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Science-Fiction-Convention im TropenhausReise ins Morgen von gestern

Das grüne Science-Center Botanika hat Science-Fiction-Fans mit und ohne Kostüm eingeladen, in tropischer Atmosphäre ihre Freude am Unsinn zu feiern.

Sah schon vor der SciFi-Convention irgendwie futuristisch aus: die Botanika in Bremen Foto: Ingo Wagner/dpa

E in Ghostbuster rüttelt unruhig an Klotüren, die Sternenflottenoffizierin mit Laufmasche jagt Schmetterlinge durchs Tropenhaus, und Chewbacca reicht einem nervösen Kleinkind die Pranke. Das sind Momente eigenwilliger Schönheit, wie sie nur dann entstehen, wenn Menschen mit allergrößtem Ernst komplett beknackte Dinge tun.

Hier zum Beispiel: verkleidet als Figur aus „Star Trek“, „Doctor Who“ oder „Krieg der Sterne“ durch die Bremer Botanika zu streifen und einander in tropischem Gewächshausklima die verschwitzten Retro-Science-Fiction-Klamotten vorzuführen.

Gastgeber der kleinen Nerd-Convention ist Bremens „grünes Science-Center“, das für ein langes Wochenende Veranstaltungen und Ausstellungen von und für Nerds präsentiert und sie thematisch mit echtem Wissenschaftskram aus dem eigenen Fundus flankiert: Wie man den Mars bepflanzen könnte, ist da etwa auf Schautafeln zwischen allerlei Raumschiff-Lego zu lesen, oder was für wirklich verrückte Alienfähigkeiten manche Pflanzen so entwickeln, wenn’s um ihr sonderbares Sexualleben geht oder darum, die Nachbarschaft bei lebendigem Leib zu verdauen.

Verpackung schlägt Inhalt

Aber all das ist viel weniger interessant als zu vermuten wäre – weil man doch sehr schnell sehr abgelenkt ist von all den Kostümierten und ihrem bunten Treiben. Didaktisch betrachtet schlägt die Verpackung den Inhalt jedenfalls um Längen, und man wird der „­Botanika goes space“-Sause viel eher gerecht, wenn man sie als Nerdfest zwischen Palmen begreift, statt umgekehrt als Biounterricht unter (Strahlen-)Waffen.

wochentaz

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Schön ist die Kleinheit der Angelegenheit, was, ganz ohne Spott gesagt, zu schätzen weiß, wer sich im Erwachsenenalter mal auf Buch- und Spielemessen oder einer Comic Con herumtreiben musste. Dort ist es voll, stickig, und es stinkt, vor allem aber hängt die Illusion dort tot am Zaun, dass es dem eskapistischen Ringelpiez um irgendwas anderes geht als um ein ausgehöhltes und bis zum Anschlag durchmonetarisiertes Massenphänomen.

Hier nicht. Hier laufen glücklich strahlende Menschen um die 40 in noch mal 20 Jahre älteren „Star Trek“-Uniformen durch Gewächshäuser und scannen mit Plastik-Tricordern die tatsächlich irgendwie andersweltliche Flora und Fauna. Es passt tatsächlich kaum ein Blatt zwischen die außerirdischen Filmsets der frühen Weltraumseifenopern im Vorabendprogramm und die behutsam für den Publikumsverkehr angelegten, barrierefreien Pfade durch die menschengemachten Dschungel von Bremen.

Es ist die Freude am Artifiziellen, die man hier liebt und lebt – an der sehr begrenzten Konsumierbarkeit der Sache und an ihrer befreienden Sinnlosigkeit.

Utopien von gestern

Mag sein, dass es für die zahlreichen Kinder hier vor allem um einen thematisch vom Allerschlimmsten befreiten Karneval geht, aber wer ihn erkennt, kann auch am tieferen Sinn Freude haben: an den utopischen Zukunftsvisionen einer halb vergessenen Vergangenheit, die zwar nicht wahr wurden, aber vielleicht auch gerade darum ihren kraftvollen Impuls hochhalten, es doch wenigstens mal versuchen zu können mit dem Weltraumkommunismus. Oder mit dem Sieg über das Böse.

Okay, das klingt ein bisschen irre, und man darf getrost bezweifeln, dass die Wis­sen­schafts­ver­mitt­le­r:in­nen der Botanika auch nur entfernt Ähnliches im Sinn hatten, als sie die Veranstaltung konzipierten – noch weit nebulöser bleiben die Motive des assoziierten „Star Fleet Command Bremerhaven“ oder der Ghostbuster von „No Ghost Germany“.

Es ist im Grunde aber auch egal, was diese besonders ambitionierten Fans umtreibt. Wichtig ist nur, dass sie hier sind. Denn – und das wäre dann auch das größte Kunststück dieser bezaubernden Veranstaltung – mit der Zeit fallen Publikum, Attraktion und Schauspielende in eins. Jedi-Kinder mit Lichtschwert und Toga kommen zum Gucken her und sind plötzlich Teil von etwas Größerem, das zwar so richtig keiner erklären kann, das aber eben doch sehr viel mehr ist als ein komisches Treffen komischer Leute mit komischen Hobbys.

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Redakteur und CvD
Jahrgang 1982, schreibt aus dem Bremer Hinterland über Kultur und Gesellschaft mit Schwerpunkten auf Theater, Pop & schlechter Laune.
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