Ausstellung „#nichtmuedewerden“: Willkommen im Widerstand
Ist Kunst noch Kunst, wenn sie politisch ist? Das Museumsquartier Osnabrück fordert in seiner Jubiläumsausstellung zum Mitdenken und Mithandeln auf.
Der Prolog ist wild. Ein Glasgang, durch jähe Textsplitter und graffitihafte Cartoonskizzen zur Agitativzone verfremdet, führt uns vor einen Klotz aus Beton, in den sich Finger gekrallt haben, Fäuste gebohrt, Füße gerammt. Wut entlädt sich hier, Verzweiflung, Aufbegehren.
Dan Perjovschi fetzt in seinem „Osnabrück Drawing“ Dutzende harter, bissiger, düsterer und sarkastischer Motive auf die Fensterflächen, minimalistisch und spontan. Eine Predator-Drohne, die nach Zielen späht, wird zum „New Angel“. „Populists have weird haircuts“, lesen wir da, und „Art is permanent“, der Rest des dritten Wortes desillusionierend verwischt. Bomben fallen, Totenköpfe starren uns an. Zwei Kampfpanzer sind ineinander verkeilt, „Fathers“ steht daneben, ihre Ketten zermalmen Kinder.
Ist der Schreibstift eine stärkere Waffe als die Pistole, der Künstlerpinsel mächtiger als das Sturmgewehr? Viel Hoffnung macht uns Perjovschi nicht. Obwohl: Am Kopfende des Gangs, über dem zermarterten Beton der „Resilience of the 20%“ von Cassils, einem Verweis auf die Gewalt gegen trans Menschen und Gender-Nonkonforme, schreibt er: „Felix is alive!“
Die Sonderausstellung „#nichtmuedewerden – Felix Nussbaum und künstlerischer Widerstand heute“ des Museumsquartiers Osnabrück (MQ4) ist hochpolitisch. Gezeigt wird sie aus Anlass des 25-jährigen Bestehens des Nussbaum-Hauses, einst von Daniel Libeskind als kühne Skulptur „ohne Ausgang“ erbaut, als Mahnmal für ihren Namensgeber. Felix Nussbaum, ein jüdischer Maler der Neuen Sachlichkeit, wurde 1944 im KZ Auschwitz ermordet.
Nussbaums Bilder treten in „#nichtmuedewerden“ in einen feinnervig inszenierten Dialog mit 21 internationalen KünstlerInnen der Gegenwart. 46 Positionen umfasst die Schau, von Adrian Paci bis Rachel Whiteread, von Carrie Mae Weems bis Francis Alÿs.
Der Titel geht auf ein Wort Nussbaums zurück, auf seine Hoffnung auf die Kraft der Kunst, die Identität verleiht, Wirkmächtigkeit und gedankliche Freiheit, die selbst zivilisationsfernste Repressalien überdauert. Es geht um Gewalt und Inhumanität in dieser Schau, aber auch um Vielfalt und Verständigung. Es geht um Widerstand durch die Kunst, in der Kunst.
Osnabrücks Kultusdezernent Wolfgang Beckermann wird sehr deutlich, wenn er beschreibt, gegen was Haus und Schau antreten: gegen das „Wiedererstarken des Rechtsextremismus“, gegen Intoleranz und Ausgrenzung. „Wir sind mit einer politischen Gemengelage konfrontiert, die ich mir vor wenigen Jahren nicht hätte vorstellen können“, sagt er kämpferisch, emotional.
Es gibt Kunstschauen, die sich in Historisierung genügen, in werkstofflicher Avantgarde, in selbstreferenziellem L’art pour l’art. Die Künstler, die uns hier zum Mitfühlen aufrufen, zum Mitdenken, zum Mithandeln, fordern uns Haltung ab, so direkt wie symbolistisch, in Videos und Texttapeten, Fotos und Digitaldrucken, Skulpturen aus Kautschuk und Neopren, Motorrad-Rückspiegeln, Schaum und Vinyl, Stahl.
Eine der krassesten Stationen ist Nasan Turs Installation „Backpacks“. Fünf Revoluzzer-Tragegestelle, aktionsfertig gepackt, vom Bolzenschneider bis zum Megafon, von der Sprühdose bis zum Fernglas, vom Rednerpodest bis zum Wasservorrat. Man kann sie sich ausleihen, mit aus dem Museum nehmen, als Aktivist. Sie konfrontieren mit bohrenden Fragen: Was würde ich auf das leere Banner schreiben? Was würde ich ins Mikro brüllen, wo, gegen wen? Stark ist das, gewagt. Weiter kann man Partizipation nicht treiben.
Auch Ai Weiweis legendäre „Illumination“ ist stark. Das Handy-Selfie zeigt ihn in einem Aufzug, wie er von der Polizei zu einer Anhörung abgeholt wird – anschließend wurde Ai Weiwei brutal misshandelt.
Ariel Reichmans blendend helle Steinhaufen-Installation „Hold me“, ein Verweis auf das Körpergewicht des Künstlers, lädt zum Betreten und Berühren ein. Wer einen Stein in die Hand nimmt, befreit Reichman dadurch imaginär von Lasten des Lebens. Aber wer auf die Steine zugeht, hat direkt zuvor Yael Bartanas verstörende Neon-Leuchtschrift „Next Year in New Jerusalem“ gesehen, und da liegt es nahe, zugleich an die Intifada zu denken, den palästinensischen Krieg der Steine.
Solche Verschränkungen, oft unterschwellig, zuweilen drastisch, als Werk im Werk, sind eines der Hauptmerkmale der Schau. Mona Hatoums schwebender Würfel „Impenetrable“ etwa, aus Stacheldrahtstäben: Unweit davon ist Nussbaums „Kauernder Gefangener“ zu sehen, hinter Stacheldraht. Und „The Eyes“ von Parastou Forouhar, eine riesige Wand voller Überwachungs-Augen, aus denen einzelne durch ihre Unkonformität hervorstechen, ihre Tränen, stellen eine Brücke zu Nussbaums Weinender dar, in „Die Perlen“.
Mitunter überspannen diese Brücken mehrere Ausstellungskapitel. Sie zu entdecken, kostet Arbeit, Konzentration. Aber sie sind produktiv. Nussbaums Gemälde „Der Flüchtling“ etwa, das eine Weltkugel zeigt, und einen Verzweifelten dem jeder Weg versperrt bleibt, ist von Perjovschis Weltkugel weit entfernt, um die zwei Revolver geschnallt sind. Aber der Brückenschlag gelingt.
Manche Motive nehmen Bezug auf die klaustrophobische Labyrinthstruktur des Nussbaum-Hauses, manche auf den Terror, gegen den es seine Stimme erhebt. Hintersinniger, vielschichtiger kann eine Ausstellung nicht komponiert sein. Zweieinhalb Jahre hat das KuratorInnenteam an ihr gearbeitet.
#nichtmuedewerden. Felix Nussbaum und künstlerischer Widerstand: bis 7. 1. 24, Museumsquartier Osnabrück
Die Ausstellung hat Schärfe. So muss es sein, denn sie ist ein flammender Kommentar zu Populismus und Ignoranz, zu geistiger Brandstiftung und zur zunehmenden Kulturlosigkeit unserer Tage. Staatsministerin Claudia Roth (Die Grünen) hat das in ihrer Vernissagen-Rede bewegt und bewegend unterstrichen: Ihre kraftvolle, sehr persönliche Kampfansage an die Feinde der Demokratie fand auch bei denen, die sie im Museum nur per Onlineübertragung hören konnten, lang anhaltenden Beifall.
Ist Kunst noch Kunst, fragt „#nichtmuedewerden“, wenn sie politisch ist? Die Antwort liegt auf der Hand. Und so könnte der Soundtrack der Schau, hätte sie einen, von Danger Dan stammen, aus „Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt“: „Und wenn du friedlich gegen die Gewalt nicht ankommen kannst / Ist das letzte Mittel, das uns allen bleibt, Militanz!“
Den Epilog bildet Fernando Sánchez Castillos „Memorial“: 2.500 identische Miniatur-Kunststofffiguren blicken uns an, fordernd. Sie erinnern an ein Foto von 1936, das einen Mann in einer Menschenmasse zeigt, die Arme vor der Brust verschränkt. Alle um ihn herum zeigen den Hitlergruß, er nicht. Auch hier ist Haltung gefordert: Wer sie dokumentiert, auf einem Klebezettel auf der Wand hinterlässt, kann sich eine Figur mitnehmen. Wenn sich der Trend der Vernissage fortsetzt, sind sie schnell weg. Aber weitere 2.500 stehen in Reserve.
Wer diese Ausstellung sieht, geht nicht nach Hause und sagt: nett. Sonst fiele fortan der Blick in den Spiegel schwer. Missstände gibt es viele. Wege, sie zu beenden, auch. Kreativität ist gefragt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!