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Abaya-Verbot an französischen SchulenDer Anfang vieler neuer Debatten

Rudolf Balmer
Kommentar von Rudolf Balmer

Das Verbot des Ganzkörper-Gewandes Abaya ist eine politische Gratwanderung: entschlossene Verteidigung des Laizismus oder Ende der Toleranz?

Frankreichs Bildungsminister Gabriel Attal (3.v.l.) will das Tragen von Abayas an Schulen verbieten Foto: Richard Bouhet/dpa

E r habe entschieden, erklärt der französische Erziehungsminister Gabriel Attal. Sein Bedarf, Entschlossenheit und Autorität auszustrahlen, ist offensichtlich. Das entspricht einem politischen Wunsch vor allem der Rechten in Frankreich, die sich über Krawalle und Respektlosigkeiten von Jugendlichen und erst recht über Provokationen muslimischer Extremisten ärgert. Ihnen will Attal entgegenkommen. Er grenzt sich damit von seinem Multikulti-Vorgänger Pap Ndiaye ab. Das Thema der religiös motivierten Gewänder in den Schulen bietet sich dafür an.

Attal hofft, mit seinem Auftreten der allgemeinen Tendenz entgegenzuwirken, die derzeit der autoritären, vehement antimuslimischen extremen Rechten Wählerstimmen zutreibt. Doch nicht nur ganz rechts wird sein Verbot der Abaya in der Schule wohlwollend kommentiert. Die meisten Schulleitungen sind froh, endlich eine klare Regel zu haben. Umgekehrt riskiert Attal, einen endlosen Glaubenskrieg auszulösen, wie ihn Frankreich nach dem ersten Verbot islamischer Kopftücher vor dreißig Jahren erlebt hat.

Genügt im Streitfall der Dialog nicht? Braucht es wirklich gesetzliche Verbote und Strafen wie Ausschluss, um in der Schule die Religionsferne zu verteidigen? Ist es nicht sogar ein Zeichen der Schwäche eines Staates, wenn dieser so gereizt auf Provokationen reagiert? Diese Kontroverse spaltet quer durch die politischen Lager. Auch links wird gestritten: Was für die einen die Wahrung der Grundwerte der Republik ist, stellt für andere schlicht „Islamophobie“ dar.

Dem Minister fiel die Entscheidung bestimmt nicht leicht. Denn es ist eine politische Gratwanderung, in der Reaktion auf die unbestrittene Herausforderung der Republik durch religiöse Maximalforderungen den Ton und das Maß zu finden. Wo endet in der Laizität die Toleranz? Wo muss im Namen des Neben- und Miteinanders auf vorge­gebene Glaubensgebote Nein gesagt werden? Es stellen sich so viele Fragen, dass Attals Urteil im Streit um die Abayas weniger als Antwort, sondern als Ausgangspunkt der Debatte dienen wird.

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Rudolf Balmer
Auslandskorrespondent Frankreich
Frankreich-Korrespondent der taz seit 2009, schreibt aus Paris über Politik, Wirtschaft, Umweltfragen und Gesellschaft. Gelegentlich auch für „Die Presse“ (Wien) und die „Neue Zürcher Zeitung“.
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11 Kommentare

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  • Frankreich hat mehr noch als Deutschland seine Erfahrungen gesammelt und zieht daraus richtigerweise die Konsequenz. Nur hier bei uns gefallen sich meist linke Politiker darin unter dem Deckmantel der Religionsfreiheit noch die reaktionärsten und paternalistischsten Ansichten zu verteidigen und jede Kritik daran pauschal als rassistisch und islamophob abzutun. Merken die eigentlich noch was? Früher hat die Linke zu recht gegen ein reaktionäres Christentum gekämpft und heute wird sofort Zeter und Mordio geschrien wenn man darauf hinweist, dass Minderheitenrechte, Frauenrechte, etc. mit einem fundamentalistisch ausgelegten Islam nicht ansatzweise in Einklang zu bringen sind. Das Weltbild der Islamisten ist nicht einen Deut toleranter als das eines Björn Höcke. Wie kann man so verbohrt sein das nicht sehen zu wollen?

    • @Fran Zose:

      Das ist vor allem die Linke, die im Islam die neue Weltrevolution gegen den Westen, Amerika, den Kolonialismus, Kapitalismus, Zionismus, Juden etc. sieht.

      Ein unglaublich verworrenes Durcheinander.

      Die Standardschrift dazu entstand vor etwa 30 Jahren in GB von einer kleinen Arbeiterpartei.

      "Der Prophet und das Proletariat"



      (Herbst 1994) von Chris Harmann

  • In dem Artikel fehlt mir jegliches Mitgefühl für die Kinder, die so etwas tragen müssen.

    Und französische Linke (es gibt auch noch welche in Deutschland) kommen tatsächlich noch mit dem Lieblingswort Khomeinis, Chameinis, Erdogans, der Taliban, des IS & Co.?

    "Islamophobie".

    Pascal Bruckner: "Der Begriff der Islamophobie hat mehrere Funktionen: Er leugnet die Realität einer islamistischen Offensive in Europa, um sie besser zu rechtfertigen. Er attackiert den Laizismus, indem er ihn mit einem Fundamentalismus gleichsetzt. Vor allem aber will er all jene Muslime zum Schweigen bringen, die den Koran in Frage stellen und die Gleichheit der Geschlechter fordern, die das Recht einklagen, einer Religion abzuschwören, und die ihren Glauben friedlich und nicht unter dem Diktat von Bärtigen und Doktrinären leben wollen."

    Es tut weh, Linke mitzukriegen, die selbst die allernötigsten Grundlagen für Religionskritik gestrichen haben.

    Für mich habe habe ich diese Pseudo-Linken längst unter extrem rechts eingeordnet. Um es mal milde auszudrücken.

  • Seit Jahren findet global eine massive Arabisierung der islamischen Welt statt. Arabische Kleidung wird z.B. von radikalen Muslimen in Indonesien sehr gerne getragen, obwohl sie in Indonesien natürlich so gut wie keine Tradition hat. Tatsächlich ist selbst das Kopftuch in Südostasien sehr rezent.

    So mag die Abaya also in ihren Herkunftsländern im arabischen Raum nicht als spezifisch islamisch gelten, aber eben sehr wohl unter Muslimen in allen nichtarabischen Ländern. So wie ein Bikini als "westliches" Kleidungsstück gilt, ist eine Abaya eben ein "islamisches".

  • Gibt es nicht auch hierzulande immer wieder mal Probleme mit religiösen Symbolen im Klassenzimmer?



    Erinnert sei an das „Kruzifix-Urteil“ von vor einigen Jahren: Ein Kläger in Bayern fand es „unzumutbar“, dass in bayerischen Klassenzimmern das christliche Kruzifix an der Wand hängt und so auch nicht-christliche Lehrer und Schüler „gezwungen“ seien, dieses zu sehen.



    Einige Pokitiker brachten einen bemerkenswerten Spagat fertig: Sie forderten einerseits die Entfernung der Kruzifixe aus den Klassenzimmern wegen der vorgeschriebenen „Neutralität des Staates“. Andererseits forderten sie die Aufhebung des „Kopftuch-Verbots“ mit Verweis auf den „Schutz der Religionsausübung“. Das verstehe, wer will!



    Natürlich gibt es Schlaumeier, die behaupten, das Eine hätte mit dem Anderen doch rein gar nichts zu tun. Oh doch! Wer das Kruzifix nicht mag, muss ja nicht hinschauen. Aber Schüler müssen nun mal ihre, möglicherweise kopfbetuchten, Lehrerinnen ansehen, ob sie deren Kopfbedeckung nun mögen, oder nicht!

    • @Pfanni:

      Kruzifix-Urteil des Bundesverfassungsgerichts, der erste Karlsruher Senat argumentierte:

      „Zusammen mit der allgemeinen Schulpflicht führen Kreuze im Unterricht dazu, dass die Schüler während des Unterrichts von Staats wegen und ohne Ausweichmöglichkeit mit diesem Symbol konfrontiert sind und gezwungen werden, unter dem Kreuz zu lernen.“

      Am 10. August 1995 veröffentlichte das Bundesverfassungsgericht das sogenannte "Kruzifix-Urteil": Kreuze in den Unterrichtsräumen einer staatlichen Pflichtschule anzubringen, verstößt gegen die Glaubensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 GG). Die Schulordnung Bayerns, die Kruzifixe in Volksschulen vorschreibt, ist in diesem Punkt mit dem Grundsatz der Religionsfreiheit unvereinbar und nichtig, so hatte der 1. Senat am 16. Mai mit fünf zu drei Stimmen entschieden.

      www.blaetter.de/au...-mai-1995-auszuege

      Die Grünen arbeiten an einer Ausnahme für Kopftücher.

      Sind sie damit schon durchgekommen?

  • Stimmt, das kann nur der Anfang von Debatten sein, die zulange verschleppt wurden, weil man Werte als absolut gesetzt hat, die nunmal nicht absolut sind, wenn man die Gesellschaft öffnet, oder die Gesellschaft sich verändert.

    Natürlich ist dieses Gesetz/Verordnung eine Schwäche des Staates und auch eine Schwäche der Gesellschaft. Aber die Schwäche ist real und wird nicht einfach dadurch zur Stärke, dass man sagt "unsere Werte sind so fest, wir brauchen das nicht". So ist es eben nicht, die Werte sind nicht so fest und klar - weil die Menschen nicht so klar sind, sondern sehr verschiedenen Ideen folgen.

    Der Islam ist eine der ganz großen Menschheitsideen, selber mit einem universellen Anspruch. Eine weltoffene Haltung, die davon ausgeht, dass "Wir" dir universellen Werte haben und innerhalb dieser universellen Werte offen für alle Menschen sind, und auch der Islam selbstverständlich seinen Platz innerhalb unseres Gebäudes bekommt, vollkommen gleichberechtigt, neben Christen, Sportliebhabern, Kunstfreunden, Klimaschützern, Hardrockfans ... das kann so auch nicht funktionieren. Es gibt auch nicht nur den Islam, auch wenn er (in seiner eigenen Vielfalt) zurzeit eine der großen Ideen und Bewegungen darstellt. Das grundsätzliche Problem, dass die Menschen verschiedenen Ideengebäuden und höchsten Werten folgen, besteht prinzipiell und auch mit anderen Strömungen.

    Dazu einfach nur eine souverände Toleranz und die "wahre Menschlichkeit" anzuführen, scheint mir das grundlegende Problem nicht sehen zu wollen. Es ist eben nicht irgendwie gottgegeben klar, was und wie Gesellsschaft ist und funktioniert.

  • 6G
    665119 (Profil gelöscht)

    Das Swastika ist ein jahrtausende altes religiöses Symbol im Hinduismus und wird von Millionen verehrt und als Teil ihres kulturellen Erbes gewertschätzt. Auch in der westlichen Hippiekultur wird es teilweise verwendet.

    Weil aber nun de fakto in unserer Gegenwart das Hakenkreuz in erster Linie als politisches Symbol einer totalitären, faschistischen und menschenfeindlichen Politideologie verstanden und verwendet wird, ist es als solches verboten und dankenswerter Weise findet hier auch keine über "Toleranz" oder "Multikulti" verbrämte Relativierungsdebatte statt.

    Ich denke, der Vergleich sollte jeder/jedem einleuchten.

    • @665119 (Profil gelöscht):

      Ne Abaya mit Hitlers Hakenkreuz zu vergleichen ist mal sowas von daneben und peinlich.

      • 6G
        665119 (Profil gelöscht)
        @Tyramizou:

        Sind Die Schüler oder Lehrer an einer französischen Schule, dass Sie so genau über die dortige symbolische Aufladung der Abaya informiert sind?

  • Ja, es braucht das Verbot. Nur dann können Mädchen und Frauen ohne Verhüllung durch männliche Anordnung nach draussen.



    Bei männlichen religiösen Vollpfosten ist das sonst nicht möglich.