlich die Ablehnung durch die "Christ""demokraten".

    • @Ajuga:

      Vielen Dank für diese interessante Information!

      Bestimmt wurde von den Kritiker*innen schon alles gesagt. (,,Das wurde, als es rauskam, vehement kritisiert.").

      Trtozdem würde ich von Herrn Brok gern wissen, welche ,,Message" das Mahnmal dort seiner Meinung nach senden sollte: Sowas wie ,,Der Nationalsozialismus war nur die Antwort auf den Kommunismus" ?!

      Man kann den Kommunismus ja ablehnen und bekämpfen, aber doch nicht zusammen mit dem Nationalsozialismus, in Form EINER Gedenkstätte an einem der größten historischen Ort der skrupellosen nationalsozialistischen Ausbeutung und ,,Vernichtung durch Arbeit", des angeblichen ,,Untermenschen", für den eigenen Profit.

      Die identitäre Bewegung würde sich über diesen Brok'schen Geschichtsrevisionismus und ,,WhatAboutism" freuen... Es muss doch allen klar werden und sein, dass die Einteilung in ,,Über-'' und ,,Untermenschen'' zum Kern des Problems des Rechtsradikalismus, Rassismus und Antisemitismus gehört!

      Oder ging es Herrn Brok darum, genau dies zu verhindern?! Das mag man trotz harscher Kritik an ihm kaum glauben! www.telepolis.de/f...erlin-3410748.html

      Herr Brok ist in Verl geboren, ein Ort, der seit Jahrzehnten nicht weiß wohin mit seinem Geld - Hauptsache es fließt am Ende des Jahres nicht solidarischer Weise in den kommunalen Finanzausgleich!!

      Wenn man WOLLTE: Man könnte sich die Betriebskosten der Gedenkstätte leisten UND eine antikommunistische Bildungsstätte finanzieren, was zum Beispiel in Hohenschönhausen schon geschieht oder z.B. im Geburtsort von Jürgen Fuchs (Vogtland: de.wikipedia.org/w..._(Schriftsteller)) sinnvoll wäre.

  • Laut WDR 5 wurde seit sieben Jahren an diesem Projekt gearbeitet und auch parteiübergreifend bereits zusgestimmt:

    ,, ..jetzt schert die CDU-Fraktion im Gütersloher Kreistag aus. Fraktionschefin Birgit Ernst meint, 460.000 Euro pro Jahr aus der Kreiskasse seien zu viel, 200.000 würden reichen. Und dann lässt sie durchblicken, was sie antreibt: "Viele Bürger signalisieren uns, dass sie das nicht wollen. Sollen wir riskieren, dass sie zur AfD abwandern?" Überhaupt sei das Projekt viel zu teuer. Zehn, 15 Millionen, mehr solle die Gedenkstätte nicht kosten.'' ''

    www1.wdr.de/nachri...ng-streit-100.html

    Jetzt setzt sich eine private Initiative mit einer Online-Petition für den Ausbau von "Stalag 326“ ein:

    ,,Dass der Kreistag Gütersloh die geplante Beteiligung an den Betriebskosten des Projekts in Schloß Holte-Stukenbrock abgelehnt habe, sei "eine Bankrotterklärung an eine freiheitlich-demokratische Erinnerungskultur", heißt es in der Petition. Über 500 Menschen haben bereits unterschrieben. Sie fordern den Kreistag auf, über die Finanzierung der Gedenkstätte neu zu beraten. ''

    www1.wdr.de/nachri...uetersloh-100.html

    Hier gehte es zur Petition:

    www.change.org/p/s...nne?redirect=false

  • Rechtes Pack.

  • 3G
    31841 (Profil gelöscht)

    Sechzigtausend sowjetische Kriegsgefangene wegen der "Lebensbedingungen" "gestorben". - Passt zu: "Unsere Vorfahren waren keine Verbrecher".

    Warum ist christlichen Politikern die Erinnerung an Schuld so unerheblich, anscheinend geradezu unerträglich? Die Vergebung von Schuld ist nach christlichem Glauben an Bekenntnis von Schuld gebunden und wird dadurch möglich. Ohne Gegenverrechnung mit der Schuld der Anderen. Gut so als Hilfe, um - wenn ehrlich - selbst zur Menschlichkeit zurück finden zu können. Umso trauriger, dass sie das - aus der Perspektive ihres eigenen Glaubens betrachtet - verunmöglichen wollen. Was soll dadurch besser werden, wenn mit dieser Gesinnung allgemein Politik gemacht wird?

    Ein großer Bildungskonzern, der sich der Humanität verpflichtet gibt, hat in der Region seinen Sitz, beansprucht damit Einfluss auf die Entwicklung der Kultur und macht Gewinne, mit denen diese Bildungsstätte locker "verdienstvoll" gefördert werden könnte ... Mal dort anklopfen?

  • "Der Verein zeigte sich „schockiert“ über die Entscheidung der Gütersloher CDU-Fraktion sowie der Freien Wähler und der AfD."



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    Peinlich im Wahlkreis von Ralph Brinkhaus und in der Nachbarschaft von Carsten Linnemann. Fremdschämen für Westfalen! In der Merkel-Ära hätte ich noch andere Einstellungen und Umsetzungen unterstellt, auch mehr Respekt vor den Opfern. Der Vorsitzende aus Brilon in Südwestfalen ist auch praktisch nah dran, zumindest räumlich, es geht ihm ja häufig um Signalwirkungen von Äußerungen. Hier wäre eine eindeutige, zunächst verbale Abgrenzung zur AfD obligat.

  • Besonders dramatisch: Es waren sowjetische Gefangene, die dort umgekommen sind.

    • 6G
      684652 (Profil gelöscht)
      @Frankenjunge:

      Warum ist ausgerechnet der Aspekt der Sowjets besonders dramatisch?

      • @684652 (Profil gelöscht):

        Oft wird die Rote Armee nur mit Russland assoziiert, die vielen nicht russischstämmigen Toten, also auch Kriegsopfer der Teilrepubliken, werden oft, dabei in erster Linie unabsichtlich oder unwissentlich, "unterschlagen".



        /



        "Veteranen des Zweiten Weltkriegs



        Die vielen Gesichter der Roten Armee



        26. April 2015, 9:28 Uhr



        Kirgisen, Turkmenen, Armenier - Soldaten aus 15 Volksgruppen kämpften in der sowjetischen Armee gegen Nazideutschland. Noch lebende Veteranen werden überall geehrt, doch manch frühere Teilrepublik versucht von Russland abzugrenzen."



        /



        www.sueddeutsche.d...en-armee-1.2446164



        /



        Warum wir das nicht vergessen dürfen:



        /



        „Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung“, so formulierte Bundespräsident Richard von Weizsäcker im Jahr 1985. Seine Rede markierte einen Wendepunkt in der deutschen Erinnerungspolitik. Doch sie offenbarte auch Ambivalenzen im Umgang mit der NS-Diktatur."



        /



        Aus deutschlandfunkkultur.de



        /



        www.tagesschau.de/...-wortlaut-101.html

        • @Martin Rees:

          entschuldigen Sie bitte die nervige Rückfrage, aber meinte Herr Mayer nicht vielleicht einfach: ,,selbst wenn es ,,nur" ,,Sowjets'' waren, so waren es doch MENSCHEN"?! Die aber nicht wie Menschen behandelt wurden, und zwar von Unmenschen?!