Gewalt-Proteste in Baden-Württemberg: Wenn Stuttgart in Eritrea liegt

Erneut sorgt ein Eritrea-Festival für gewalttätige Proteste zwischen Regierungstreuen und Oppositionellen. Die Debatte um Verbote läuft.

Zwei Polizisten stehen mit dem Rücken zum Betrachter und halten Demonstranten beim Eritrea-Festival in Stuttgart zurück

Stuttgart, am Sonntag: Polizei kesselt gewalttätige Proteste bei einer Eritrea-Veranstaltung ein Foto: Thomas Niedermueller/dpa

STUTTART/BERLIN taz | Nach den Ausschreitungen eritreischer Gruppen in der Stuttgarter Innenstadt haben Politiker von CDU, FDP und der AfD in Baden-Württemberg Konsequenzen für das Aufenthaltsrecht der Gewalttäter gefordert. Manuel Hagel, Fraktionschef der baden-württembergischen CDU, die mit den Grünen in Baden-Württemberg regiert, sagte: „Wer so brutal auf andere Menschen losgeht, der hat sein Gastrecht, sein Recht auf Asyl verwirkt.“

Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hatte am Sonntag klar gemacht, dass die Ausschreitungen inakzeptabel sind: „Wir dulden nicht, dass Konflikte aus anderen Ländern bei uns gewaltsam ausgetragen werden und werden dem mit aller Härte entgegentreten.“ SPD-Fraktionschef Andreas Stoch wandte sich gegen Gesetzesverschärfungen, wie sie andere Oppositionsfraktionen forderten: „Es geht nicht darum, lautstark immer schärfere und schärfere Gesetze zu fordern. Es geht darum, unsere Gesetze anwenden und sie durchzusetzen.“

Der Linken-Politiker und Stuttgarter Stadtrat Luigi Pantisano erinnerte daran, dass die Diktatur in Eritrea in Freiheitsfragen noch hinter Nordkorea rangiert: „Wenn Po­li­ti­ke­r:in­nen in Baden-Württemberg fordern, Gewalttäter sofort auszuweisen, dann sollten sie bedenken, wohin sie die Menschen abschieben wollen. Zurück in einen Terrorstaat.“ Der baden-württembergische Innenminister Thomas Strobl informierte sich zusammen mit Polizeipräsidentin Hinz bei den Beamten in Stuttgart. Am Mittwoch will er dem Innenausschuss des Landtags Auskunft geben.

Am Samstagabend hatten im Stuttgarter Stadtteil Bad Cannstatt eritreische Regimegegner eine Veranstaltung eines regierungsnahen eritreischen Vereins attackiert. Bei den teils gewalttätigen Protesten wurden insgesamt 27 Polizeibeamte verletzt, 7 von ihnen sind bis auf weiteres dienstunfähig. Die Polizei hat in der Nacht zum Samstag 228 Personen vorübergehend festgenommen und die Personalien festgestellt. Gegen sie wird jetzt wegen schweren Landfriedensbruchs, schwerer Körperverletzung, Sachbeschädigung und Diebstahls ermittelt. 63 von ihnen sind offenbar aus der Schweiz angereist.

Gegendemonstration kam überraschend

Für die Polizei sei die Gegendemonstration überraschend gewesen, erklärte der stellvertretende Polizeipräsident Carsten Höfler. Es sei zwar eine Gegenveranstaltung angemeldet gewesen, diese Anmeldung sei aber wieder zurückgenommen worden. Oberbürgermeister Frank Nopper und der Polizeivizepräsident verwiesen darauf, dass es zuletzt in Stuttgart störungsfreie ähnliche eritre­ische Veranstaltungen gegeben habe. Trotzdem sei die Polizei präsent gewesen, dies sei bei Veranstaltungen mit Bezug zu Eritrea üblich.

Die Stadt konnte nach eigenen Angaben die als „Eritrea-Seminar“ bezeichnete Veranstaltung nicht verhindern. Sie fand in den städtischen Räumen des Römer-Castells, einer ehemaligen Kaserne, statt. Im letzten Jahr hätten fünf solcher Veranstaltungen stattgefunden, nie sei es zu Auseinandersetzungen gekommen. Die Grüne Landtagsfraktion fordert von den Behörden nun weitere Aufklärung, ob die Ausschreitungen nicht doch vermeidbar gewesen wären.

Der Verband eritreischer Vereine in Stuttgart, der die Räume für die Veranstaltung angemietet hatte, hat für kommenden Samstag bereits eine weitere Eritrea-Veranstaltung in Stuttgart angekündigt. Johannes Russom vom Verband erklärte, Gewalt dürfe nicht das Sagen haben, der Schutz der Veranstaltung sei Aufgabe des Staates.

In anderen Städten waren regierungstreue und oppositionelle Eritreer bereits öfter zusammengestoßen. Anfang Juli hatte es in Gießen massive Ausschreitungen bei einem Eritrea-Festival gegeben. Hier war Johannes Russom gegenüber dem ZDF als Vorsitzender des Zen­tralrates der Eritreer in Deutschland aufgetreten. Der Zentralrat der Eritreer in Deutschland besteht laut eigenen Angaben aus vier Säulen: Eine Säule ist die PFDJ, die einzige legale Partei in der Diktatur am Horn von Afrika, eine zweite Säule der Jugendverband dieser Partei.

Eritreische Community in Deutschland gespalten

Den Zentralrat als den verlängerten Arm des diktatorischen Regimes zu bezeichnen, wäre also nicht übertrieben. Der Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Jochen Kopelke, forderte im SWR ein Verbot ähnlicher Veranstaltungen. Die Gewalt sei „ganz offensichtlich“ vom Ausland gesteuert gewesen.

Die eritreische Community in Deutschland ist tief gespalten. Wer während des Befreiungskampfes bis Anfang der 1990er Jahre aus Eritrea geflohen war, sympathisiert in der Regel mit dem Regime, das aus der nationalen Befreiungsbewegung hervorgegangen ist. Wer nach der Jahrtausendwende floh, lehnt das Regime meist ab. Dieses Konfliktpotenzial entlädt sich bei Veranstaltungen, die Gewalt geht meist von Teilen der Opposition aus.

Für das 3,8 Millionen Einwohner zählende Eritrea sind die rund eine Million Auslands­eritreer enorm wichtig. Mit ihrer „Diasporasteuer“ in Höhe von 2 Prozent ihres Einkommens, zu der sie nach eritre­ischem Recht verpflichtet sind, sind sie wichtige Investoren in dem von internationalen Sanktionen betroffenen Land.

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